Kanäle kombiniert bewirtschaften
Kanäle können mehr als nur Abwasser ableiten. Das ist das Fazit des 1. Deutschen Kanalnetzbewirtschaftungstages, der am 6. Juni 2013 in Geisingen an der Donau stattgefunden hat.
Bei einer für das jeweilige Kanalnetz programmierten Bewirtschaftung lassen sich mehrere Funktionen gleichzeitig steuern – und damit sowohl Energie als auch Investitionen sparen. Doch die Umstellung dauert, sie verlangt von den Mitarbeitern der kommunalen Eigenbetriebe ein Umdenken und ändert deren Arbeitsweise.
Der Titel des Kongresses lässt erwarten, dass es Nachfolgeveranstaltungen in bestimmtem Turnus geben wird. Nach dem Erfolg des Auftakts mit 21 Referenten, 34 Ausstellern und knapp 300 Teilnehmern werden beim Ausrichter, der Firma Uhrig, als auch beim Veranstalter Technische Akademie Hannover e. V. (TAH) entsprechende Pläne geschmiedet. Dr.-Ing. Igor Borovsky, Vorsitzender der TAH, ist zufrieden mit dem Verlauf der Premiere. „Wir hatten eine stattliche Teilnehmerzahl aus Deutschland, Frankreich, Belgien, Spanien, Portugal und USA. Dank Synchronübersetzung in verschiedene Sprachen konnten sich diese aus dem Ausland angereisten Fachleute gut an der Diskussion beteiligen.“
gewachsenes Kanalnetz ist unflexibel
Unsere Abwasserinfrastruktur hat sich sozial und räumlich ausgewogen entwickelt. Sie ist, überwiegend getragen von den Kommunen, über viele Jahrzehnte als zentrales System gewachsen. Dies gewährleistet uns heutzutage eine flächendeckende Entsorgung mit hoher Entwässerungssicherheit. Damit einher geht eine extrem lange technische und ökonomische Lebensdauer.
Die Folge davon ist mangelnde Flexibilität - ein Hindernis im Hinblick auf die einschneidenden Veränderungen, vor denen Kanalnetzbetreiber zukünftig stehen werden. Industrialisierung, verändertes Konsumentenverhalten und demografische Umbrüche führen in vielen Regionen zur Reduktion des Wasserverbrauchs, was auch bei der Entwässerung erhebliche Rück- und Umbaukosten zur Folge hat. Kanalnetze sind grundsätzlich verschieden – und doch gibt es Gemeinsamkeiten. Es lohnt sich, Erfahrungen zu technischen Neuerungen sowie besondere Vorteile bei Organisation, Vergabe, Bau und Betrieb zu vergleichen, zu hinterfragen und zu diskutieren. Diese Möglichkeit bot der 1. Deutsche Kanalnetzbewirtschaftungstag. In zwei parallel laufenden Vortragsblöcken konnten sich die Teilnehmer über die Themen Kanalnetzbewirtschaftung und Kanalsanierung / Energie aus Abwasser genauer informieren.
Intelligente Netzbewirtschaftung ist flexibel
Die Intelligenz eines Kanalnetzes hängt zusammen mit der Fähigkeit, auf die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen flexibel zu reagieren. Ob den daraus erwachsenden Anforderungen in der Zukunft konventionelle Systeme mit Regenüberlaufbecken sowie Trenn- und Drosselbauwerken zufriedenstellend gewachsen sind? Diese und ähnliche Fragen wurden diskutiert. Prof. Dr.-Ing. Theo G. Schmitt, der Siedlungswasserwirtschaft an der Technischen Universität Kaiserslautern lehrt und Obmann des DWA-Fachausschusses ES-2 „Systembezogene Planung“ ist, eröffnete die Veranstaltung mit seinem Vortrag „Zukunftsherausforderung Netzbewirtschaftung“ und gab bekannt, dass trotz der auffälligen Häufung lokaler Starkregenereignisse pauschale Bemessungszuschläge in der Siedlungsentwässerung nicht zu empfehlen sind. Vielmehr müsste die Überflutungsvorsorge als kommunale Gemeinschaftsaufgabe betrachtet werden, bei der neben der unterirdischen Kanalisation auch die Gegebenheiten der Oberfläche und lokaler Objektschutz einbezogen werden. Er empfiehlt eine Neuausrichtung der Bewertung und Betrachtung im Sinne eines Risikomanagements, das bei zunehmenden Ungewissheiten mit höherer Flexibilität und Anpassungsfähigkeit reagieren müsse – letztlich ein Plädoyer für eine stärker dezentrale Ausrichtung der Siedlungsentwässerung in Verbindung mit einer optimalen Bewirtschaftung vorhandener Kanalnetze.
