Die Baustelle 4.0 lernt fliegen
Pilotprojekt „Qualitätsstraßenbau Baden-Württemberg 4.0“Zwei Jahre lang wurde bei Bad Boll in der Nähe von Stuttgart die Qualitäts-Baustelle der Zukunft erprobt. Die dort gewonnenen Erkenntnisse sind jetzt Ausgangspunkt für eine neue Praxis, die bereits bei Ausschreibungen gefordert werden soll.
Zwei Jahre lang hat ein Expertenteam aus vier Unternehmen, unter der Leitung der Industrie 4.0-Experten von Drees & Sommer in der Praxis erprobt, wie die unsteten Prozesse im Straßenbau verlässlicher und damit die gebauten Straßen hochwertiger und langlebiger werden können. Neben Systemlösungsanbieter Topcon engagierten sich dabei Baumaschinenhersteller Ammann, Softwarehersteller Ceapoint und Bauunternehmen Strabag. Dem Einbau der ersten Tragschicht des letzten Teilstücks konnten rund 25 Vertreter aus Straßenbauverwaltungen Ende April 2018 live mitverfolgen. Jetzt hängt es von den Straßenbauverwaltungen ab, inwieweit die Erkenntnisse des Pilotprojekts „Qualitätsstraßenbau 4.0“ in die Praxis umgesetzt werden, um die gewonnenen Erkenntnisse in die Ausschreibungspraxis und damit auf die Baustellen zu bringen.
Dr. Burkhard Seizer, Infrastrukturberater bei Drees & Sommer, ist davon überzeugt, dass „ein unterbrechungsfreier, digital kontrollierter und gleichmäßiger Straßenbau-Prozess – von der Asphaltanlage über die LKW-Anlieferungen zum Beschicker und Fertiger und schließlich zu den Asphaltwalzen – zu einer flächendeckend guten Qualität und damit zu Straßen führt, die weitaus länger halten als bisher.
Doch aller Anfang ist schwer. Denn wenn so viele Anlagen, Maschinen und Menschen an solch einem Prozess beteiligt sind und auch Wind und Wetter ihre Stolpersteine in den Weg legen, dann ist es wie beim Klavier spielen: Man muss erst lernen, alle Tasten richtig zu bewegen und miteinander zu kombinieren, um eine wohlklingende Musik zu spielen. Das Pilotprojekt gab allen Beteiligten die Chance, Erfahrungen zu sammeln und miteinander und voneinander zu lernen und dadurch Stabilität in den Bauprozess zu bringen.
Denn der Schlüssel für die Wirtschaftlichkeit einer Baustelle liegt gerade in der Stabilität. Darin, wie voneinander abhängige und interagierende Wertschöpfungsketten aus den Bereichen Baumaschinen, Baustellenumgebung, Baustellennetze und Bauprozessüberwachung zusammengeführt und vernetzt werden, um im gleichen Takt zu laufen. Und ganz praktisch auch darin, wie die Temperatur des Asphalts über den gesamten Prozess, von der Anlage bis zur Verdichtung, im optimalen Bereich gehalten werden kann.
Diese Vernetzung ist heute über intelligente Vermessungs-, Hardware-, Software- und Cloud-Lösungen möglich, wie sie von Topcon geboten und implementiert werden. Sie ermöglichen dabei die Erfassung der Ausgangs- und das Setzen der Zielwerte, eine technisch stabile Maschinensteuerung sowie die laufende zentrale digitale Qualitätssteuerung und ein effizientes Online-Monitoring der gesamten Baustelle.
Faktor 1: Bestandsdatenerfassung und Planung
Eine detaillierte Erfassung der Ausgangslage und eine exakte Planung und Projektierung sind das Fundament, auf der die spätere qualitative Ausführung fußt. Anstelle von stundenlangen Querschnittsmessungen des Straßenbestands tritt heute der schnelle 3D-Scan. Der dafür notwendige RD-M1-Scanner von Topcon wird einfach auf ein Fahrzeug montiert und kann bei Fahrgeschwindigkeiten bis 100 km/h die Fahrbahnoberfläche erfassen, ohne Fahrspuren sperren zu müssen.
Die eruierten Daten fließen in die von Topcon entwickelte Magnet-Software und werden dort zu großen Punktwolken und letztendlich zu einem Modell der Fahrbahn verdichtet. Quer- und Längsneigungen sowie Verformungen können damit beurteilt werden. So zeigte im vorliegenden Projekt der Scan der Teststrecke eine starke Spurrillenformung und einen gesenkten Bereich, den es auszugleichen galt.
Der bestehende Fahrbahnaufbau wurde zusätzlich über Georadar, Bohrkerne und Rammsondierungen analysiert. Dies gibt Auskunft über die Schichtdicken und den technischen Zustand und zeige so, welche Schichten erneuert werden müssen.
