Nachweis und Visualisierung von Ablaufstörungen
Bei der Abwicklung von Bauverträgen kommt es oftmals zu Bauablaufstörungen mit Folgen für den für die Ausführung benötigten Zeit- und Kostenaufwand. Für den Ausgleich von Mehrkosten ist eine baubetriebliche Analyse des Bauablaufs erforderlich.
1. Einleitung
Bauablaufstörungen sind Ereignisse, die unerwartet auftreten und zu Abweichungen zwischen einem beobachteten und einem erwarteten Ablauf führen können. Eine Fortschrittsabweichung bezeichnet die unmittelbar durch eine Störung bewirkte Änderung des Ablaufs. Eine Fertigstellungsabweichung kennzeichnet die mittelbar hervorgerufene Änderung der Ausführungszeit (Abbildung 1).
Für die Geltendmachung der aus Bauablaufstörungen resultierenden Mehrkosten existieren mehrere Anspruchsgrundlagen. Gemeinsam ist allen, dass durch die beweispflichtige Partei das Vorliegen und der kausale Zusammenhang zwischen der Störung, der Fortschritts- und der Fertigstellungsabweichung zu beweisen sind:
(a) Bauablaufstörungen aus schuldhafter Pflichtverletzung einer Partei können als Rechtsfolge Schadenersatzansprüche der anderen Partei nach §§ 280, 286 BGB bzw. nach § 6 Nr. 6 VOB/B auslösen. Anspruchsvoraussetzungen sind neben der Pflichtverletzung die Entstehung eines Schadens, die Vollwirksamkeit des Anspruchs, im Regelfall eine Mahnung nach Eintritt der Fälligkeit und das Vorliegen eines Ursachenzusammenhangs zwischen der Pflichtverletzung und dem Schaden.
(b) Bauablaufstörungen durch Unterlassen einer erforderlichen Mitwirkungshandlung können zu Ansprüchen des Auftragnehmers auf eine angemessene Entschädigung gemäß § 642 BGB führen. Anspruchsvoraussetzungen sind neben der unterlassenen Mitwirkungshandlung, dass der Auftragnehmer leisten darf, zur Leistung bereit und im Stande ist und seine Leistung wie geschuldet anbietet. Für einen Anspruch aus § 642 BGB muss weiterhin ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der unterlassenen Mitwirkungshandlung und den Mehrkosten bestehen [2], wie auch die Formulierung „durch das Unterlassen der Handlung“ in § 642 BGB verdeutlicht.
(c) Bauablaufstörungen durch Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts des Auftraggebers können Vergütungsansprüche des Auftragnehmers nach § 2 Nrn. 5, 6 VOB/B auslösen. Anspruchsvoraussetzung ist neben der Anordnung des Auftraggebers ein kausaler Zusammenhang zwischen der Anordnung und den Mehr- oder Minderkosten. Das Erfordernis der Kausalität wird auch hier mit der Formulierung „durch Änderung des Bauentwurfs oder andere Anordnungen des Auftraggebers“ in § 2 Nr. 5 VOB/B zum Ausdruck gebracht [3].
2. Kausalitätsbetrachtungen
2.1 Begriffsbestimmung und Feststellung der Kausalität
Im rechtswissenschaftlichen Sinn ist Kausalität die ursächliche Verknüpfung zwischen einer menschlichen Handlung und einem bestimmten Ergebnis, dem Erfolg. Die Feststellung, ob in einem konkreten Fall das Vorliegen der Kausalität zu bejahen ist, wird als Kausalitätsbeweis bezeichnet. Der Kausalitätsbeweis wird in zwei Schritten durchgeführt [4].
