Pflaster: Entwässerung und Behandlung inklusive
Für das Problem der Flächenversiegelung in Deuschland fehlt es nicht an Lösungen. Neben Terrassen und Gehwegen können auch Flächen unter Verkehrsbelastung heute schon völlig ohne Versiegelungswirkung, das heißt wasserdurchlässig befestigt, hergestellt werden. Entwässerungsanschlüsse oder Schadstofffilter entfallen, wenn geeignete Pflastersysteme mit entsprechenden bauaufsichtlichen Zulassungen zum Einsatz kommen.
Klaus W. König, Überlingen
Das Ziel der Bundesregierung ist, die ständige Zunahme von Siedlungs- und Verkehrsflächen zu bremsen. Die Tendenz ist bereits rückläufig, dennoch sind es laut statistischem Bundesamt im letzten Berechnungszeitraum 2009 bis 2012 in Deutschland noch durchschnittlich 74 ha pro Tag gewesen. Im Jahr 2020 sollen es nach dem Willen der Regierung nur noch 30 ha pro Tag, also weniger als die Hälfte des aktuellen Wertes, sein. Doch der Flächenverbrauch ist nur das eine, das andere Problem ist die Versiegelung. Etwa 50 % der Siedlungs- und Verkehrsflächen gelten als versiegelt, also Wasser undurchlässig. Dazu zählen Dächer, Terrassen, Einfahrten und Fahrzeugstellflächen, sowie Wohn- und Anliegerstraßen, Gewerbe- und Lagerflächen, Fußgängerzonen und öffentliche Plätze.
Weshalb wird überhaupt versiegelt und Regenwasser abgeleitet? Wenn deutlich mehr Flächen zu ebener Erde Wasser durchlässig wären, könnten neue Kanäle kleiner und damit viel preiswerter gebaut werden. Vorhandene Mischwasserkanäle würden weniger durch ungenügend geklärte Überläufe die als Vorfluter dienenden Flüsse verschmutzen. Solche Auswirkungen haben ein ökologisches und zugleich volkswirtschaftlich-soziales Potential. Die bange Frage aber wäre: Funktioniert die Versickerung bei allen befestigten Oberflächen tatsächlich auch, wenn Starkregen fällt? Was ist denn bei einem Jahrhundertereignis, das durch Klimaänderung demnächst vielleicht bald schon alle 10 Jahre eintritt?
Neues Prinzip: Source-Control statt End-of-Pipe
Oberste Priorität hatte in den vergangenen Jahrzehnten die Entwässerungssicherheit. Als Flüsse noch begradigt wurden zum vermeintlichen Hochwasserschutz galt auch die Vorschrift, Regenwasser in den Kanal abzuleiten. Damit war es erst einmal weg von der Oberfläche. Ein solches Prinzip, bei dem weiter unten an der Mündung des Rohrsystems die Probleme zu lösen sind, nennt man im Fachjargon „End-of-Pipe“-Lösung. Die Folgen sind bekannt: Stark schwankende Wasserspiegel bei Fließgewässern, kurzzeitige Überlastung der Kläranlagen mit Ableiten von unzureichend gereinigtem Abwasser in die Flüsse und sinkende Grundwasserbestände im Erdreich unterhalb vieler Ballungsräume.
Die Betrachtungsweise hat sich vor einigen Jahren gewandelt – und mit dem Wasserhaushaltsgesetz (WHG 2009), gültig seit 1. März 2010, auch die Gesetzeslage. Heute gilt das „Source-Control“-Prinzip: Bei Neu- und Umbaumaßnahmen muss das Niederschlagswasser dezentral vor Ort bewirtschaftet – also versickert, verdunstet oder genutzt werden – siehe § 55 (2). Nach § 57 (1) sind die Regeln der Technik einzuhalten, um den Schutz der Gewässer einschließlich Grundwasser zu gewährleisten. Richtlinien und Normen helfen zusätzlich, Gefahren für Personen und Wasserschäden an Bauwerken zu vermeiden. Zum Beispiel muss seit Novellierung der DIN 1986-100 im Mai 2008 gemäß Abschnitt 14.9.3 ein Überflutungsnachweis bei Planungen für Grundstücksgrößen von mehr als 800 m² abflusswirksamer Fläche erbracht werden. Und das Arbeitsblatt DWA-A 138 (3.2.2) gibt seit April 2005 Hinweise zum Abstand zwischen Versickerungsmulden und Gebäuden. Dezentral, an vielen Orten gleichzeitig, kann heute bereits Niederschlagswasser der jeweiligen Situation angemessener bewirtschaftet und behandelt werden, als das in zentralen Regenrückhalte- oder -überlaufbecken geschehen ist.
