Der Regen ändert die Richtung

Entwässerungskonzept gemäß WHG-Novelle

Weil der Gesetzgeber es so will, wird der Regenabfluss in Siedlungsgebieten künftig eine andere Richtung nehmen. Es geht nicht darum, das Wasser bergauf fließen zu lassen – das wäre utopisch. Doch spektakulär ist trotzdem, was im Stillen vorbereitet wurde: Seit 01.03.2010 gilt das neue Wasserhaushaltsgesetz (WHG 2009). Betroffen sind alle Bürger und Betriebe, Bundesländer und Kommunen.

Auch wenn Einzelheiten dazu noch nicht vorliegen, eines ist sicher: Wasser wird nicht mehr direkt und schnell im Gully verschwinden dürfen, sondern langsam und dezentral auf den Grundstücken bewirtschaftet werden müssen. Damit ändert der Oberflächenabfluss seine Richtung. Vom Grundsatz her darf Regenwasser nicht mehr mit Schmutzwasser vermischt werden. Dies untersagt das WGH in § 55, Absatz 2 ausdrücklich. Und darin liegt das Revolutionäre, denn es kommt einem Verbot der Mischkanalisation gleich.

Momentan ist unklar, ob Kommunen bei Sanierungsbedarf ihre Mischkanalisation überhaupt noch erneuern dürfen. Zwar sank der Anteil der Bundesbürger, die von einer Mischkanalisation bedient werden, von 71,2 % in den Jahren 1989/1990 auf 56,1 % 2007 ab [1]. Aber in Süddeutschland überwiegt diese kombinierte Form von Regen- und Schmutzwasser-Kanalisation deutlich. Muss eine Kehrtwende eingeleitet werden? Wie rigoros fordert der Gesetzgeber die Abkehr vom Mischkanal?

Dazu Dr. Heiko Sieker vom Ingenieurbüro Prof. Dr. Sieker GmbH in Hoppegarten bei Berlin: „Jede Entwässerungsplanung, ob bei Neubau oder im Bestand, wird sich im Hinblick auf Menge und Schädlichkeit mit dem mittlerweile erreichten Niveau der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung messen lassen müssen. Versickerungsanlagen, Mulden-Rigolen-Systeme, Dachbegrünung und Regenwassernutzung sind Stand der Technik und seit Jahren erprobt.“

Dr. Mathias Kaiser von Kaiser Ingenieure in Dortmund meint: „Hinter der aktuellen Gesetzgebung und den daraufhin angepassten Normen steht die Erwartung, dass künftig bei der Oberflächenentwässerung nicht mehr als 10 Prozent von der natürlichen Situation, wie sie vor der Bebauung war, abgewichen wird.“

Vorträge von Sieker und Kaiser waren der Auftakt einer Reihe von Fachtagungen der Firmen Birco, Braun und Mall Anfang 2010. Thematisiert wurden dabei die nachfolgend beschriebenen dezentralen Maßnahmen zur Abkopplung des Niederschlagswassers von der Kanalisation.

Pflasterflächen, stabil und wasserdurchlässig

Ideal im Sinne des neuen Wasserhaushaltsgesetzes ist die Regenwasserversickerung durch befestigte Flächen ohne Ableitung in den Kanal. Doch muss der Schutz von Boden und Grundwasser gewährleistet sein. Eine flächige Versickerung durch den Pflasterbelag hindurch ist nur außerhalb von Wasserschutzgebieten gestattet, wenn der Abstand zum Grundwasser mindestens 2 m beträgt und kein Streusalz verwendet wird. Ein versickerungsaktives Pflaster muss Eigenschaften haben, die sich auf den ersten Blick widersprechen. Tragfähigkeit verlangt nach einem festen, belastbaren Material. Wasserdurchlässigkeit benötigt dauerhaft kleinste Hohlräume. Deshalb handelt es sich um eine Sonderbauweise mit besonderen Anforderungen an Ausführung und Material. Die Durchlässigkeit des Bodens ist eine wichtige Voraussetzung. Sandige und kiesige Baugründe sind unproblematisch, bindige Böden erfordern dagegen Zusatzmaßnahmen, um eine dauerhafte Aufnahme des Wassers bei gleichzeitiger Standfestigkeit der Pflasterfläche gewährleisten zu können. In Frage kommen dafür Bodenverbesserungen, Drainagen oder dickere Schichtaufbauten. Es gilt der Grundsatz „Erst die Verkehrssicherheit und die Tragfähigkeit, dann die Wasserdurchlässigkeit“. Für den Schichtaufbau von Tragschicht und Pflasterbett sind kornabgestufte Mineralstoffgemische zu wählen, die gut zu verdichten und dennoch wasserdurchlässig sind [2].