Im ersten Schritt wird geklärt, ob ein konkretes, zeitlich und räumlich bestimmtes Ereignis einen anderen konkreten, zeitlich und räumlich bestimmten Erfolg verursacht hat. Die Feststellung der Kausalität beruht in vielen Rechtsordnungen auf der conditio sine qua non-Formel [5]. Kausal ist danach jede Bedingung eines Erfolgs, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Der kausale Zusammenhang wird durch Vergleich des wirklichen Geschehensverlaufs mit einem hypothetischen Geschehensverlauf geprüft. Entscheidend ist, ob die Bedingung tatsächlich zu dem Erfolg geführt hat, nicht, ob sie zu dem Erfolg führen musste oder von ihm vorausgesetzt wurde [6]. Entsprechend fordert der BGH die Darlegung der konkreten Folgen der Störung auf den Bauablauf. Hierzu muss neben dem Ist-Ablauf der Bauablauf beschrieben werden, der sich ohne die Störung ereignet hätte. Die Darstellung muss auch diejenigen unstreitigen Umstände berücksichtigen, die gegen eine Störung sprechen [7].
Im zweiten Schritt folgt eine Bewertung der realen Verursachung durch normative Kriterien. Diese Kriterien dienen dazu, aus allen tatsächlichen Ursachen diejenigen herauszufiltern, für die aus materiellrechtlichen oder rechtspolitischen Erwägungen heraus eine Haftung sinnvoll ist [8]. Im Vertragsrecht ist vor allem die Adäquanztheorie von Bedeutung. Ein so genannter adäquater Kausalzusammenhang liegt vor, wenn die Bedingung im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet ist, den Erfolg herbeizuführen [9].
Im Hinblick auf die Darlegung der Kausalität wird im deutschen Recht zwischen der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität unterschieden. Die Frage, ob eine Pflichtverletzung zu einer Behinderung geführt hat, betrifft die haftungsbegründende, und die Frage, inwieweit eine konkrete Behinderung von bestimmter Dauer zu einer Verlängerung der gesamten Bauzeit geführt hat, die haftungsausfüllende Kausalität [10]. Der Kausalverlauf ist rechtlich in zwei Teile zu zerlegen, von denen die haftungsbegründende Kausalität nach § 286 ZPO und die haftungsausfüllende Kausalität nach § 287 ZPO zu beweisen ist (Abbildung 1).
Gegenstand der folgenden Ausführungen ist die Klärung der realen Verursachung durch eine baubetriebliche Analyse des Bauablaufs. Nach Feststellung der realen Verursachung ist dann aus rechtlicher Sicht über die Zurechnung der Störungsfolgen zu entscheiden.
2.2 Arten der Kausalität
Die Klärung der Verursachung bereitet in der Praxis regelmäßig Schwierigkeiten, da häufig mehrere Störungen auftreten, deren Folgen sich zeitlich überlagen, der Bauablauf insofern multikausal gestört wird [11]. Bei der Multikausalität ist für eine Wirkung nicht eine einzige, sondern eine (endliche) Menge von Ursachen kausal relevant. Entsteht die Wirkung (erst) bei gemeinsamem Auftreten mehrerer Ursachen, liegt eine komplexe Ursache vor (addierte Kausalität). Kann die Wirkung von jeder Ursache alleine, d. h. ohne Anwesenheit der anderen Ursachen, herbeigeführt werden, handelt es sich um alternative Ursachen. Zu unterscheiden ist dann, ob die Wirkung parallel durch mehrere alternative Ursachen herbeigeführt wird (doppelte Kausalität) oder ob sie auf eine der alternativen Ursachen zurückgeführt werden kann (hypothetische Kausalität).
Die einzelnen Fallgruppen werden im Folgenden näher betrachtet. Zur Erläuterung dient der kapazitätsbeschränkte Soll-Ablaufplan in Abbildung 2. Jeder Vorgang benötigt jeden Tag eine Einheit einer bestimmten Kapazität, von der jeden Tag nur zwei Einheiten zur Verfügung stehen. Die hieraus resultierenden kapazitiven Abhängigkeiten sind durch gestrichelte Pfeile gekennzeichnet. Die kritische Abfolge, d. h. die die minimale Projektdauer bestimmende Abfolge von Vorgängen, läuft über die Vorgänge A, F, G, D und E. Die Vorgänge B und C haben einen gesamten Puffer von einem Arbeitstag.
