Die Dichtheitsprüfung wackelt nicht
Aktuelle Information auf dem 3. Deutschen Tag der Grundstücksentwässerung
Mit der Dichtheitsprüfung von Grundstücksentwässerung kann man speziell in NRW derzeit problemlos Säle füllen – aber nicht nur mit aufgebrachten Bürgern, sondern auch mit Fachleuten, die Rat und aktuelle Information für den Umgang mit eben diesen Bürgern suchen. Folgerichtig war der Goldsaal der Dortmunder Westfalenhallen mit 450 Fachbesuchern bis auf den letzten Platz gefüllt, als dort am 25. und 26. Mai 2011 der 3. Deutsche Tag der Grundstücksentwässerung stattfand.
Und ebenfalls konsequent war, dass in diesem Jahr dort erstmals Bürgerinitiativen „contra Dichtheitsprüfung“ ihren Standpunkt vortragen und vertreten durften. Während im Saal der Stand der politischen Diskussion debattiert wurde, gab es draußen im Foyer und im Freigelände den Stand der Technik zu Prüfung und Sanierung, „live“ präsentiert von 40 Ausstellern aus der Branche.
Ein Standardargument gegen die Dichtheitsprüfung, immer wieder von Bürgerinitiativen vorgebracht, ist die Behauptung, diese sei letztlich überhaupt nur als Wirtschaftsförderungsprogramm für die Kanalbranche erfunden worden. Eine solche Funktionalisierung von Politik (durch eine bislang eher durchsetzungsschwache und „exotische“ Branche) ist zwar eine haltlose Unterstellung, jedoch steht hinter dem Thema unbestreitbar ein ausgesprochen voluminöser Markt. Das Illustrierte Roland Waniek, Geschäftsführer des IKT Instituts für Unterirdisches Infrastruktur (Gelsenkirchen) als Mitveranstalter und Moderator des 3. Deutschen Tages der Grundstücks-
entwässerung in seinem Eröffnungsvortrag. Zwar kann derzeit gar keine Rede davon sein, dass eine bundesweite Prüfung und Sanierung von Grundstücksentwässerungsleitungen wie in Hessen oder NRW vor der Tür steht, aber wenn es so käme, müssten zwischen Nordsee und Alpen 20,6 Millionen Grundstücke inspiziert und gegebenenfalls saniert werden. Ausgehend von mittleren Kosten in Höhe von 500 € für die reine Prüfung wäre dies ein Investitionsvolumen von rund 23,7 Mrd. € bundesweit. Nun ist hinlänglich bekannt, dass das „eigentliche“ Problem erst mit der Sanierung undichter Leitungen beginnt. Wanieks Rechnung dazu, auf bisher gesammelten Erfahrungen beruhend: Bei Durchschnittskosten von 6000 € für jedes zu sanierende Grundstück (und einer Schadenquote von 70 Prozent) steht bundesweit ein Invest von 200 Mrd. € an, um die privaten Anlagen flächendeckend auf Vordermann zu bringen – aufzubringen von den Eigentümern der Liegenschaften, überwiegend also von Privathaushalten.
Hohes Gefährdungspotential durch private Leitungen
Ob dieser Aufwand überhaupt begründbar sei, ist eine somit durchaus berechtigte Frage, zu deren Beantwortung Prof. Dr.-Ing Johannes Pinnekamp von der RWTH Aachen antrat, indem er den aktuellen Erkenntnisstand zu den Umweltauswirkungen undichter privater Abwasserleitungen referierte. Grundsätzlich können undichte Leitungen zum Eindringen von Grundwasser ins System und zum Austritt von Abwasser in Böden und Grundwasser führen. Pinnekamp hat unterschiedliche Quellen ausgewertet und kam in Dortmund zu folgender Schlussfolgerung: Zwar führen öffentliche Abwassernetze im Betriebsfall mehr Abwasser als die angeschlossenen Leitungen, andererseits sind diese um ein Mehrfaches schadhafter. Während die öffentliche Kanalisation pro Kilometer 37 Schadstellen mit Exfiltrations-Gefahr aufweist, sind es in privaten Leitungen (je nach untersuchtem Gebiet) zwischen 159 und 260 Defekte pro Kilometer. Prof. Pinnekamps Schlussfolgerung: Die privaten Leitungen sind als potentielle Problemverursacher so ernst zu nehmen wie die öffentlichen Kanäle. Das gilt auch für die Infiltration von Fremdwasser. Hier ist die Sinnlosigkeit einer einseitigen Strategie offen erkennbar: Wird im öffentlichen Kanal saniert, steigt das Grundwasser zwangsläufig an und die undichten privaten Leitungen nehmen nun desto mehr Fremdwasser auf.
