Ertüchtigung der Überbauung über der Gerbersaale
Technisch anspruchsvolle Randbedingungen
Im März 2009 wurde eine Arbeitsgemeinschaft, bestehend aus der Ingenieurbüro Preuss & Partner GmbH, Halle/Saale (Wasserhaltung, Beräumung, Ertüchtigung des Gewölbes) und der Ingenieurbüro für Verkehrsanlagen GmbH, Halle/Saale (Tragwerksplanung) durch die Stadt Halle/Saale mit der Planung der statischen Ertüchtigung der Überbauung über der Gerbersaale beauftragt. Als künftiger Eigentümer und Nutzer wirkte die Hallesche Wasser und Stadtwirtschaft GmbH technisch beratend bei der Planung und Bauausführung mit.
In der Stadt Halle/Saale wurde in den Jahren 1894/95 die bis dahin als offener Nebenarm der Saale fließende Gerbersaale mit einem Gewölbe überbaut, um hier eine Straße, den Hallorenring, errichten zu können. Damit konnte dem gestiegenem Verkehrsaufkommen Rechnung getragen und eine neue Nord-Süd-Verbindung geschaffen werden, die auch heute noch eine wichtige Verkehrsverbindung darstellt.
In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde mit dem Bau der Hochstraße ein Teil der Gerbersaale verfüllt, der verbleibende Teil dient der Ableitung von Regenwasser und Mischwasserabschlägen aus dem Kanalnetz der Stadt Halle. Beim Bemessungsregen mit einer Wiederkehrdauer von 5 Jahren müssen über die Gerbersaale ca. 15 m³/s Mischwasser abgeleitet werden. Das vorhandene Gewölbe wurde in Stampfbetonbauweise als Maulprofil mit einer lichten Breite von 5,50 m und einer lichten Höhe von 3,20 m errichtet. In der Sohle wurde zusätzlich eine Klinkerrollschicht eingebaut. Die Länge des noch bestehenden Teils der Gerbersaale beträgt rund 416 m.
Die Gerbersaale weist zum Teil sehr starke statische Schäden auf. Es sind zahlreiche Längs- und Querrisse vorhanden. Durch diese Risse infiltriert zeitweise Grundwasser in die Gerbersaale.
Im Vorfeld der Planungsarbeiten wurden umfangreiche statische Untersuchungen des Gewölbes durchgeführt, die eine stetige Verschlechterung des Bauzustandes belegten, so dass hier kurzfristig Handlungsbedarf bestand.
Ziel der Planung war die Auswahl eines Bauverfahrens, welches einerseits die statische Tragfähigkeit wieder herstellt, andererseits aber ohne ein vollständiges Freilegen der Gerbersaale möglich war. Außerdem durfte die Querschnittsreduzierung nur so groß sein, dass die erforderliche Mischwassermenge schadlos abgeleitet werden kann.
Durch die Planer wurden mehrere Sanierungsvarianten untersucht. Die favorisierten Verfahren waren der Einbau von GFK-Kurzrohren und der Einbau einer umlaufenden Betonschale in der Betongüte C35/46 mit zweilagiger Bewehrung. Die Entscheidung fiel dann zu Gunsten der preisgünstigeren Betonschale.
Neben einer umfangreichen geologischen Erkundung, die Gerbersaale liegt im Bereich einer tektonischen Störung, der sogenannten „Halleschen Marktplatzverwerfung“, war auch eine umfangreiche hydrologische Vorerkundung und Baubegleitung erforderlich.
Die Bauarbeiten wurden in 2 Losen vergeben. Das Los 1 beinhaltet die Wasserhaltung, das Frühwarnsystem sowie die Beräumung des Gewölbes. Den Auftrag für diese Arbeiten erhielt die ARGE Wasserhaltung und Beräumung, bestehend aus der Tief- und Spezialbau Halle GmbH, der beton & rohrbau C. F. Thymian GmbH Co.KG und der Papenburg Hochbau GmbH.
Das Los 2 umfasste den Einbau der Stahlbetoninnenschale. Für diese Arbeiten erhielt die Otto Heil GmbH & Co KG aus Taucha/Sachsen den Auftrag.
Baudurchführung Los 1: Wasserhaltung und Beräumung
Bereits für die Beräumung waren der Aufbau der Wasserhaltung, der Bau einer Absperrung der Gerbersaale zum Mühlgraben und die Errichtung einer Baugrube erforderlich. Die Wasserhaltung wurde als Heberleitung ausgelegt. Es wurden Rohre von DN 900 bis DN 1400 verwendet. Allein über die Heberleitung DN 1400 können rund 2 m³/s abgeleitet werden.