2.2.1 Fallgruppe 1: Addierte Kausalität
In der ersten Fallgruppe beruht die Wirkung auf dem Zusammenwirken mehrerer Ursachen. Es handelt sich um Sachverhalte, in denen das gemeinsame Auftreten mehrerer Fortschrittsabweichungen eine Überschreitung des gesamten Puffers einer Vorgangskette und infolgedessen eine Fertigstellungsabweichung auslöst. In Abbildung 3 bewirken die Störungen S1 und S2 eine Verlängerung des Vorgangs B bzw. C. Nur bei Auftreten beider Störungen entsteht eine Fertigstellungsabweichung von einem Arbeitstag. Andernfalls könnte die Verzögerung durch den Puffer der Vorgangskette B-C kompensiert werden.
2.2.2 Fallgruppe 2: Doppelte Kausalität
In der zweiten Fallgruppe entsteht die Wirkung durch zwei oder mehrere alternative, parallel auftretende Ursachen. In Abbildung 4 bewirkt die Störung S1 eine Unterbrechung des Vorgangs C und die Störung S2 eine Verlängerung des Vorgangs G. Beide Störungen führen unabhängig voneinander zu einer Fertigstellungsabweichung von einem Arbeitstag.
2.2.3 Fallgruppe 3: Hypothetische Kausalität
In der letzten Fallgruppe entsteht die Wirkung durch zwei oder mehrere alternative, sequentiell auftretende Ursachen. In Abbildung 5 bewirkt die Störung S1 eine Anfangsverschiebung des Vorgangs B und die Störung S2 eine Verlängerung des Vorgangs G. Ebenso wie in der Fallgruppe 2 lösen beide Störungen unabhängig voneinander eine Fertigstellungsabweichung von einem Arbeitstag aus.
2.3 Behandlung der Fallgruppen multikausaler Störungsüberlagerung
Werden die einzelnen Fallgruppen multikausaler Störungsüberlagerung auf die baubetriebliche Analyse der Störungen angewendet, ergibt sich Folgendes:
Fallgruppe 1: Addierte Kausalität
Wird ein Erfolg erst durch das Zusammenwirken mehrerer Ursachen bewirkt, haften alle Verursacher in vollem Umfang. Im Fall eines gestörten Bauablaufs sehen Roquette/Fußy nur einen anteiligen Anspruch auf Ersatz der durch die Störungen verursachten Mehrkosten. Bei Schadensersatzansprüchen sei das Mitverschulden des Anspruchstellers nach § 254 BGB zu berücksichtigen. Bei Vergütungs- und Entschädigungsansprüchen seien die Kosten, die vom Anspruchsteller (mit-)verursacht wurden, vorab auszusondern [12].
Wirken zwei Fortschrittsabweichungen derart zusammen, dass erst bei ihrem gemeinsamen Vorliegen eine Fertigstellungsabweichung ausgelöst wird, könnte man anhand des Beispiels in Abbildung 3 tatsächlich unschwer zu dem Ergebnis kommen, dass die Fertigstellungsabweichung von beiden Parteien anteilig zu verantworten sei. Problematisch erweist sich allerdings der Umstand, dass der Puffer einer Vorgangskette nicht nur durch Änderungen innerhalb dieser Vorgangskette, sondern auch durch Änderungen in anderen Vorgangsketten beeinflusst wird. So ist es denkbar, dass der gesamte Puffer einer Vorgangskette erst durch die Verlängerung einer anderen Vorgangskette und die damit einhergehende Änderung des kritischen Wegs geschaffen oder so vergrößert wurde, dass die betrachtete Fortschrittsabweichung sich nur auf die Größe des gesamten Puffers, nicht jedoch auf den Endtermin auswirkt. Hier stellt sich die Frage, inwieweit diese vorangegangenen Störungen ebenfalls als (mit-)ursächlich für die Fertigstellungsabweichung anzusehen sind. Eine weitere, die Zurechnung der Störungswirkungen berührende Problematik betrifft die nicht abschließend geklärte Frage, welcher Partei vorhandene Puffer gehören. In der deutschen Literatur überwiegt die Meinung, dass der Auftragnehmer die von ihm in seinem Ablaufplan vorgesehenen Puffer allein für sich beanspruchen könne und der Auftraggeber kein Recht habe, eigenmächtig auf Puffer – etwa zur Kompensation von Behinderungen – zuzugreifen. Nur wenn der Puffer nicht durch den Auftragnehmer benötigt werde, könnte er als Ausgleich der Folgen auftraggeberseitiger Störungen herangezogen werden.