In aller Deutlichkeit trat Prof. Pinnekamp dem verbreiteten Vorurteil entgegen, häusliches Abwasser sei harmloser als kommunales Mischwasser. Der zunehmende Verbrauch an Reinigungsmitteln, Farben und „Personal- Care“-Produkten, vor allem aber an Medikamenten, lässt das Gefährdungspotential für die Umwelt stetig steigen, ohne dass es hierfür ein öffentliches Bewusstsein gibt.
Dichtheitsprüfung wird nicht in Frage gestellt
Vor diesem Problemhintergrund nahmen die Gäste im Saal aktuelle rechtliche Statusberichte aus Nordrhein-Westfalen, Hessen und Schleswig-Holstein entgegen. Naturgemäß wurde die Entwicklung der Dichtheitsprüfung in NRW mit besonderem Interesse aufgenommen. Dazu gab es gleich zu Beginn eine glasklare Ansage von Ministerialdirektor Hans-Josef Düwel vom Nordrhein-Westfälischen Umweltministerium (MUNLV): Weder die Dichtheitsprüfung als solche noch die Fristen und Termine werden in Düsseldorf in Frage gestellt. Düwel: „Aufschub oder gar Aussetzung der Dichtheitsprüfung stehen überhaupt nicht zu Diskussion.“ Dennoch gibt es eine deutliche Bewegung auf den Bürger zu - nämlich, was die Durchführung der Sanierung angeht. Wie Dr.-Ing. Viktor Mertsch vom MUNLV später berichtete, wird sein Ministerium „ungefähr binnen 14 Tagen“ einen neuen Runderlass veröffentlichen, in dem u.a. verbindlich geregelt wird, welche Schadensbilder in welchen Zeiträumen zu sanieren sind. Künftig wird es drei Schadenskategorien geben. Neben Schäden, welche die Standsicherheit des Rohrs beeinträchtigen und die sofort zu beheben sind, gibt es Defekte, die mittelfristig ( d.h. binnen 2 bis 5 Jahren ) saniert werden müssen. Daneben aber wird es auch die Kategorie der „Bagatellschäden“ ohne wasserwirtschaftliche Relevanz geben, die gar nicht saniert werden müssen bzw. deren Behebung aus Gründen der Vorsorge im Ermessen des Eigentümers liegt. Dies sollte zu einer deutlichen Reduzierung der wirtschaftlichen Belastung von Grundstückseigentümern in Nordrhein-Westfalen führen. An den Ausgaben für die eigentliche Prüfung kommt jedoch nach wie vor niemand vorbei.
