Energiewende: Nutzung von Abwärme effizient
Mit moderner Wärmeübertrager- und Wärmepumpentechnik kann dem Abwasser Wärme entnommen und nutzbar gemacht werden. Siedlungen mit zentraler
Wärmeversorgung, Mehrfamilienhäuser und kommunale Gebäude bieten ideale
Voraussetzungen, die so gewonnene Abwärme effizient zu verwenden.
Solarparks, Windräder und Biogasanlagen sind die Schlüsselbausteine im regenerativen Strommarkt. Ihre Projektierung wird jedoch immer mehr durch Bürgerbegehren und langwierige Genehmigungsverfahren im Rahmen des Natur- und Artenschutzes erschwert. Die unscheinbare, aber große Energiequelle Abwasser hingegen befindet sich zum Greifen nahe, allerdings bisher unerkannt im Untergrund. Wärmeübertrager, Voraussetzung um diesen Energieschatz zu heben, können für den Bürger unsichtbar im Kanalnetz installiert werden. Anwohner werden durch den Betrieb dieser Technik nicht gestört, das Stadtbild wird nicht verändert und die Natur nicht beeinträchtigt [1].
Verbund Abwasserwärmenutzung
Im Auftrag des Umweltbundesamtes ermittelt inzwischen die Themenallianz Abwasserwärmenutzung (AWN) das Marktpotential durch einen eigenen Arbeitskreis. Zu diesem gehören das Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Universität Stuttgart, Vertreter von Entwässerungsbetrieben sowie spezialisierte Ingenieurbüros mit jahrzehntelanger Erfahrung. Die Studie könnte bisherige Vermutungen der Themenallianz AWN bestätigen, nach denen sich rund 6 % aller Gebäude in Deutschland mit Abwasserwärme beheizen lassen. Die generierbare Wärmemenge entspricht laut deren Annahme ca. 35-40 TWh/a [2]. Unberücksichtigt sind dabei Einsatzmöglichkeiten im Zusammenhang mit Kläranlagen.
Technikvarianten
Kanalwärme ist Abwärme. Diese mit Priorität zu nutzen, scheint plausibel. Schließlich ist sie wie Solar- und Erdwärme ohnehin vorhanden. Abwärme muss nicht erzeugt, sondern nur nutzbar gemacht werden. Entscheidend für die bestmögliche Effizienz ist die Auswahl der Systemkomponenten. Grundsätzlich muss die zurückgewonnene Wärme ohne große Verluste in die Haustechnik eingespeist werden. Bisher gebaute Anlagen unterscheiden sich unter anderem danach, wie nahe an der Wärmequelle die Rückführung stattfindet:
– Wärmeübertrager in der Duschtasse integriert. Im Gegenstrom wird das Trinkwasser auf dem Weg zur Brause damit erwärmt.
– Wärmeübertrager in der Technikzentrale/Grauwasseranlage integriert. Wasser und Wärme aus Dusche, Badewanne und Handwaschbecken werden im selben Gebäude wieder verwendet.
– Wärmeübertrager in der Technikzentrale/Abwasserleitung integriert. Wärme aus dem häuslichen Abwasser wird im selben Gebäude wieder verwendet.
– Wärmeübertrager im öffentlichen Abwasserkanal versorgt die Wärmepumpe eines Gebäudes bzw. einer speziellen Siedlung.
– Wärmeübertrager und Wärmepumpe befinden sich im Gebäude, durch das ein Bypass des öffentlichen Abwasserkanals geführt wird.
Systemlösungen in Stuttgart, Berlin und Frankfurt
Seit 2010 bezieht die neu erstellte Siedlung „Seelberg-Wohnen“ in Stuttgart-Bad Cannstadt Wärme aus dem öffentlichen Abwasserkanal. Sechs Mehrfamilienhäuser mit 111 Eigentumswohnungen und 10.500 m² Gesamtwohnfläche sparen hier ca. 50 % Primärenergie bzw. CO2-Emissionen [3]. Die Ergebnisse sind in einer von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Studie dokumentiert.
Im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg ist seit Ende März 2012 die Grauwasser-Recyclinganlage mit vorgeschalteter Wärmerückgewinnung für ein Passivhaus mit 41 Mietwohn- und 4 Gewerbeeinheiten fertiggestellt [4]. Nach Auswertung der ersten Betriebsergebnisse steht für Erwin Nolde, dem Planer der Anlage, fest: „Das Projekt zeigt, dass es möglich ist, mit einem elektrischen Gesamtenergieaufwand von max. 2 kWh aus einem Kubikmeter Grauwasser hochwertiges Betriebswasser herzustellen, in das Netz einzuspeisen und dem Grauwasser vorab sogar noch 10 – 15 kWh thermische Energie zu entziehen.“ Diese wird zur Vorerwärmung des kalten Trinkwassers genutzt, bevor es im Boiler auf ca. 60 °C erwärmt wird. Seit der Inbetriebnahme wird die Anlage von Nolde & Partner betreut. Die Entwicklung des Wärmerückgewinnungsmoduls und das Monitoring wurden von der DBU bezuschusst.
