Standpunkt: Neues Denken

Die Befangenheiten ausräumen

„Die Zukunft ist da, bevor wir damit rechnen. Die Wirtschaft wird sich in den nächsten Jahren grundlegend verändern.“ Was einer der derzeit einflussreichsten Managementdenker, Prof. Dr. Dres. h.c. Hermann Simon, Gründer und heutiger Chairman von Simon-Kucher & Partners Strategy & Marketing Consultants, Bonn, beinahe lapidar in zwei Sätzen ankündigt, birgt bei genauerem Hinsehen zwei Botschaften. Vordergründig sagt Simon: Achtung, vom Gewohnten wird nicht mehr viel übrig bleiben. Hintergründig mahnt er: Keine mehr Zeit verlieren, fit machen für einen mehr revolutionären als evolutionären Umbruch.

Mentale Strategien

Nun ist Simon beileibe nicht der erste, der es für angezeigt hält, sich Bewältigungsstrategien für den Umgang mit dem Kommenden anzueignen, die deutlich über das gewohnte Repertoire in Führungspositionen hinausgegen. Seit Jahren schon wird auf die Bedeutung des Mentalen auch für den Umgang mit wirtschaftlichen Herausforderungen hingewiesen. Und seit Jahren findet diese Anregung breite theoretische Zustimmung. Nur mit der praktischen Umsetzung will es bislang nicht so recht vorangehen. Noch ist offensichtlich der Sog der etablierten Bewältigungsstrategien zu stark, um sich im Kopf jenseits der gewohnten Gedankengänge und Denkabläufe neu zu möblieren. Zumindest aber das alte Mobiliar um einige neue Einrichtungsgegenstände zu ergänzen.

Doch nun, wo „Instabilität zum Status quo geworden ist“, wie Dennis Nally, Chairman der internationalen Unternehmensberatung PricewaterhouseCooper, es so schön ausdrückt, wäre es wohl an der Zeit, sich diesem Sog zu entziehen. Und Simons Mahnung folgend Umschau zu halten, wo die berufspraktische Fitness kopfseitig zumindest der Ergänzung bedarf. Und wie das zu bewerkstelligen wäre. Ob Unternehmer und Manager tatsächlich klug beraten sind, diesbezüglich darauf hinzuarbeiten, sich täglich neu zu erfinden, wie es Berater Roland Berger einmal gefordert hat, sei dahingestellt. Wichtiger für die mentale Standfestigkeit in den zu erwartenden Turbulenzen dürfte es sein, dass sie sich überhaupt erst einmal finden, zu sich finden.

In der Ruhe …

Warum gerade dieses ‚zu sich finden‘ von Bedeutung ist, verdeutlicht dessen landläufiges Verständnis. Wird es doch als Vermögen begriffen, sich vom Sturm der Zeit nicht der Wetterfahne gleich mal in diese Richtung und dann wieder in jene blasen zu lassen, sondern in sich zu ruhen. Tendenziell zumindest. Vermag doch nur wer in sich ruht das Geschehen im Rahmen des menschlich Möglichen mit einiger Zuverlässigkeit zu durchschauen. Und mit der gebotenen Besonnenheit. Lehrt doch gerade der unsägliche ruhelose Aktionismus unserer Tage, wie wichtig ein Mehr an besonnenem, wohl abwägendem Tun wäre. Und wie wohltuend.

Kann doch nur wer etwas durchschaut mit einiger Gewissheit ausmachen, worauf es handelnd zielführend wirklich ankommt. Und kann doch nur wer das wenigstens näherungsweise weiß wirklicher Tatkraft gegenüber dem üblichen Draufloswursteln und sorgsam-analysierender Betrachtung gegenüber den ins Kraut geschossenen zeitgeistigen Glaubens“wegweisungen“ den Vorzug geben. Setzt doch die künftig gefragte Bewältigungsfähigkeit eine heute vielfach als Teufelszeug angesehene Vierfachleistung voraus: Dingen ernsthaft auf den Grund zu gehen; komplexe, in sich verwobene und meist vielfach rückgekoppelte Zusammenhänge wenigstens als solche zu erkennen und sich vorurteilsfrei damit auseinanderzusetzen; das vorschnelle Wenn-Dann-Denken ebenso wie übereilte Ursache-Wirkung-Zuschreibungen aufzugeben.

… liegt die Kraft

Vordringlich muss es darum gehen, sich aus Befangenheiten zu befreien. Wer befangen ist, ist blockiert. Und blockiert sein heißt, der Kopf schmeißt einem Knüppel zwischen die Beine. Und wenn sich etwas zukünftig noch brisanter auswirken wird als es sich heute schon allenthalben zeigt, dann, sich stolpernd vorwärts zu bewegen. Die eigentliche Gefahr für Unternehmer wie Führungskräfte erwächst weniger aus gelegentlichem Sich-Irren als alle um sich herum irre zu machen. Irrtümer lassen sich korrigieren. Eine „an oben“ irre gewordene Belegschaft aber ist ein potentielles betriebliches Todesurteil.

Menschen handeln immer als erlebende Personen in erlebten Situationen. Ihr jeweiliges subjektives Situationsmodell regiert ihr Handeln. Mentale Bewältigungsfähigkeit verlangt folglich ein Situationsmodell, was nicht befangen macht und nicht blockiert, was Unternehmer und Führungskräfte nicht selbst zu ihren ärgsten Widersachern macht. Eine solche Bewältigungsfähigkeit ist im Gegensatz zur heute dominierenden Ansicht nicht in erster Linie von der Menge an Wissen und Können abhängig, sondern davon, in einer Situation über der Situation stehen zu können, die Situation regieren zu können anstatt sich von der Situation regieren zu lassen. Die gefragte mentale Bewältigungsfähigkeit kann also nicht vom heißen Herzen, sondern nur vom kühlen Kopf ausgehen. Nicht für etwas zu brennen ist von Bedeutung, sondern etwas durchschauen und bewältigen zu können. Der sowohl in Theologie als auch in Philosophie promovierte Mainzer Professor Rudi Ott spricht das in Anlehnung an antike Überlegung aus: „Die Aufgeregtheit des Gemüts trägt nichts zu einer konstruktiver Gestaltung des Alltags bei. Ich kann keine Probleme lösen, wenn ich mir nicht immer wieder Denkmuster aufbaue und pflege.“

Chemie schadet nur

Auf dem Nebengleis sollte damit klar werden, der auf dem Weg zum Üblichen befindliche Griff zu den Neuro-Enhancern, die Einnahme von kurzfristig leistungssteigernden psychoaktiven Substanzen, führt nicht zu diesen notwendigen passenderen geistigen Strukturen. Steigert im Gegenteil das persönliche Risiko, eher früher als später unter die Räder zu kommen. Stabile Sicherheit in der Auseinandersetzung mit dem heraufziehenden Neuen geben nur Drehbücher im Kopf, die Unbefangenheit in normalerweise befangen machenden Situationen ermöglichen und aus ihrer Beherrschung heraus gewährleisten. Und für diese Drehbücher gibt es eine Bezeichnung: mentale Kompetenz. Und die lässt sich schon ein gutes Stück weit erarbeiten.

Autor
Diplom-Betriebswirt Hartmut Volk, Redaktionsbüro Wirtschaft & Wissenschaft, Bad Harzburg. E-Mail: hartmut.volk@ t-online.de
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