Für eine zutreffende Beurteilung dieser Fallkonstellationen sind bei der baubetrieblichen Analyse der Störungen für jeden Vorgang die Änderungen des gesamten Puffers festzustellen und den sie verursachenden Störungen zuzuordnen. Darauf aufbauend kann dann, abhängig vom gewählten Ansatz, welcher Partei vorhandene Puffer gehören, über die Zurechnung der Folgen entschieden werden. Folgt man der in Deutschland herrschenden Meinung, ist in Abbildung 3 die Fertigstellungsabweichung von einem Arbeitstag der Störung S1 des Auftraggebers zuzurechnen, da die Folgen der Störung S2 des Auftragnehmers durch den gesamten Puffer der Vorgangskette B – C von einem Arbeitstag kompensiert werden könnten.
Fallgruppe 2: Doppelte Kausalität
Bei der doppelten Kausalität sind grundsätzlich alle Verursacher in vollem Umfang haftbar. Streitig ist allerdings, ob die Parteien bei gestörten Bauabläufen einen anteiligen Anspruch auf Ersatz der durch die Störungen verursachten Kosten haben.
Um diese Fallgruppe richtig bewerten zu können, muss bei der baubetrieblichen Analyse der Störungen erkannt werden, dass die in Rede stehende Fertigstellungsabweichung nicht durch eine, sondern alternativ durch mehrere Fortschrittsabweichungen herbeigeführt wurde. In Abbildung 4 sind damit sowohl die Störung S1 als auch die Störung S2 als Ursache der eingetretenen Fertigstellungsabweichung von einem Arbeitstag zu identifizieren. Wird den Parteien ein anteiliger Anspruch auf Ersatz der durch die Störungen verursachten Mehrkosten zugebilligt, muss die baubetriebliche Analyse des Bauablaufs ferner eine Separierung der Einzelwirkungen der zeitparallelen Fortschrittsabweichungen ermöglichen.
Fallgruppe 3: Hypothetische Kausalität
Eine Haftung kommt im Allgemeinen nur für tatsächliche Kausalzusammenhänge in Betracht. Bei der hypothetischen Kausalität stellt sich die Frage, ob sich der Schädiger von der Haftung dadurch entlasten kann, dass der von ihm verursachte Schaden aufgrund eines anderen Ereignisses ohnehin eingetreten wäre [13]. Zu klären ist, ob sich eine Partei von der Haftung für die Folgen einer eigenverschuldeten Störung dadurch entlasten kann, dass diese auch durch eine spätere, durch die andere Partei verschuldete Störung eingetreten wäre.
Aus baubetrieblicher Sicht ist dies zu verneinen. Im Fall sequentiell auftretender Störungen wirkt die spätere Störung auf einen Ablauf ein, der bereits durch die erste Störung gegenüber dem Soll-Ablauf verändert worden ist. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die spätere Störung ohne Eintreten der ersten Störung andere Folgen als die tatsächlich entstandenen gehabt hätte. Die zuerst eingetretene Störung und der hierdurch veränderte Bauablauf sind damit als Randbedingungen für die Einwirkungen der späteren Störung anzusehen. In dem Beispielfall ist die Fertigstellungsabweichung von einem Arbeitstag der Störung S1 zuzurechnen, und der Erfolg der Störung S2 ist als hypothetisch einzustufen (Abbildung 5).