Ein nicht zu unterschätzender Aspekt bei der Vernetzung einer solchen Baustelle ist jedoch ein ausreichendes Daten-Funknetz, ohne das eine digitale Vernetzung der Maschinen und Kontrollmechanismen nicht möglich wäre. Messungen auf der Teststrecke ergaben täglich, mitunter sogar stündlich wechselnde Verfügbarkeiten der Funknetze, was die Arbeit sehr erschwerte. Zur Absicherung des Datenempfangs wurde für alle Projektabschnitte ein eigenes WLAN-Netz aufgebaut.
Faktor 2: Dynamische Logistiksteuerung
Um eine Kontrolle über den Gesamtprozess zu bekommen und von zentraler Stelle aus eingreifen zu können, bedarf es einer digitalen Vernetzung aller am Bauprozess beteiligten Maschinen und Anlagen. „Sehen Sie, gerade stehen die LKW Schlange vor dem Beschicker“, erläuterte Dr. Marcus Müller von der Uni Hohenheim den Zuschauern aus den Straßenbauverwaltungen die aktuelle Situation auf der Testbaustelle. „Die beiden Fertiger würden auf einer normalen Baustelle jetzt Gas geben. Aber das System meldet ihnen, dass sie ihre geringe Geschwindigkeit von 2,5 m/min. beibehalten sollen. Denn, was sie aus ihrer Position heraus nicht erkennen können, was das System aber erkennt, ist, dass die Asphaltanlage gerade mit der Verladung nicht nachkommt und es bei höherer Fertiger-Geschwindigkeit in 40 Minuten zu einem Stillstand des Fertigers kommen würde.“
Ziel der dynamischen Logistiksteuerung ist die temperaturabhängige Verladung und unterbrechungsfreie Anlieferung des Mischguts. Dazu wurden laufend die Verladetemperaturen der einzelnen Ausbringungen aus der Asphaltanlage und die Fahrzeiten der LKW beobachtet. Über eine individuelle dynamische Steuerung der Belade- und Ankunftszeiten der LKW bei der Asphaltanlage und dynamische Geschwindigkeitsempfehlungen für die Fertiger wurden die Prozesse schließlich so synchronisiert, dass das Mischgut mit einer kontinuierlich gleichbleibenden Temperatur ausgebracht werden konnte. Das wiederum führte zu sehr guten Ergebnissen hinsichtlich Ebenheit und Schichtenverbund der Asphaltdecke.
Faktor 3: Technisch stabile Maschinensteuerung
Um die Maschinen so minuziös miteinander in Takt zu halten, dabei planparallele Aufbauhorizonte und einen ebenen, gleichmäßig starken Schichtenaufbau von Binder und Decke zu erreichen, bedarf er einer technisch stabilen Steuerung der einzelnen Maschinen, einer Vernetzung aller Maschinen und der zentralen Digitalisierung der gesamten Logistikkette.
So zeigte sich auf der Teststrecke, dass bereits die Einhaltung der Ebenheit beim Aufbauhorizont von entscheidender Wichtigkeit ist. Ziel war es, eine plane Ausgangsbasis zu erhalten, die den Aufbau einer konstanten Tragschicht ermöglicht. Topcon bietet dafür zwei alternative Lösungen. Wo keine Satelliten sichtbar sind, bietet sich das Positionierungssystem mittels Tachymeter an.
Die Robotik-Totalstation in Sekundengenauigkeit sorgt dafür, dass Fräse, Schild oder Bohle exakt ausgerichtet sind. Wo Satelliten erreichbar sind, ist meist die RD-MC Maschinensteuerung – als dritter Bestandteil des Topcon Smoothride-Systems, neben dem RD-M1-Roadscanner und der Magnet-Software – die bessere Wahl. Statt Tiefen einzustellen oder Werte von der Straße abzulesen, gibt hier ein 3D-Entwurfsmodell millimetergenau die Frästiefe vor. So können die eingesetzten Fräsen mit variabler Tiefe immer genau auf das richtige Sollmaß pro Durchlauf abtragen
Durch das gesteuerte Fräsen war so bereits ein zur künftigen Deckschicht paralleles Planum entstanden. Beim Einbau schließlich setzte man somit darauf, den Fertiger nicht 3D-gesteuert, sondern mit Ausgleichssteuerung zu fahren. Um darüber hinaus auch alternative technische Möglichkeiten zu demonstrieren, wurden Teilbereiche mit der Topcon-RD-MC-Fertigersteuerung eingebaut. Die Schichtstärke wurde dabei, begleitend zum Einbau, mittels elektromagnetischer Messung kontrolliert.
Faktor 4: Online-Controlling beim Verdichtungsprozess
Um eine gleichmäßige Verdichtung zu erzielen, spielt die flächendeckende Verdichtungskontrolle direkt beim Verdichtungsprozess eine ganz entscheidende Rolle. Die vier eingesetzten Ammann-Walzen ARP95 verfügen dafür von Hause aus über das Ammann Compaction Expert System ACE Pro, ein automatisches Mess-, Kontroll- und Dokumentationssystem, das nicht nur misst und analysiert, sondern Amplitude und Frequenz entsprechend dem Verdichtungsgrad automatisch anpasst.