Die intelligente Kanalnetzbewirtschaftung darf aber kein Selbstzweck sein, so der Tenor der weiteren Vorträge. Es müssen Wirtschaftlichkeitsbetrachtung, Nutzungsdauer und Werterhalt im Vordergrund stehen. Insofern ist es schon für anstehende Sanierungsmaßnahmen wichtig, das Ziel zu kennen und zu wissen, wie das Kanalnetz der Zukunft aussehen soll. Nur so wird vermieden, in die falsche Richtung zu investieren, viele Jahrzehnte lang ins Hintertreffen zu geraten und der Entwicklung hinterher zu laufen. Massive substanzielle und finanzielle Probleme wären über eine längere Zeitspanne zu verkraften, möglicherweise verursacht durch bekannte Phänomene wie zunehmend aggressive und übel riechende Ablagerungen im Kanal, stark schwankende Abwasserkonzentration oder Rückstau bei Hochwasser. Laut DWA-Leistungsvergleich kommunaler Kläranlagen 2011 besteht „bei einigen Anlagen (Kanalnetz und Kläranlage) noch immer Anpassungsbedarf an den Stand der Technik“. Könnten dort vielleicht schon fortschrittlichere Konzepte realisiert werden, statt weitere Becken zu bauen und aufwendige Hochwasserpumpwerke zu betreiben, statt vermeidbaren Austrag von Ablagerungen in Becken und Flüsse zu riskieren? Mit solchen und ähnlichen Fragen wurden die Aussteller in den Veranstaltungspausen konfrontiert.
Energieeffizienz senkt Betriebskosten deutlich
Den Präsentationen des 1. Deutschen Kanalnetzbewirtschaftungstages nach zu urteilen bestehen die viel versprechenden Aspekte einer intelligenten Netzbewirtschaftung aus Kombinationen von Nutzen des Kanalvolumens als Stauraumkanal sowie Einbauen von Spülschiebern und Wehranlagen zum Drosseln und Kaskadieren. Dies ermöglicht Staustufen mit und ohne Entlastung. Der Überflutungsschutz kann mit beweglichen Wehren meteorologisch gesteuert flexibel nach tatsächlicher Wettersituation erfolgen. Permanent saubere Kanäle sind die erwünschte Folge mit kontinuierlich weitergeleiteten Sedimenten. Auf der Kläranlage führt das zu gesteigerter Effizienz und sinkenden Betriebskosten aufgrund Vergleichmäßigung der Abwasserkonzentration und somit weitgehend konstanten CSB-Frachten im Zulauf.
Bekanntermaßen sind Kläranlagen und Pumpwerke die größten Stromverbraucher einer Kommune. Deren Betriebskosten steigen und fallen entscheidend mit dem Stromverbrauch. Und hier darf bei neuartigen technischen Komponenten zur Kanalnetzbewirtschaftung eine spürbare und nachhaltige Einsparung durch Energieeffizienz erwartet werden. Wenn Wasser nicht aus Rückhaltebecken nach oben gepumpt werden muss, weil es im Kanalrohr auf normalem Niveau gestaut wird, spart das bereits elektrische Energie.
Ein Verfahren zur Ermittlung der Wirtschaftlichkeit einer Kanalnetzbewirtschaftung hat Marko Siekmann vom FIW Aachen (Forschungsinstitut für Wasser- und Abfallwirtschaft an der RWTH Aachen e.V.) vorgestellt, ergänzt durch Erfahrungsberichte von Betreibern – z. B. zur frachtbezogenen Steuerung des Kanalnetzes in Wuppertal, zum Hochwasserschutz von Abwasseranlagen in Mainz und zur Nutzung von vorhandenem Stauraumvolumen durch Kaskadierung in Hürth/NRW. Drei Speicherkaskaden im Hauptschluss beinhalten dort die bisher fehlenden 3.400 m³ zur Rückhaltung und als zusätzliches Extra ein für den Hochwasserschutz aktivierbares Stauraum-Volumen von 2.500 m³.
Bei Regen wird von oben nach unten gestaut, bei Trockenwetter von unten nach oben freigegeben - optimiert durch ein eigenes Prozessleitsystem. Laut Kai Wapenhans, Abteilungsleiter Entwässerung der Stadtwerke Hürth, kann die Kaskadierung eine wirtschaftlich sinnvolle Lösung sein, sobald die Mitarbeiter sich an die im Kanalbetrieb noch ungewohnte Hydraulik, an die größere Anzahl beweglicher Teile und entsprechend geänderte Verhaltensregeln sowie die größere Komplexität der Steuerung gewöhnt haben. Vermutlich ist die Arbeit dann auch körperlich weniger anstrengend und für die Gesundheit unbedenklich.
Wirtschaftlich sinnvolle Netzerneuerung
In der Publikation „Branchenbild der deutschen Wasserwirtschaft 2011“ stellen die Verfasser unter der Überschrift Netzerneuerung fest: „Trinkwasser- und Abwassernetze haben eine Lebensdauer von bis zu 100 Jahren. Dies bedeutet, dass die kontinuierliche Instandhaltung und Erneuerung der Netze eine Daueraufgabe ist. Die technisch und wirtschaftlich sinnvolle Netzerneuerungsrate muss jedes Unternehmen unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten wie zum Beispiel Rohrnetzmaterial, Netzalter, Schadensraten, Leckagen ermitteln“.