Freie Waldorfschule Uhlandshöhe in Stuttgart

Im Zusammenhang mit dem Neubau von Hort und Mensagebäude wurden Außenanlagen umgestaltet, darunter auch ein Teil des Pausenhofs. Das Konzept entstand mit Hilfe einer Schülerinitiative. Die inselartigen Baumstandorte mit Vegetationsflächen werden „umspült“ von vertieften Belagsflächen, die Assoziationen an ein geschwungenes Flussbett wecken. Das als Pflaster verwendete ungewöhnliche Betonprodukt besteht aus Steinen in verschiedenen Größen mit unregelmäßigen, abgerundeten Konturen. Sie erinnern an gespaltene Kiesel, was den Eindruck eines Flussbettes verstärkt. Darüber hinaus wird die Forderung nach einem Belag erfüllt, der wasserdurchlässig ist und doch so belastbar, dass der Pausenhof bei Schulfesten oder Konzerten als Parkplatz dienen kann. Bedingt durch die fast organischen Umrisse der Steine ist der Fugenanteil sehr hoch, und selbst starke Niederschläge versickern rasch. Das Pflaster bleibt dabei trittsicher und rutschfest. Bei fachgerechter Ausführung wie hier ist die Versickerungsleistung des Pflastersystems Arena über die Fugen nicht nur im Neuzustand, sondern auch auf Dauer erheblich höher als die für anschlusslose Flächen einzuhaltende Vorgabe von 270 Liter pro Sekunde und Hektar gemäß den technischen Regeln. Dies belegen Untersuchungen durch das Sachverständigenbüro BWB im Rahmen eines langfristig angelegten Gutachtens [3]. Pflastersysteme, die über aufgeweitete Fugen oder die Steine selbst eine weitgehende Versickerung der Niederschläge ermöglichen, bieten Möglichkeiten, einer Versiegelung entgegenzuwirken, sie haben aber auch Grenzen. Ist der Baugrund für außergewöhnlich starke Regenereignisse nicht ausreichend aufnahmefähig und eine breitflächige Ableitung über die Kante der befestigten Fläche nicht möglich, kann durch Rinnen so entwässert werden, dass eine Mulde, ein Muldenrigolensystem oder ein Teich wie durch natürlichen Zulauf nahe an der Geländeoberfläche erreicht werden [4].

Entwässerungsrinnen, belastbar und wartungsfreundlich

Rinnen müssen wie Rohre Entwässerungssicherheit bieten, das heißt für die angeschlossene Oberfläche richtig dimensioniert sein. Ein gleichmäßiges Gefälle und dichte Verbindungen zwischen den Rinnenelementen sind Voraussetzung. Zugleich wird erwartet, dass Rinnen belastbar sind, dass sie Kräfte aus den Anschlussflächen schadlos ableiten können. Auch die Rinnenabdeckungen müssen für die zu erwartenden Lasten geeignet sein. Begehbar, mit PKW oder mit LKW befahrbar sind Belastungsfälle, die nach DIN EN 1433 genau beschrieben sind. Für jede Anforderung gibt es die richtigen Abdeckungen in unterschiedlichem Design. Sie sind jeweils kombinierbar mit den verschiedenen Formen und Größen der Entwässerungsrinnen.

Weitere Anforderungen stellen Stadtplaner, Architekten und Landschaftsgestalter: Die sichtbaren Teile einer Rinne sollen in Material und Farbe zum anschließenden Oberflächenbelag passen. In besonderen Fällen müssen sie optisch sogar vollständig in den Untergrund verschwinden. Ein Beispiel dafür ist die Brunnenanlage Eschborn Plaza, eine dezente Linienentwässerung zwischen zwei Belagsmaterialien, in der das Wasser wie vom Erdboden verschluckt wird.

Eine besondere Herausforderung war die optische und funktionelle Verbindung zweier unterschiedlicher Rinnensysteme beim Neubau der Messe Stuttgart. Ein Teil der vor dem Haupteingang liegenden Piazza befindet sich direkt über der Tiefgarage. Das erlaubt nur eine geringe Einbautiefe, so dass für diese Teilabschnitte vom Rinnenhersteller eine eigens dafür entwickelte Lösung gefunden werden musste. Zugleich konnte diese Sonderanfertigung der Baustelle zeit- und kostenaufwendige Schalungs- und Betonierarbeiten ersparen, indem die Stahlrinnen BIRCOtop mit einer Nennweite von 300 mm und einer Bauhöhe von nur 150 mm werksseitig mit Beton ummantelt und mit speziellen Muffen versehen sind. Außerdem hat das System bei hoher Stabilität ein bis zu 20 % geringeres Gewicht als Rinnen vergleichbarer Nennweite und entlastet so die Statik des darunter liegenden Parkdecks [5].

Grundsätzlich soll Regenwasser auf dem Grundstück versickern, verdunsten oder genutzt werden, wie bei der Neuen Messe Stuttgart. Dies begünstigt den natürlichen Wasserkreislauf und ersetzt die aufwendige und problematische Ableitung in Abwasserkanälen. Doch wenn mit Gefahrgut hantiert wird, darf Regenwasser von gewerblichen Flächen nicht ohne Erlaubnis versickert oder in die Kanalisation eingeleitet werden.