Das auf allen Walzen installierte FDVK-System von Topcon (Flächendeckende Verdichtungskontrolle) erfasste im laufenden Prozess Kenngrößen wie Überfahrtenanzahl, Steifigkeit und Temperatur. Die Topcon C-63 Maschinensteuerung übernahm all diese Daten, ermittelte die exakte GNSS-Position der einzelnen Walzen und zeigte positionsgenau und anschaulich visualisiert die noch erforderlichen Überfahrten an. So konnte eine gleichmäßige Verdichtungsqualität erreicht werden, die auf die Langlebigkeit der Straße einen erheblichen Einfluss hat. Durch den Datenaustausch in Echtzeit konnten die nachfahrenden Walzenführer direkt erkennen, wie viele Überfahrten die voranfahrenden Maschinen bereits geleistet hatten.
Faktor 5: Mobile Vernetzung des Gesamtprozesses
Die Intelligenz dieser Systeme zeigt sich in der digitalen Vernetzung all dieser gesammelten Daten und Informationen. So würde es wenig nutzen, wenn jede der vier Walzen nur wüsste, was sie selbst gerade leistet oder bereits geleistet hat. Erst in der intelligenten Vernetzung all dieser Informationen in Echtzeit steckt der Erfolg der Qualitätsbaustelle 4.0. Nur wenn jede Maschine auch weiß, was die andere gerade tut oder getan hat und ihr eigenes Handeln darauf abstimmen kann, wird eine solche Baustelle erfolgreich sein.
Auch hier spielen wieder die Systeme von Topcon, ergänzt durch die mobilen Apps von Ceapoint, eine entscheidende Rolle. So wurden alle Maschine via GNSS miteinander verbunden und konnten Informationen senden, wo sie sich gerade befinden und in welche Richtung sie sich bewegen. Die Anzahl der erforderlichen Walzüberfahrten wurden für jede Einbauschicht durch Kontrollmessungen mit einer Troxler-Sonde bestimmt. Dieser Wert wurde auf den Walzen im Topcon-System hinterlegt, so dass die Walzenführer durch entsprechende farbliche Darstellung darüber informiert wurden, wenn sie die notwendigen Überfahrten erreicht hatten.
Die Eingaben in die Cloud erfolgten dabei alle dreißig Sekunden und nahezu automatisch. Im Laufe des Forschungsprojektes wurden dabei auch alle Schnittstellen-Hürden erfolgreich gemeistert. Über einfache und intuitiv bedienbare Apps konnten die zentralen Informationen von allen Beteiligten auch bequem über Smartphone abgerufen werden. Um vor einer Informationsüberflutung zu schützen, konnte jeder nur die Informationen sehen, die ihn auch direkt betrafen.
Die Herausforderung für ein solches System liegt in der ständigen Balance zwischen der Beladegeschwindigkeit des Mischwerks, der Fertiger- und Walzenleistung und dem Vertrauen des Menschen in die Technik, die – anders als er selbst – den Überblick über das gesamte System behält.
Zuversichtlich in die digitale Zukunft
Neben vielen kleinen Problemen, die im Laufe der Testphase gelöst werden konnten, waren es vor allem die Erfolge, welche die Konsortialpartner zuversichtlich in die digitale Zukunft blicken lassen. So hat es das Team mehrfach geschafft, kontinuierlich acht Stunden lang ohne wartende LKW oder stillstehende Fertiger einzubauen. Als zentraler Treiber fungierte dabei der Fertiger, der seine Geschwindigkeit je nach Ansage des Systems drosselte oder erhöhte.
Die Qualität der eingebauten Asphaltdecken wurde nach jeder Einbauschicht flächendeckend über die gesamte Straße hinweg kontrolliert – und nicht nur linienweise mit dem Planografen, wie es die ZTV verlangt. „Die Ergebnisse sprechen für sich“, so Raimo Vollstädt von Topcon. „Wir konnten hier sieben Kilometer Straße mit digital vernetzten Maschinen in einer sehr hohen Qualität einbauen, die viele Jahre Bestand haben wird.“
Die Erkenntnisse, die aus dieser Forschungsreihe gewonnen werden konnten, sind immens. Noch ist der Aufwand einer solchen digitalen Baustelle recht hoch. Aber wie bei jeder technischen Innovation, wird auch hier die Rentabilität schrittweise kommen. Der Markt bewegt sich und bis 2020 soll diese Art der Baustelle in Baden-Württemberg die Regel sein.
Aktuell empfiehlt das Verkehrsministerium, je eine Landstraße pro Regierungspräsidium in dieser Bauweise umzusetzen. „Der Ball liegt nun bei den Straßenbauverwaltungen“, so Dr. Burkhard Seizer. Das nötige Handwerkszeug für die Verwaltungen werde gerade aufbereitet und stehe demnächst zur Nutzung bereit. Zusammengefasst werden alle Ergebnisse in einem Handbuch, das demnächst fertiggestellt werden wird. Die Baustelle 4.0 ist damit dem Kindesalter entwachsen und lernt nun fliegen.