Technische Regel zu vollständig Wasser durchlässig befestigten Flächen
Ende 2013 erschien nach 15 Jahren endlich die aktualisierte Fassung des FGSV MVV R2 [1]. Es ist das Merkblatt für Versickerungsfähige Verkehrsflächen, herausgegeben von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen. Darin sind in Form einer Empfehlung Bauweisen aus Dränbeton und Asphalt ebenso thematisiert wie Pflasterflächen. Bemerkenswert ist, dass der zuvor für die Berechnung der maximalen Wasserdurchlässigkeit rechnerisch erlaubte Abflussbeiwert von 0,5 bei Pflasterflächen nun auf 0,3 – 0,5 erweitert wurde. Das bedeutet, dass bei entsprechenden Materialien und Bauweisen von bis zu 70 % Versickerungsleistung einer befestigten Fläche ausgegangen werden darf, statt bisher von maximal 50 %. Dennoch, selbst wenn 70 % des Bemessungsregens (270 l/s x ha) versickern, bleiben noch 30 % Abfluss, für die die Planer eine zusätzliche Entwässerung vorsehen (und die Bauherren bezahlen) müssen.
Im einfachsten Fall kann das „direkt über die Schulter“ der befestigten Fläche in eine Wiese, d. h. in eine in Gefällerichtung unmittelbar anschließende Flächenversickerung, geschehen. Wo nicht genügend Grünfläche dafür vorhanden ist, wird ein Stauraum in Form einer oberflächig geformten Mulde oder einer unterirdisch geschaffenen Rigole angeordnet. Dieser Stauraum ergänzt oder ersetzt die begrünte Flächenversickerung. Doch zusätzlich zum Aufwand für Planung und Ausführung kommt in jedem Fall die Pflege bzw. Wartung der Versickerungsanlage hinzu – selbst wenn der Entwässerungsanteil im oben genannten Beispiel nur 30 % beträgt. Konsequent weiter gedacht wünscht man sich dann eine Flächenbefestigung, die 100 % Versickerung leistet – ohne zusätzlich erforderliche Entwässerung. Das reduziert den Herstellungs- und Unterhaltungsaufwand in beträchtlichem Maß.
Hydraulische Sicherheit ohne zusätzliche
Oberflächenentwässerung
Wer das neue Merkblatt MVV genau studiert, findet eine Öffnungsklausel in Abschnitt 2.4. Ein geringerer Abflussbeiwert als 0,3 bei einer gepflasterten Fläche gilt demnach als regelkonform, wenn ein entsprechendes Gutachten für eine solche Bauweise vorliegt. Es gibt schon seit geraumer Zeit Pflastersysteme, die unter genau definierten Bedingungen dauerhaft und nachweisbar mehr als den geforderten Bemessungsregen von 270 l/s x ha durch Fugen und Bettung abführen und damit einen Abflussbeiwert von 0,0 haben. Diese Systeme haben mit entsprechenden Pilotprojekten den Stand der Technik erweitert und dafür gesorgt, dass die technische Regel angepasst werden konnte. Gefordert wird konkret, dass „entsprechende Erfahrungen (z. B. wissenschaftliche Untersuchungen oder unabhängige, gutachterliche Stellungnahmen) vorliegen“, wenn geringere Abflussbeiwerte als 0,3 in Ansatz gebracht werden. Die durchlässig ausgebildeten Schichten des Oberbaus bringen in diesem Fall dauerhaft die gesamte hydraulische Leistung, auch wenn die Durchlässigkeit von Deck- und Tragschichten im Lauf der Zeit durch Verschmutzung abnehmen. Die Deckschicht, bestehend aus Stein + Fuge + Bettung muss dabei unbedingt nach den Bedingungen der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung (abZ) ausgeführt werden. Alle 10 Jahre ist dann, auch das steht in der Zulassung, ein Nachweis über die Funktionstüchtigkeit zu führen.
Reinigungsleistung im Vergleich zu bewachsenem
Oberboden
Soll Niederschlagswasser von Verkehrsflächen >300 Pkw/Tag in Oberflächengewässer oder Grundwasser gelangen, sind gemäß den Handlungsempfehlungen der DWA zum Umgang mit Regenwasser [2] Maßnahmen zur Reinigung nach dem Stand der Technik notwendig. „Da die belebte Bodenzone nicht näher definiert ist, lassen sich Anforderungen an den Stoffrückhalt nur schwer formulieren“, sagt Prof. Dr.-Ing. Carsten Dierkes von der FH Frankfurt/Main, Fachgebiet Siedungswasserwirtschaft. „Für wasserdurchlässige Flächenbeläge existiert die Möglichkeit einer allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung (abZ) des Deutschen Instituts für Bautechnik (DIBt) in Berlin.“ Um eine wasserrechtliche Erlaubnis zur Einleitung zu erhalten, muss ein Eignungsnachweis des geplanten Verfahrens der zuständigen Behörde vorgelegt werden. Anlagen zur Reinigung des Oberflächenabflusses benötigen aus wasserrechtlicher Sicht einen Verwendbarkeitsnachweis wie die abZ. Sie beschreibt die Eignung eines Produkts oder Systems und dessen Voraussetzungen, wie auch dafür erforderliche Wartungsintervalle.