Da eine Wasserhaltung für 15 m³/s wirtschaftlich und technisch nicht realisierbar war, muss die Baustelle bei Starkregenereignissen aufgegeben und geflutet werden. Um bei einem solchen Niederschlagsereignis eine Gefährdung des Personals durch Mischwasserabschläge über die Gerbersaale zu verhindern, wurde ein Frühwarnsystem installiert. Zur Auslegung des Frühwarnsystems waren umfangreiche hydraulische Berechnungen notwendig.
Aufgrund des sehr großen Einzugsgebietes der Gerbersaale kann es durch Niederschläge in weit entfernten Stadtteilen zu einer Flutung der Gerbersaale kommen, ohne dass das unmittelbare Baugebiet zwangsläufig von den Niederschlägen betroffen ist. Es wurden deshalb im Stadtgebiet 3 Regenschreiber und 6 Messstellen im Netz errichtet. Die Messdaten werden zentral erfasst und ausgewertet. Über ein dreistufiges Warnsystem wird das Baustellenpersonal gewarnt (Voralarm, Räumungsalarm, Akutalarm). Die Benachrichtigung erfolgt sowohl über SMS als auch über Schall- und Lichtsignale innerhalb der Gerbersaale.
Aufgrund der sehr schwierigen geologischen Verhältnisse war die Gründung der Bauwerke für die Wasserhaltung technisch sehr anspruchsvoll. Das Heberoberhaupt wurde wegen zahlreicher Hindernisse als Spundwand mit vorlaufender Großlochabbohrung ausgeführt. Das Auslaufbauwerk erhielt einen Verbau aus in Großlochbohrungen eingestellten Doppel-T-Trägern mit Gurtung und eingestellter Spundwand. Beide Bauwerke erhielten zudem eine auftriebssichere Betonsohle. Die Baugrube, aus welcher heraus die Arbeiten ausgeführt wurden, wurde mit einem Bohrträgerverbau gesichert. Die Bauwerkssohle bildete hier die untere Hälfte des Altprofils.
Da die Gerbersaale aufgrund des Schadensbildes als Drainage wirkt, war eine Entleerung nur bei einer gleichzeitigen Kontrolle der Wasserstände im umliegenden Gebiet möglich. Bei einem zu starken Absinken des Grundwasserstandes war mit einer Gefährdung der umliegenden Bebauung zu rechnen. Für die dafür erforderlichen Arbeiten wurde eine geohydrologische Begleitung der Bauarbeiten vorgesehen, die Grundwasserstände wurden während der Baumaßnahme ständig überwacht.
Um den Grundwasserstand nicht unter einen festgelegten Wert absinken zu lassen, wurden Infiltrationsbrunnen gebohrt und zusätzliche Infiltrationslanzen vorgehalten, um gegebenenfalls Wasser in das umliegende Erdreich infiltrieren zu können.
Nach dem Aufbau der Wasserhaltung erfolgte die Beräumung mit Radladern und einem Hebezeug über die etwa in der Mitte der Gerbersaale angeordnete Baugrube. Der Schlamm und die Sedimente wurden vor Ort auf einer abgedichteten Fläche zwischengelagert, entwässert und anschließend auf einer zugelassenen Deponie entsorgt.
Baudurchführung Los 2: Ertüchtigung des Gewölbes
Nach der vollständigen Beräumung der Gerbersaale wurde diese einer Feinreinigung unterzogen und anschließend eine 3D-Vermessung im Laserscannverfahren durchgeführt. Daraus wurde dann ein 3D-Modell generiert, mit dessen Hilfe eine rechnergestützte Kalibrierung zur Ermittlung des größten einbaubaren Profilquerschnittes bei konstantem Längsgefälle erfolgte.
Die statische Ertüchtigung erfolgt durch den Einbau einer 25 cm dicken Stahlbetonschale, welche die statischen Belastungen vollständig aufnimmt. Der Einbau erfolgt in Abschnitten von 10 m, die Sohle und das Gewölbe werden dabei in getrennten Arbeitsgängen hergestellt. Hervorzuheben ist dabei, dass die einzubauende Stahlbetonschale nur ein Gefälle von 0,3 Promille, also 3 mm je Betonierabschnitt aufweist. Hier ist ein sehr präzises Arbeiten erforderlich, um ein durchgehendes Gefälle zu erhalten. Es wurde eine zweilagige Mattenbewehrung mit einer Betonüberdeckung von 5,5 cm eingebaut. Im Bereich von großflächigen Ausbrüchen oder Lageabweichungen, in denen die äußere Betonüberdeckung 10 cm überschreitet, wurde eine 3. Bewehrungslage zur Rissbreitenbegrenzung eingebaut.