Im Frankfurter Stadtteil Bockenheim entsteht in der Salvador-Allende-Straße seit Sommer 2014 ein Passivhaus als Neubau mit 66 Wohnungen und einer Kindertagesstätte. Umgesetzt und erprobt wird hier die Wärmerückgewinnung aus dem Abwasser des Hauses als Maßnahme der energetischen Optimierung. Aufbereitetes Grauwasser für die Toilettenspülung ist ein weiteres Thema. Es kommt in der Hälfte des Gebäudes zum Einsatz. Dieses Vorhaben wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert [5]. Es ist Teil des Forschungsvorhabens netWORKS 3, mit dem Kommunen und Wasserwirtschaft bei der Organisation von Prozessen zur Umsetzung neuartiger Systemlösungen unterstützt werden sollen. Wasser- und Wärmerecycling gehört dazu.
Abwasserkanal als Wärmeleitung
Nicht nutzbare Abwärme aus Kraftwerken und Industriebetrieben wird bisher arglos an unsere Umwelt abgegeben. Damit werden auf Umwelt schädigende Art Atmosphäre sowie Gewässer aufgeheizt. Hierbei handelt es sich um ein gigantisches Abwärmepotential, das ohne allzu großen Aufwand nutzbar gemacht werden kann. Die Idee: Überschüssige Energie aus Kraftwerken und Industrie wird gezielt an den Abwasserstrom abgegeben, über das vorhandene Kanalnetz transportiert und stromabwärts wieder zum Heizen von Gebäuden entnommen. Mit modernen Wehren zur Kanalnetzbewirtschaftung wird dieses Abwasser und der darin enthaltene Energiefluss bedarfsorientiert gesteuert und gelenkt.
Kanalnetzbewirtschaftung heißt die neue Disziplin in der Abwasserbranche. Der punktuelle Wärmeentzug oder die systematische Nutzung als Abwärmestrom wird seit 2013 unter anderem beim jährlich stattfindenden, von der Technischen Akademie Hannover veranstalteten Branchentreff in Geisingen an der Donau diskutiert [6]. Mögliche Folgen für den Kanalbetrieb und die Kanalisation und deren Vermeidung hatte Prof. Dr.-Ing. Karsten Körkemeyer von der TU Kaiserslautern im Blick, als er beim 2. Deutschen Kanalnetzbewirtschaftungstag am 1. Oktober 2014 in seinem Vortrag „Wärmerückgewinnung im Einklang mit der Netzbewirtschaftung“ auf die möglichen Auswirkungen erhöhter Temperaturen in Hybridnetzen zu sprechen kam. Das sind Kanalnetze, die mit Abwärme aus Kraftwerken oder aus der Industrie bewusst „aufgeladen“ werden, um einerseits die klimaschädigenden Auswirkungen von Kühltürmen auf die Atmosphäre zu vermeiden und andererseits die Abwärme in Fließrichtung weiter unten im Kanal zurückzugewinnen.
Abwärme nutzen, Klima schützen
Nach Körkemeyers Auffassung wäre eine dauerhafte Erhöhung der Temperatur bei häuslichem Abwasser auf 22°C unschädlich. Seiner Meinung nach ließen sich bei höherem Wärmepotential im Kanal wegen der höheren Vorlauftemperaturen Wärmepumpen effektiver betreiben. Er plädierte dafür, die bauliche Sanierung von Kanälen mit dem Einbau von Wärmetauschern zu kombinieren und dadurch finanzielle Mittel besonders effizient zu verwenden. Dann wäre der volkswirtschaftliche Nutzen dieser Art von Energiegewinnung enorm.
Körkemeyer verwies auf den 2011 veröffentlichten Arbeitsbericht „Nahwärmenetz Kanal“ von Fahl, U. et al., Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Universität Stuttgart. Diese Studie zeigt den Zusammenhang von Kläranlagen, geeigneten Abwasserkanälen, Industriegebieten und Gebieten mit hohem Wärmebedarf. Das Ergebnis offenbart, dass theoretisch mit der in unseren Kanälen vorhandenen Abwasserwärme bereits heute 8,9 % des deutschen Energiebedarfs für Raumwärme und Warmwasser gedeckt werden könnten. Zugleich würden damit 6,14 % der CO2-Emissionen privater Haushalte bzw. 0,76 % der gesamten deutschen CO2-Emissionen vermieden. Das sind immerhin 6,5 Mio. Tonnen.
Durch die zusätzliche Einspeisung von Abwärme ließe sich laut Studie bei 35°C Abwassertemperatur das Potential für die Wärmeversorgung aus Abwasser um den Faktor 3 auf 28 % steigern. Es sei genügend Abwärme aus Kraftwerken und Industrieprozessen vorhanden, um das hierfür nötige Wärmepotenzial im Abwasser zu erzeugen. Und bei der CO2-Einsparung handle es sich dann um 20,7 Tonnen, gleichbedeutend mit 19,46 % der Emissionen privater Haushalte bzw. 2,4 % des gesamten deutschen Ausstoßes. Die Studie schließt mit dem Hinweis, „durch Abwärmenutzung bleiben Wertschöpfung und Arbeitsplätze im eigenen Land“. Wahrscheinlich bleiben sie sogar in der eigenen Kommune.