Neu ist, dass die Deckschicht eines Pflastersystems die Reinigungsleistung übernimmt. Damit eignet sich diese Technik für die Versickerung von belastetem Oberflächenabfluss bei Verkehrsflächen wie Wohn- und Erschließungsstraßen, Parkplätzen, öffentlichen Plätzen mit Kfz-Verkehr und vieles andere mehr. Wer glaubt, die Reinigungsleistung einer bewachsenen Bodenschicht würde damit nicht erreicht, muss bedenken, dass die geprüften Pflastersysteme aufgrund der klaren und anspruchsvollen Prüfvorgaben und der gleichbleibenden Materialqualität im Vorteil sind gegenüber natürlichem Boden mit wechselnder Zusammensetzung. Erst bei wenig durchlässiger Beschaffenheit erreicht Oberboden sein Optimum an Reinigung. Gut durchlässiger Boden hingegen lässt ein relativ geringes Reinigungspotential vermuten. Hierzu wird selten ein Nachweis geführt, der Austausch des Materials nach Jahrzehnten so gut wie nicht erwogen. Bei einem Pflastersystem wäre, falls überhaupt erforderlich, Ausbau, Entsorgung und Einbau unkompliziert.
Wirtschaftlichkeit, Sparpotentiale
Vergleichbare Funktionalität vorausgesetzt, sind in der Regel wirtschaftliche Gründe ausschlaggebend für die Entscheidung zwischen verschiedenen Systemen. Dabei müssen jedoch nicht nur die einmaligen Investitionskosten, sondern auch die langfristigen Kosten, zum Beispiel durch notwendige Wartungsarbeiten, mit einkalkuliert werden. Dazu wurde von der Arcadis Deutschland GmbH eine Studie durchgeführt, in der die Wirtschaftlichkeit verschiedener in Deutschland häufig angewendeter Entwässerungs- und Behandlungsverfahren verglichen wurde. Die Untersuchung geht aus von einem Musterparkplatz mit 107 Stellflächen bei ca. 2400 m² Gesamtfläche. Die verschiedenen Varianten wurden bemessen, die Investitions- und Betriebskosten ermittelt und der Projektkostenbarwert für einen Betrachtungszeitraum von 50, 25 und 10 Jahren berechnet. Bei der Gesamtwirtschaftlichkeit schneiden die Flächenbeläge am besten ab, da keine weiteren Investitionen zur Entwässerung und Niederschlagswasserbehandlung mehr erforderlich sind. Auch sind die Betriebskosten im Vergleich relativ gering. Bei hohen Gebühren, mit denen in Zukunft zu rechnen ist, wird das Ableiten in ein öffentliches Kanalnetz langfristig etwa 25% teurer sein als die Flächenversickerung. Die Projektkostenbarwerte der Varianten „Mulden-Rigolen“ sowie „Schacht und Filterrinne“ liegen laut Studie um 14 - 30% höher [3].
Fazit
Halb so viel versiegeln als bisher ist erreichbar mit konsequentem Anwenden der novellierten, technischen Regel FGSV MVV R2. Material und Bauweise sind vorhanden bzw. bekannt und mit Systemen wie Ecosave protect bereits im Einsatz. Die hydraulische Sicherheit für eine vollständige Versickerung des Niederschlags, auch bei Starkregenereignissen, ist gegeben. Das Wasserhaushaltsgesetz 2009 zwingt uns darüber hinaus, den Stand der Technik anzuwenden, um den Schutz der Gewässer einschließlich Grundwasser zu gewährleisten. Allgemeine bauaufsichtliche Zulassungen, einzusehen auf www.ecosave-protect.de, sichern Planer und Bauherren haftungsrechtlich ab.
Im Kostenvergleich zu anderen Entwässerungsvarianten mit vergleichbaren Funktionen schneiden das Regenwasser behandelnde Pflastersysteme bestens ab, was zu ihrer schnellen Verbreitung beitragen dürfte.
Auf diesem Weg ist das ehrgeizige Ziel der Bundesregierung, bis zum Jahr 2020 die tägliche Zunahme des Flächenverbrauchs in Deutschland zu halbieren, vermutlich noch zu schaffen.
Um durchschnittlich 74 Hektar pro Tag hat die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland in den Jahren 2009 bis 2012 zugenommen. Die Fläche hat sich damit langsamer ausgedehnt als im Zeitraum 2008 bis 2011, in dem die tägliche Zunahme noch 81 Hektar betrug. Ziel der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung ist es, die Ausbreitung neuer Siedlungs- und Verkehrsflächen bis 2020 auf 30 Hektar pro Tag zu reduzieren.
Siedlungs- und Verkehrsfläche darf nicht mit „versiegelter Fläche“ gleichgesetzt werden: So haben zum Beispiel Erholungsflächen, insbesondere Grünanlagen und Sportflächen, derzeit einen Anteil von 8,6 % an der Siedlungs- und Verkehrsfläche. Diese Erholungsflächen tragen in den Jahren 2009 bis 2012 in erheblichem Umfang (+ 25 Hektar pro Tag) zum Anstieg der Siedlungs- und Verkehrsfläche bei.
Neben der Siedlungs- und Verkehrsfläche, die 13,5 % der
Fläche Deutschlands einnimmt, beträgt zum Beispiel der Anteil der Landwirtschaftsfläche 52,2 %, der Anteil der Waldfläche 30,2 %.
Quelle: Statistisches Bundesamt 2013