Zur Erzielung einer glatten Oberfläche und eines zügigen Baufortschrittes werden für die Sohle und das Gewölbe Schalwagen verwendet. Fertigungstechnisch bedingt werden im Sohlbereich nur die Kämpfer geschalt, der Sohlbereich wird mit einer Rüttelbohle abgezogen und von Hand geglättet.
Der Einbau des Gewölbes erfolgt mit Hilfe eines dreiteiligen Schalwagens. Die einzelnen Schalwagen werden miteinander verbunden. Im Bereich der Bögen können sie einzeln eingesetzt und die Zwischenräume konventionell geschalt werden. Jedes der drei Schalwagensegmente hat 3 Einfüllöffnungen sowie 16 pneumatische Außenvibratoren zur Verdichtung des Betons.
Nach dem Einbau der Bewehrung und der Abnahme durch den Prüfstatiker wurden die Schalwagen positioniert und in ihrer Lage gesichert. Beim Sohlschalwagen waren dabei erhebliche Auftriebskräfte zu kompensieren. Anschließend wurden die Stirnseiten abgeschalt. Der angelieferte Beton der Güte C35/45 wurde mit Hilfe einer Betonpumpe eingebracht. Durch die Nutzung von Bauwerksöffnungen konnte die Förderlänge innerhalb des Bauwerkes auf etwa 70 - 80 m beschränkt werden. Der Einbau des Gewölbebetons und dessen Verdichtung erfolgte nach einem vorgegebenen Regime, um den hohlraumfreien Einbau des Betons zu gewährleisten. Besonders anspruchsvoll war dies im Gewölbe 42, in dem unmittelbar nebeneinander zwei ca. 2,30 m hohe Zuläufe vorhanden waren.
Um Fehlstellen beim Betoneinbau im Scheitelbereich kompensieren zu können, wurde hier ein Verpressschlauch eingebaut. Bei den ersten eingebauten Gewölben wurden diese Bereiche probeweise verpresst. Hier konnten im Mittel 2 kg Verpressmaterial je 10-Meter-Abschnitt eingebaut werden, so dass man hier durchaus von einem hohlraumfreien Einbau des Betons sprechen kann.
Zwischen Sohle und Gewölbe werden Fugenbleche, zwischen den einzelnen Betonierabschnitten werden Dichtungsbänder eingebaut, um ein absolut dichtes Bauwerk zu erhalten.
Während der Bauarbeiten kam es bisher zu insgesamt 6 Flutungsereignissen. Zwei dieser Ereignisse resultieren aus Hochwasserereignissen der Saale, welche das Bemessungshochwasser z. T. deutlich überschritten haben. Bei den anderen vier Flutungsereignissen handelt es sich um Mischwasserabschläge aus dem Kanalnetz, welche über die Heberleitung nicht abgeführt werden konnten. Mit diesen 4 Flutungsereignissen bewegen wir uns im Mittel der statistisch zu erwartenden Anzahl der Entlastungsereignisse.
Diese Mischwasserabschläge traten alle außerhalb der Arbeitszeit auf, so dass das Personal zu keinem Zeitpunkt gefährdet war. Jedoch hat in jedem Fall das Frühwarnsystem die kritischen Wasserstände erfasst und die Alarmierung eingeleitet.
Allerdings ist die Entleerung und Reinigung der Gerbersaale nach einer Flutung sehr arbeits- und zeitintensiv.
Im Zuge der Bauarbeiten wird im Bereich des Auslaufs in die Vorflut ein Dammbalkenverschluss errichtet. Da in der Gerbersaale permanent Wasser steht, soll mit Hilfe dieses Dammbalkenverschlusses die Verbindung zur Vorflut unterbrochen werden, um das Gewölbe regelmäßig entleeren, reinigen und inspizieren zu können.
Die Bauzeit für die gesamte Baumaßnahme beträgt 17 Monate. Die statische Ertüchtigung wurde dabei mit einer Bauzeit von rund 12 Monaten veranschlagt. Je Woche wird ein Gewölbeabschnitt sowie 1 - 2 Sohlabschnitte eingebaut. Der Abschluss der Arbeiten der statischen Ertüchtigung ist für Dezember 2011 vorgesehen.n