Dass derzeit (entgegen der Wahrnehmung vieler Betroffener) keineswegs nur die nord-
rhein-westfälischen Grundstückseigentümer mit der Pflicht zum Dichtheitsnachweis „belästigt“ werden, machten die Vorträge von Ministerialvertretern aus Schleswig-Holstein und Hessen deutlich. Beide Länder verfolgen dabei jedoch andere Wege als NRW. Schleswig-Holstein hat die Gemeinden per Runderlass dazu verpflichtet,in Wasserschutzgebieten die Dichtheitsprüfung durchzusetzen und in diesem Zusammenhang gleich eine -terminlich modifizierte- Fassung der DIN 1986-30 als Regel der Technik offiziell eingeführt. Dadurch sind in Schleswig-Holstein die Diskussionen um den unzulänglichen Rechtscharakter der Norm ad acta gelegt, denn durch die Einführung wird die Norm nun auch offizieller Teil des politischen Willens. Von der Terminierung der DIN 1986-30 ist man in Schleswig-Holstein allerdings mit der neuen Endfrist 31.12.2025 ebenso abgewichen wie in Hessen, wo man im Herbst 2010 die Grundstücksentwässerungen in den Geltungsbereich des Eigenkontrollverordnung des Landes einbezogen hat – eine Variante, deren konkrete Ausgestaltung Dr. Eberhard Port vom Hessischen Umweltministerium erläuterte. In Hessen wird die Dichtheitsprüfungen von Anschlusskanäle (nach hessischer Definition alle Hausanschlüsse einschließlich der Grundleitungen) zeitlich und organisatorisch an die Durchführung der EKVO im öffentlichen Netz gekoppelt. Da aber die Frist im öffentlichen Netz auf 15 Jahre festgesetzt wurde und für die privaten Leitungen auf 30 Jahre, sind nach heutigem Stand die letzten Grundstücke bis Ende 2039 zu prüfen. Dieses Koppelungsmodell ist im übrigen in NRW auch realisierbar, muss hier aber bis 2023 vollständig vollzogen sein.
Eine ganze Reihe weiterer Vorträge in Goldsaal setzten sich mit der Umsetzung der Dichtheitsprüfung in den Kommunen auseinander. Spannend war dabei u.a. der Strategie-Vergleich der Kommunen Plettenberg und Schwerte. Während Plettenberg auf die neue Vorschriftenlage durch Erlass einer Protestresolution an die Landesregierung reagierte, deren Inhalt durch Bürgermeister Klaus Müller erläutert wurde, hat man in Schwerte energisch mit dem Vollzug begonnen: In Schwerte liegen
98 % des Gemeindegebiets in Wasserschutzgebieten, da Schwerte quasi der Trinkwasserbrunnen für das östliche Ruhrgebiet ist – es muss hier also das gesamte Gemeindegebiet noch vor 2015 auf Dichtheit geprüft werden. Dabei ist man, die Bürgermeister Heinrich Böckelühr erläuterte, durchaus im Plan: Mittlerweile sind 30 % aller Gebäude geprüft worden. Der zügige Umsetzung basiert auf zwei Säulen: Der Vorbildrolle der Kommune im eigenen Gebäude und Leitungsbestand zum einen und einer seit über 10 Jahren äußerst intensiven Kommunikation mit dem Bürger zum anderen.
Gegenstand weiter praxisnaher Vorträge waren die Fragen nach der Sanierungsfrist für defekte Leitungen, nach dem Umgang mit Fremdwasser und nach der Lösung der allgegenwärtigen Drainageprobleme.
Der zweite der Tag der Veranstaltung bot dann Aktuelles aus dem Regelwerk –immerhin befindet sich DIN 1986-30 derzeit in grundlegender Überarbeitung- sowie dem Stand der Technik, und setzte sich mit dem Aspekt des Denkmalschutzes ebenso auseinander wie mit dem Schutz der Bürger vor unseriösen „Angeboten“. Auf großes Interesse stieß die Vorstellung der sehr umfangreichen und detaillierten Arbeitshilfe „Bewertung und Sanierung von Grundleitungen mit häuslichem Abwasser“ der Stadtentwässerungsbetriebe Köln. Auch die Umsetzung des § 61a im Bestand großer Wohnungsbauunternehmen wurde thematisiert. In dieser Form neuartig war der „Markt der Möglichkeiten“. Hier wurden insgesamt 13 Kommunale Konzepte zum Umgang mit der Dichtheitsprüfung präsentiert und mit den Teilnehmern diskutiert: Eine Idee die bei den Besuchern hervorragend ankam. Praxis zum Anfassen gab es überdies natürlich auch auf den 40 Ausstellerständen rund um Technologie und Dienstleistung zur Grundstücksentwässerung. In dieser teils doch recht innovativen Konzeption wurde der deutsche Tag der Grundstücksentwässerung auch von seinen Initiatoren und Veranstaltern als voller Erfolg gewertet. Fazit: Der nächste Tag der Grundstücksentwässerung kommt bestimmt.n