Für eine zutreffende Behandlung dieser Fallgruppe sind bei der baubetrieblichen Analyse des Bauablaufs die Folgen einer Störung vor dem Hintergrund der bis dahin eingetretenen Änderungen des Soll-Ablaufs und damit anhand des bis zum maßgebenden Zeitpunkt an den Ist-Ablauf angepassten Soll-Ablaufplans zu bewerten. Andernfalls besteht die Gefahr, dass nicht die tatsächlich ursächliche Störung S1, sondern die Störung S2 als kausal für die eingetretene Fertigstellungsabweichung identifiziert wird.
3. Empfehlungen für die Analyse der Störungswirkungen
Für die baubetriebliche Analyse werden diverse Verfahren angewandt. Eine durchgängig akzeptierte Standardmethode existiert in der Bauwirtschaft nicht. Es lässt sich zeigen, dass die Verfahren insbesondere im Fall eines multikausal gestörten Bauablaufs nur bedingt geeignet sind. Häufig wird ein Vergleich eines hypothetisch gestörten und eines hypothetisch ungestörten Bauablaufs vorgenommen und der Ist-Ablauf unzureichend in die Analyse einbezogen. Die Einzelwirkungen der Störungen werden mit den Verfahren unterschiedlich und oftmals fehlerhaft gegeneinander abgegrenzt. Als Resultat werden abhängig vom gewählten Verfahren unterschiedliche Ergebnisse im Hinblick auf die Anteile der Verursachung der eingetretenen Fertigstellungsabweichung erzielt.
Auf der Basis einer systematischen Untersuchung der einzelnen Fallgestaltungen multikausaler Störungsüberlagerung wird für die Analyse ein schrittweiser Vergleich des Ist-Ablaufs mit dem hypothetisch ungestörten Ablauf und eine Dreiteilung des Ausführungszeitraums empfohlen. Für jede Störung wird ein eigener Referenz- und Beobachtungs-Ablaufplan entwickelt. In der Phase I wird der bis zum Eintritt der Fortschrittsabweichung der betrachteten Störung an die tatsächlichen Bauumstände angepasste Soll-Ablauf verwendet. In der Phase II werden für die Analyse der Fortschrittsabweichung der Ist-Ablauf (Beobachtungs-Ablaufplan) und der hypothetisch ungestörte Ablauf (Referenz-Ablaufplan) vom Eintritt der betrachteten bis zum Eintritt der folgenden Fortschrittsabweichung ermittelt. Der hypothetische Ablauf wird aus dem Ablauf entwickelt, den der Auftragnehmer zum Beginn der Phase II geplant hatte (sog. Rest-Soll-Ablaufplan). In der Phase III werden zur Beurteilung der resultierenden Fertigstellungsabweichung die hypothetischen Ablaufpläne aufgestellt, die sich ohne die folgenden Fortschrittsabweichungen ereignet hätten. Sie werden aus den Abläufen generiert, die der Auftragnehmer zu Beginn der Phase II bzw. der Phase III angestrebt hatte (Abbildung 6).
Die tatsächlichen unmittelbaren Folgen sowie die zu erwartenden mittelbaren Folgen der Störung ergeben sich aus dem Vergleich des jeweiligen Referenz- und Beobachtungs-Ablaufplans. Entgegen der in der Praxis üblichen Vorgehensweise wird der Analyse nicht eine baubetrieblich begründete Prognose der aus einer (bekannten) Störung folgenden Wirkung zugrunde gelegt, sondern die tatsächlich eingetretene Änderung des Ablaufs bestimmt. Die unmittelbaren Folgen der Störung und somit die Antwort auf die Frage, ob eine Störung zu einer Fortschrittsabweichung geführt hat, ergeben sich dabei aus dem Vergleich des Ist-Ablaufs mit dem hypothetisch ungestörten Ablauf (Phase II). Die mittelbaren Folgen der Störung und die Klärung der hiermit verbundenen Frage, ob eine Fortschrittsabweichung zu einer Fertigstellungsabweichung geführt hat, ergeben sich aus dem Vergleich zweier hypothetischer Abläufe (Phase III).