Ein solcher Fall ist der Containerhafen Eurogate in Bremerhaven. Die als Erweiterung 2007 erstellte 20 m breite und 80 cm starke Pier-Platte ist mit Frisch- und Löschwasserentnahmestellen, Strom- und Telefonanschlüssen sowie allen notwendigen Ausrüstungsteilen für den Betrieb der Containerbrücken ausgestattet. Dazu gehört auch eine Schlitzrinne mit bauaufsichtlicher Zulassung. Extreme Schwerlast wird hier ebenso sicher abgeleitet wie anfallendes Wasser. Im Fall einer Havarie mit Container-Inhalten bietet sie zusätzlich Schutz vor so genannten „minderaggressiven Medien“ gemäß Wasserhaushaltsgesetz § 19 g. Verlegt wurde diese bauaufsichtlich zugelassene Rinne im Profil 200/300 mit einer Standardbaulänge von 4 m. Sinkkästen und Absperrsinkkästen konnten nach Bedarf ergänzt werden. Ideal für den Betrieb im Containerterminal ist die enorme Zeit- und Kostenersparnis bei den regelmäßigen Wartungsarbeiten, denn die demontierbare Gussabdeckung am Rinnenende ermöglicht jederzeit und ohne Hilfsmittel eine einfache und schnelle Kontrolle der Dichtfuge.

Zisternentechnik, automatisch und komplett

Wenn, wie Klimaexperten prophezeien, die Wetterextreme zunehmen - sowohl die Intensität der Niederschläge, als auch die Dauer der Trockenperioden – sind große Regenspeicher sinnvoll. Daraus kann Betriebswasser zur Verfügung gestellt werden für Zwecke, für die das Lebensmittel Trinkwasser zu kostbar ist. Möglich ist die Nutzung des Niederschlags als Betriebswasser für WC-Spülung, Bewässerung und Kühlung oder in der Produktion [6].

Lise-Meitner-Gymnasium in Falkensee bei Berlin

Das vorhandene Hauptgebäude, ein Plattenbau aus der DDR-Zeit, musste renoviert und modernisiert werden. Statiker und Haustechniker waren besonders gefordert. Energie und Wasser waren vorrangige Themen. Vom Flachdach des Hauptgebäudes wird der Niederschlag in einem unterirdischen Speicher gesammelt, ebenso vom Gründach der neu erstellten Aula. Für die Beregnung der Außenanlagen und die Toilettenspülung wird der kostenlos anfallende Rohstoff genutzt. Regenspeicher aus Betonfertigteilen werden komplett mit Steuerung und Pumpentechnik geliefert. Mit entsprechender Erdüberdeckung sind diese Behälter befahrbar. Damit konnte der Standort bei diesem Projekt flexibel gewählt werden. In den Zulauf des Speichers wurde der Filterschacht montiert. Schwebstoffe, die die Filterkassetten aus Edelstahlgewebe mit einer Maschenweite von 0,4 mm nicht passieren können, sinken als Feinteile zu Boden und bilden das so genannte Sediment oder schwimmen auf an die Wasseroberfläche, wie z. B. Blütenpollen. Das mit dem Filter verbundene Ablaufrohr gewährleistet, dass weder Sediment noch Schwimmschicht in den Speicher gelangen. Entlüftung und Überlauf werden bei dieser Bauweise im Speicher oder im Filterschacht nach Bedarf angeordnet [7]. Im Gebäude befindet sich das Regencenter Monsun XL mit elektronischer Steuerung, Doppelpumpendruckerhöhung und integriertem Vorlagebehälter. Unter Wasser in der großen unterirdischen Zisterne steht die Zubringerpumpe und fördert nach Bedarf, von der Regenwasser-Zentrale gesteuert.

Auch die Diesterweg-Schule in Falkensee nutzt inzwischen Regenwasser für die Toiletten und die Bewässerung der Außenanlagen. Für alle öffentlichen Einrichtungen macht die Stadtverwaltung dem Hochbauamt Vorgaben zur Art und Weise von Neubau- oder Sanierungsmaßnahmen an Gebäuden. Gleichrangige Ziele sind dabei die Senkung der Betriebskosten und die Entlastung der Umwelt. Neben einem detaillierten Katalog für das Energiemanagement ist auch in jedem Fall die Regenwassernutzung für WC-Anlagen zu prüfen. Handelt es sich um Schulen, so sind aus pädagogischen Gründen für Schüler Umwelt entlastende umgesetzte Maßnahmen am Objekt zu dokumentieren oder in geeigneter Weise darzustellen, wie z. B. durch das Zentraldisplay im Lise-Meitner-Gymnasium.

Zusammenfassung

Regen ändert die Richtung, weg vom Kanal, hin zu Gebäude und Grundstücken, wie es die WGH-Novelle fordert. Voraussetzung ist ein dezentrales Entwässerungskonzept, z. B. mit versickerungsaktivem Pflaster, offenen Entwässerungsrinnen und Zisternen. Dies spart Erschließungskosten und steigert den Immobilienwert. Es verbessert in jedem Fall den kleinräumigen Naturkreislauf des Wassers, – und erhöht unsere Lebensqualität im Sinne einer intakten Umwelt gemäß des japanischen Sprichwortes: „Die Sonne ist die Geburtshelferin des Lebens, der Regen jedoch ernährt es.“n

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