Ca. 31 % der vorhandenen Abwasserkanäle wurden in den letzten 25 Jahren gebaut, 39 % sind zwischen 25 und 50 Jahren alt. Etwa 70 % der Abwasserkanäle sind demnach jünger als 50 Jahre. Die mittleren Kosten für die Kanalsanierung, ermittelt aus den Kostenangaben für Reparatur-, Renovierungs- und Erneuerungsmaßnahmen, lagen im Zeitraum von 2004 bis 2008 bei rund 908 € je Meter instand gesetzten Kanals. Im Mittel sind Investitionen in der Größenordnung von 8.000 € pro Jahr und Kilometer Kanalnetz von den Betreibern vorgesehen. Für eine Großstadt mit einem Kanalnetz von 2.000 km Länge entspricht dies einer Investition von 16 Mio. € pro Jahr (Quelle: DWA-Umfrage 2009).
Kanal als Nahwärmenetz?
Sehen wir Kanalnetzbewirtschaftung unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit, müssen wir auch das Potential der Wärmeenergie betrachten und diesen verborgenen Schatz heben, d. h. die verfügbare Energie in klingende Münze verwandeln. Dem Netzbetreiber fällt hier die entscheidende Rolle zu. Er kennt die besonders interessanten Stellen, wo stetig ein hoher Volumenstrom mit viel Wärme eingeleitet wird und diejenigen, bei denen diese Energie besonders effektiv als Abwärme, unter bestimmten Umständen sogar mit zusätzlicher Unterstützung durch staatliche Förderung, genutzt werden kann. Die optimale Betriebstemperatur der Kläranlage im Blick, kann die thermische Bewirtschaftung des Kanalnetzes eine lukrative Zusatzaufgabe sein. Im Zuge von ohnehin erforderlichen Sanierungsmaßnahmen im Kanalnetz sinken die Investitionen für nachträgliche Abwärmenutzung auf ein attraktives Niveau.
Kraftwerke, Industrie und Gewerbe könnten unter bestimmten Voraussetzungen darüber hinaus gezielt Abwärme in den Kanal abgeben, statt Flüsse und Atmosphäre damit zu belasten. Laut Univ.-Prof. Dr.-Ing. Karsten Körkemeyer von der Fakultät Baubetrieb und Bauwirtschaft der Universität Kaiserslautern, ließen sich bei höherem Wärmepotential im Kanal und damit höheren Vorlauftemperaturen auch Wärmepumpen effektiver betreiben. Er plädierte im abschließenden Vortrag der Tagung in Geisingen dafür, die bauliche Sanierung zu kombinieren mit dem Einbau von Wärmetauschern und damit finanzielle Mittel effizient zu verwenden.
Projekte zum Thema Nahwärmenetz Kanal sind derzeit in Lünen/NRW und im französischen Valenciennes/Nord-Pas-de-Calais beantragt bzw. in Planung. Bereits 2011 hat das Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Universität Stuttgart eine Potential-Studie erstellt. Sie zeigt den Zusammenhang von Kläranlagen, geeigneten Abwasserkanälen, Industriegebieten und Gebieten mit hohem Wärmebedarf. Das Ergebnis zeigt, dass mit der vorhandenen Abwasserwärme in den Kanälen 8,9 % des deutschen Energiebedarfs für Raumwärme und Warmwasser gedeckt werden können. Durch die Einspeisung von Abwärme lässt sich das Potential für die Wärmeversorgung aus Abwasser um den Faktor 3 auf 28 % steigern. Es ist genügend Abwärme aus Kraftwerken und Industrieprozessen vorhanden, um das Potenzial zu decken. Die Studie schließt mit dem Hinweis, durch Abwärmenutzung blieben Wertschöpfung und Arbeitsplätze im eigenen Land. Wahrscheinlich bleiben sie sogar in der eigenen Kommune.
Fazit
Ziel könnte sein, so das Meinungsbild mehrerer Diskussionsrunden während der Veranstaltung, die hydraulische und die thermische Bewirtschaftung langfristig als Kombination zu planen und zu organisieren. Wenn Zustand, Sanierungsbedarf, freie Kapazitäten des vorhandenen Netzes und geplante Entwicklung neuer Entwässerungsabschnitte bekannt sind sowie verfügbare Wärmepotentiale festgestellt werden, kann mit speziell dafür entwickelten Verfahren ein Vergleich der Wirtschaftlichkeit zwischen traditioneller Bau- und Betriebsweise einerseits und moderner Netzbewirtschaftung andererseits angestellt werden.
Mehr zum 1. Deutschen Kanalnetzbewirtschaftungstags am 6. Juni 2013 in Verbindung mit dem Fachkongress Kanalsanierung / Energie aus Abwasser ist zu finden unter www.netzbewirtschaftung.de