Die chronologische Betrachtung ermöglicht die Abgrenzung der Einzelwirkungen sequentiell auftretender Störungen. Wie zuvor ausgeführt, wirkt bei dieser Fallgestaltung die spätere Störung auf einen Ablauf ein, der bereits durch frühere Störungen gegenüber dem Soll-Ablauf verändert worden ist. Die früheren Störungen und der hierdurch veränderte Bauablauf sind als Randbedingungen für den Einfluss der späteren Störung anzusehen. Die Bewertung der Folgen einer Störung anhand des bis zum maßgebenden Zeitpunkt an den Ist-Ablauf angepassten Soll-Ablaufplans trägt diesem Umstand Rechnung.
Liegen mehrere alternative, parallel wirkende Störungen vor, werden zur Separierung der Einzelwirkungen zusätzliche hypothetische Ablaufpläne entwickelt, in denen jeweils nur die Folgen der betrachteten Störung, nicht jedoch die Folgen der anderen parallel wirkenden Störungen eliminiert werden [14]. Der Vergleich der einzelnen hypothetischen Ablaufpläne mit dem Beobachtungs-Ablaufplan lässt dann eine Aussage zu den Einzelwirkungen der betrachteten Störung zu.
Die aus dem Vergleich des Referenz- und Beobachtungsplans ableitbare Änderung der Puffer der Vorgänge ermöglicht schließlich die Beurteilung von Fallgestaltungen, bei denen es durch das Zusammenwirken mehrerer Störungen zu einer Überschreitung des gesamten Puffers und damit zu einer Fertigstellungsabweichung kommt. In Kenntnis der durch die einzelnen Störungen bewirkten Änderung des Puffers und der Festlegung, welcher Partei vorhandene Puffer gehören, kann über die Zurechnung der Folgen kumuliert wirkender Störungen entschieden werden.
4. Visualisierung der Störungswirkungen durch die Umhüllende
Zur Verdeutlichung und Präsentation der Einzelwirkungen der Störungen bietet sich eine Visualisierung der Folgen auf die Gesamtdauer des Projektes an, die die Ergebnisse der Analyse in einer „Umhüllenden“ zusammenfasst [15]. Für jeden Vergleich werden für jedes Vorgangsereignis, d. h. für jeden Anfang und jedes Ende eines Vorgangs, ein Wertepaar ermittelt und in einem (x, y)-Koordinatensystem dargestellt. Auf der Abszisse werden die Eintrittszeitpunkte und auf der Ordinate die Nachläufe jedes Vorgangsereignisses abgetragen. Die Nachläufe, die sich rechnerisch aus den Differenzen der Termine des jeweiligen Referenz- und Beobachtungs-Ablaufplans ergeben, kennzeichnen den potentiell den Fertigstellungstermin beeinflussenden Teil der jeweiligen Fortschrittsabweichung.
Die Visualisierung berücksichtigt die Veränderlichkeit der Ursprungsplanung über die Projektlaufzeit. Verursachen eine Störung und die durch diese bedingte Fortschrittsabweichung eine Änderung der Projektdauer, ändern sich (bei unveränderter Ablaufstruktur) die spätesten Zeitpunkte der Vorgangsereignisse gleichermaßen. Bei einer vorangegangenen Störung mit Folgen für den Endtermin wirkt sich eine nachfolgende Fortschrittsabweichung somit erst bzw. schon dann auf den Endtermin aus, wenn der geänderte späteste Zeitpunkt des betroffenen Vorgangsereignisses überschritten wird. Abbildung 7 zeigt, dass sich die Verschiebung des Vorgangsereignisses j erst verlängernd auf die Projektdauer auswirkt, wenn der durch die vorherige Verschiebung des Ereignisses i nach hinten verschobene späteste Zeitpunkt SZ’jRef überschritten wird. Unter die Umhüllende schlüpfende Nachläufe sind damit für die Fertigstellungsabweichung nicht kausal relevant.
