Stahlbetonschornstein

Oben im Kamin

BETONINSTANDSETZUNG IN 160 M HÖHE

Ein leichter Wind weht. Es ist kaum Platz hier oben und der Plattformboden schwankt etwas. Die drei Männer sind festgezurrt in Seilen und Gurten wie Bergsteiger. Der Arbeitsplatz der beiden Betoninstandsetzer und ihres Kollegen zur Höhensicherung befindet sich 160 m über dem Erdboden, im Innern eines der höchsten Schornsteine Berlins.

Im Heizkraftwerk Lichtenberg sanieren sie den Stahlbetonschaft des Kamins. Die Anlage im Osten der Hauptstadt erzeugt Fernwärme aus Erdgas mit Hilfe energieeffizienter Kraft-Wärme-Kopplungstechnik. Sie wurde ab 1970 in mehreren Schritten gebaut, um Marzahn, Hellersdorf und Hohenschönhausen zu versorgen.

„Wir setzen hier zunächst die oberen 30 Meter des Betoninnenmantels des nördlichen Kamins instand. Alle ein bis zwei Wochen arbeiten wir uns gut zwei Höhenmeter von oben nach unten voran“, beschreibt Dirk Heisig.  Er ist Projektleiter und Geschäftsführer der Berliner Firma Omni-Tec. Der Zwölf-Mann-Betrieb ist spezialisiert auf Betoninstandsetzungen in großen Höhen und an Kraftwerken. Omni-Tec setzt auf höchste Qualitäts- und Sicherheitsstandards. Die Arbeiten werden ständig durch firmeneigene Fachleute protokolliert und geprüft und durch neutrale Prüf- und Überwachungsbeauftragte der Bundesgütegemeinschaft Instandsetzung von Betonbauwerken e.V.  (ib) kontrolliert – so wie es die Instandsetzungsrichtlinie des deutschen Ausschuss für Stahlbeton vorsieht. Die neutralen Prüfprotokolle müssen zur Abnahme der Leistungen vorliegen.

Sorgfältige Laboruntersuchungen in der Planungsphase

Im Kraftwerk Lichtenberg konzentriert sich die Instandsetzung zunächst auf den oberen Teil des Kamins, weil hier die Schäden am größten sind. Beim Aufstieg kühlen die heißen Abgase ab, so entstehen vor allem an der Turmspitze Tauwasser und Ablagerungen, die dem Beton-Innenmantel zusetzen. Zudem wurde hier in den 1970ern bis 1980ern zeitweise Hausmüll verbrannt. Die im Rauchgas vorhandenen Salze drangen tief in den Beton ein. So wurden große Mengen an Nitrat, Sulfat und organischen Stoffen im Bauwerk nachgewiesen. Diese führten dort zur Aufhebung der Alkalität des Betons und zur Korrosion der eingebauten Bewehrungsstähle. Die Konzentrationen der eingedrungenen Salze lagen deutlich über den zulässigen Grenzwerten. Dies machte weitere Laboruntersuchungen erforderlich. So musste unter anderem geklärt werden, ob eine Instandsetzung unter den gegebenen Salzbelastungen möglich ist. Hierzu wurden Stromdichte-Spannungskurven aufgenommen, um das Korrosionsverhalten der Bewehrungsstähle im salzbelasteten Beton zu untersuchen. Dafür haben Baustoffprüfer und der bauüberwachende Planungsingenieur Betonproben aus unterschiedlichen Höhen entnommen. Die fein zerkleinerten Betonproben wurden in Wasser verdünnt, so dass sich darin die Salze lösen konnten. Die zu prüfenden Bewehrungsstähle wurde an den Spitzen blank poliert, in einer entsprechenden Prüfeinrichtung unter ansteigende Spannung gesetzt und der anodische Strom gemessen. Aus dem Verlauf der so erhaltenen Stromspannungskurven lässt sich die Korrosionsneigung der Bewehrungsstähle ermitteln. Ergebnis: Die Betoninstandsetzung ist möglich, wenn die Stahlbewehrung mit einer zusätzlichen Salzbremse behandelt wird. Die Ergebnisse der Laboruntersuchungen flossen in die Bauzustandsanalyse und das Instandsetzungskonzept des Ingenieurbüros  H.-J. Schwarzenstein ein.

Sanierung der Kamin-Innenwand

Eine halbe Stunde dauert die „Anfahrt“ auf die Baustelle, morgens rauf, abends wieder runter. Der stählerne Fahrkorb wird außen über eine Winde in die Höhe gezogen und rollt an der Schornsteinwand entlang. Oben steht die Arbeitsbühne bereit. Mit ihr geht es im Kamin wieder hinab
zum jeweiligen Arbeitsort. Dort strahlen die Fachleute die Oberflächen zunächst mit Hochdruckwasser ab und legen die geschädigten Stellen samt Bewehrungsstahl frei. Um Korrosion zu verhindern, erhält die Bewehrung einen Schutzanstrich mit Salzbremse, aufgebracht in zwei Arbeitsgängen. Anschließend wird ein kunststoffmodifizierter Mörtel, der besonders schnell erhärtet, meist 20-50 mm, partiell aber durchaus auch bis zu 100 mm dick, im Trockenspritzverfahren gegebenenfalls zweilagig aufgetragen. Später erfolgt der Auftrag eines versiegelnden Oberflächenschutzsystems.

Die drei Arbeiter haben knapp 6 m im Durchmesser Platz auf ihrer Arbeitsbühne. 1,5 Tonnen trägt die Plattform. „Da bleibt nur noch wenig verfügbares Gewicht für unser Baumaterial“, fügt Heisig hinzu. „Also müssen wir meist achtmal am Tag die Mörtelsäcke hinauf transportieren.“ Durch diese logistischen Herausforderungen dauert das Projekt vier- bis fünfmal länger als eine übliche Instandsetzung. Doch der Aufwand lohnt sich: Mit 40 Jahren hat der Schornstein noch lange nicht seine Lebenszeit erreicht. Es ist geplant, das Kraftwerk auf umweltfreundlichen Gas- und Dampfbetrieb umzustellen. Weil bei Neubauprojekten die Genehmigungsverfahren sehr lange dauern und zunehmend unsicher sind, spielt auf dem Energiesektor die Investition in Bestandsanlagen eine wichtige Rolle – und damit auch die dauerhaft Instandhaltung bestehender Bauten.

Autoren
Hans Joachim Rosenwald ist Geschäftsführer der Bundesgütergemeinschaft Instandsetzung von Betonbauwerken e.V., Berlin.
Dirk Heisig ist Geschäftsführer der Omni-Tec GmbH, Berlin
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