Zusammenfassung
Bauablaufstörungen stellen eine bedeutsame Verlustquelle bei der Ausführung von Bauleistungen dar. Mit Hilfe des vorgestellten Verfahrens zur Analyse der Auswirkungen gestörter Bauabläufe können die Einzelwirkungen sowohl sequentiell eintretender als auch zeitparallel oder kumuliert wirkender Bauablaufstörungen ermittelt und voneinander abgegrenzt werden. Aus der Visualisierung können die Anteile der Verursachung durch Auftraggeber, Auftragnehmer und Dritte unmittelbar entnommen werden. Das Verfahren bietet eine Hilfestellung zur Herbeiführung einer sachgerechten Lösung der in der Baupraxis häufig auftretenden und oftmals langwierigen Streitfälle, die eine zeitnahe außergerichtliche Einigung oder gerichtliche Entscheidung nach den Anforderungen des BGH ermöglicht.
Literatur
[1] Streckel, Sabine: Analyse der Auswirkungen gestörter Bauabläufe und der Anteile ihrer Verursachung durch Auftraggeber, Auftragnehmer und Dritte. Berlin: DVP-Verlag, 2012.
[2] Drittler, Matthias: Gestörter Bauablauf: Anforderungen an die Kausalitätsnachweise zu den Behinderungsfolgen Bauzeitverlängerung und Produktivitätsverlust als Schätzgrundlage nach § 287 ZPO in der bauablaufbezogenen Nachweisführung. In: Kapellmann, Klaus D.; Vygen, Klaus: Jahrbuch Baurecht. Düsseldorf: Werner, 2006, S. 237-286, S. 253.
[3] Weyer, Friedhelm: Bauzeitverlängerungen aufgrund von Änderungen des Bauentwurfs durch den Auftraggeber. In: Baurecht 2/1990, S. 138-151, S. 147.
[4] Weber, Helmut: Der Kausalitätsbeweis im Zivilprozess: Kausalität - Beweiswürdigung und Beweismaß - Beweiserleichterungen vornehmlich im Blick auf den Schadensersatzprozess wegen unerlaubter Handlungen. Tübingen: Mohr Siebeck, 1997, S. 85.
[5] Finke, Tilman: Die Minderung der Schadensersatzpflicht in Europa. Zu den Chancen für die Aufnahme einer allgemeinen Reduktionsklausel in ein europäisches Schadensrecht. Göttingen: Universitäts-Verlag Göttingen, 2006, S. 34; Fumerton, Richard; Kress, Ken: Causation and the Law: Preemption, Lawful Sufficiency, and Causal Sufficiency. In: Law and Contemporary Problems 4/2001, S. 83-105, S. 89.
[6] Weber, Helmut, a. a. O., S. 70.
[7] BGH, Urteil vom 21.03.2002 – VII ZR 224/00.
[8] Fumerton, Richard; Kress, Ken, a. a. O., S. 86, 88; Weber, a. a. O., S. 85.
[9] Finke, a. a. O., S. 139-140.
[10] BGH, Urteile vom 24.02.2005 - VII ZR 225/03 und 24.02.2005 – VII ZR 141/03.
[11] Würfele, Falk; Gralla, Mike: Nachtragsmanagement: Leistungsbeschreibung - Leistungsabweichung - Bauzeitverzögerung. Neuwied: Werner, 2006, Rdn. 1632.
[12] Roquette, Andreas J.; Fußy, Daniel: Orientierung im Ursachendschungel. Behandlung von Mehrfachursachen bei gestörten Bauabläufen. In: Baurecht 10/2009, S. 1506-1511, S. 1510-1511.
[13] Weber, a. a. O., S. 92, 99, 110.
[14] Vorgehensweise in Anlehnung an Keane, John; Caletka, Anthony: Delay Analysis in Construction Contracts. Oxford: Blackwell, 2008, S. 136.
[15] Zur visuellen Abgrenzung zwischen Behinderungen des AG einerseits und Verzug des AN andererseits führte Diederichs bereits 1987 den Begriff der „Umhüllenden“ durch graphische Dokumentation der Nachlaufentwicklung eines Ist-Ablaufes und deren Ursachen gegenüber dem geplanten Soll-Ablauf ein. Diederichs, Claus J.; Streckel, Sabine: Beurteilung gestörter Bauabläufe – Anteile der Verursachung durch Auftraggeber und Auftragnehmer. In: NZBau 1/2009, S. 1-5, S. 2; siehe auch Diederichs, Claus J.: Führungswissen für Bau- und Immobilienfachleute 1. Grundlagen. 2. Auflage. Berlin, Heidelberg, New York: Springer, S. 206-212; Diederichs, Claus J.: Schadensabschätzung nach § 287 ZPO bei Behinderungen gemäß § 6 Nr. 6 VOB/B. In: Baurecht, Beilage zu Heft 1/1998, S. 1-21, S. 10-11; Diederichs, Claus J.: Sonderprobleme der Kalkulation. Teil 4. In: Bauwirtschaft 5/1987, S. 123-127, S. 126-127. Der Ansatz von Diederichs wurde in der Arbeit von Streckel aufgegriffen und auf die dort gegebenen Empfehlungen zur Analyse der Störungswirkungen adaptiert. Zur Herleitung der Visualisierung vgl. Streckel, Sabine, a. a. O., S. 114-133.
Literatur
[1] Streckel, Sabine: Analyse der Auswirkungen gestörter Bauabläufe und der Anteile ihrer Verursachung durch Auftraggeber, Auftragnehmer und Dritte. Berlin: DVP-Verlag, 2012.
[2] Finke, Tilman: Die Minderung der Schadensersatzpflicht in Europa. Zu den Chancen für die Aufnahme einer allgemeinen Reduktionsklausel in ein europäisches Schadensrecht. Göttingen: Universitäts-Verlag Göttingen, 2006, S. 34; Fumerton, Richard; Kress, Ken: Causation and the Law: Preemption, Lawful Sufficiency, and Causal Sufficiency. In: Law and Contemporary Problems 4/2001, S. 83-105, S. 89.
[3] Weber, Helmut: Der Kausalitätsbeweis im Zivilprozess: Kausalität – Beweiswürdigung und Beweismaß – Beweiserleichterungen vornehmlich im Blick auf den Schadensersatzprozess wegen unerlaubter Handlungen. Tübingen: Mohr Siebeck, 1997, S. 70.
[4] BGH, Urteil vom 21.03.2002 – VII ZR 224/00.
[5] Würfele, Falk; Gralla, Mike: Nachtragsmanagement: Leistungsbeschreibung – Leistungsabweichung – Bauzeitverzögerung. Neuwied: Werner, 2006, Rdn. 1632.
[6] Vorgehensweise in Anlehnung an Keane, John; Caletka, Anthony: Delay Analysis in Construction Contracts. Oxford: Blackwell, 2008, S. 136.
[7] Zur visuellen Abgrenzung zwischen Behinderungen des AG einerseits und Verzug des AN andererseits führte Diederichs bereits 1987 den Begriff der „Umhüllenden“ durch graphische Dokumentation der Nachlaufentwicklung eines Ist-Ablaufes und deren Ursachen gegenüber dem geplanten Soll-Ablauf ein. Diederichs, Claus J.; Streckel, Sabine: Beurteilung gestörter Bauabläufe – Anteile der Verursachung durch Auftraggeber und Auftragnehmer. In: NZBau 1/2009, S. 1-5, S. 2; siehe auch Diederichs, Claus J.: Führungswissen für Bau- und Immobilienfachleute 1. Grundlagen. 2. Auflage. Berlin, Heidelberg, New York: Springer, S. 206-212; Diederichs, Claus J.: Schadensabschätzung nach § 287 ZPO bei Behinderungen gemäß § 6 Nr. 6 VOB/B. In: Baurecht, Beilage zu Heft 1/1998, S. 1-21, S. 10-11; Diederichs, Claus J.: Sonderprobleme der Kalkulation. Teil 4. In: Bauwirtschaft 5/1987, S. 123-127, S. 126-127. Der Ansatz von Diederichs wurde in der Arbeit von Streckel aufgegriffen und auf die dort gegebenen Empfehlungen zur Analyse der Störungswirkungen adaptiert. Zur Herleitung der Visualisierung vgl. Streckel, Sabine: a. a. O., S. 114-133.