KOMMENTARE ZUR AKTUELLEN RECHTSPRECHUNG FÜR DIE BAUWIRTSCHAFT

Von Strafen, Referenzen und externen Prüfleistungen

Unser Autor Rechtsanwalt Michael Werner vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie kommentiert hier drei Urteile, die großes Interesse verdienen. Einmal entschied der BGH, einmal das OLG Düsseldorf, einmal das OLG München.

Einbehalt bei ungeklärter Vertragsstrafe in Bauvertragskette

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 6. September 2012 – VII ZR 72/10 - (www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:

Ein Hauptunternehmer ist nicht berechtigt, die Zahlung des dem Nachunternehmer zustehenden Werklohns so lange zu verweigern, bis in einem Rechtsstreit zwischen ihm und seinem Auftraggeber geklärt ist, ob der Auftraggeber gegen den Werklohnanspruch des Hauptunternehmers zu Recht mit einer von diesem bestrittenen Vertragsstrafe aufrechnet, die der Auftraggeber wegen einer Verzögerung der Nachunternehmerleistung geltend macht.

Ein Generalübernehmer beauftragte beim Bau eines Sportstadions als Auftraggeber (AG) den Hauptauftragnehmer (AN) mit Leistungen der Haustechnik. Dieser wiederum beauftragte einen Nachunternehmer (NU) mit Leistungen der Fernmeldetechnik. Die für den 12.08. vereinbarte Gesamtfertigstellung durch den NU erfolgte erst zwei Monate später. In der Folge rechnete der AG gegen den Werklohnanspruch des AN mit einer Vertragsstrafe auf. Über diese kommt es zu einem Rechtsstreit, in dem der AN u. a. einwendet, die Vertragsstrafe sei nicht wirksam vereinbart worden. Gleichzeitig klagt der NU seinen Werklohn beim AN ein. Dieser wandte ein, er dürfe den Werklohn des NU bis zur Klärung des Vertragsstrafenanspruchs des AG zurückhalten, da die Fristüberschreitung des NU für den Einbehalt des AG ursächlich gewesen sei.

Das vorinstanzliche OLG hatte dem AN Recht gegeben, da der NU dem AN nach § 5 Nr. 4 VOB/B i.V.m. § 6 Nr. 6 Satz 1 VOB/B zum Schadensersatz verpflichtet sei, weil der NU in Fertigstellungsverzug geraten war. Teil des dem AN aus der Verzögerung zu ersetzenden Schadens sei die Vorenthaltung eines Liquiditätszuflusses von Seiten seines AG, der dadurch ausgeglichen werde, dass der AN bis zur Klärung der Anspruchsberechtigung des AG keine Zahlung an den NU zu leisten habe.

Der BGH entscheidet hier anders als die Vorinstanz. Der AN könne der Werklohnforderung des NU kein Zurückbehaltungsrecht entgegenhalten. Dabei könne es nach Auffassung des BGH dahinstehen, ob die vom NU verursachte Verzögerung des Liquiditätszuflusses von Seiten des AG einen ersetzbaren Schaden darstelle, oder ob erst aus der Verzögerung resultierende Nachteile, wie beispielsweise Zinsverluste oder notwendige Zinsaufwendungen solche Schäden darstellten. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH werde die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der Norm begrenzt. Der Ausgleich des hier geltend gemachten Verzögerungsschadens durch Gewährung eines Zurückbehaltungsrechts gegenüber der Werklohnforderung des NU sei hier vom Schutzzweck der haftungsbegründenden Norm (§ 5 Nr. 4 VOB/B i.V.m. § 6 Nr. 6 Satz 1 VOB/B 2002) nicht umfasst. Der geltend gemachte Schaden müsse in einem inneren Zusammenhang mit der durch den Schädiger geschaffenen Gefahrenlage stehen. Das könne auch der Fall sein, wenn der Schaden durch eine vertragswidrige Handlung eines Dritten entstehe. Ein „äußerlicher“, gleichsam „zufälliger“ Zusammenhang genüge dagegen nicht. Insbesondere sei Zweck vertraglicher Haftung nicht, den Geschädigten von seinem allgemeinen Lebensrisiko zu entlasten.

Nach dem Sachvortrag des AN bestehe der vom AG behauptete Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe gerade nicht, so dass der Werklohnanspruch des AN nicht wirksam durch Aufrechnung vermindert worden sei und noch durchgesetzt werden könne. Ein Risiko, Ansprüche gegen den AG erst mit gerichtlicher Hilfe durchsetzen zu können, treffe prinzipiell jeden Unternehmer. Es sei grundsätzlich seinem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen. Daran ändere sich nichts, wenn das Verhalten des AG erst oder auch durch eine Pflichtverletzung des NU hervorgerufen worden sei.

 

Anmerkung:

Das Urteil zeigt, dass hier der Hauptauftragnehmer gegen die Werklohnforderung des NU mit einem eigenen Schadensersatzanspruch infolge des Vertragsstrafenanspruchs des Auftraggebers hätte aufrechnen müssen. Dass hier das Verhalten des AG erst oder auch durch eine Pflichtverletzung des NU hervorgerufen worden ist, muss hier der AN nach seinem allgemeinen Lebensrisiko selbst tragen. Belastungen, die sich aus der Durchsetzung berechtigter Ansprüche zwischen dem Hauptunternehmer (hier AN) und seinem Besteller (hier AG) ergeben, sind demnach von den jeweils betroffenen Vertragspartner zu tragen. Es ist nicht gerechtfertigt, diese Belastungen auf den Nachunternehmer abzuwälzen.

 

Ist eine Beschränkung der Referenzenanzahl zulässig?

Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 12. September 2012 – Verg 108/11 – Folgendes entschieden:

1. Eine Leistungsbeschreibung, die die Referenzenanzahl auf drei beschränkt, ist vergaberechtswidrig. Die Vergabestelle versetzt bei Erhalt einer unzureichenden Referenz richtigerweise das Vergabeverfahren zurück, ändert die Leistungsbeschreibung, macht dies bekannt und fordert neue Referenzen an.

2. Ein Nachweis „fehlt“ im Sinne des § 19 Abs. 2 VOL/A-EG 2009 nur dann, wenn er entweder nicht vorgelegt worden ist oder formale Mängel aufweist.

3. Ein Bieter kann seine Leistungsfähigkeit mit Referenzanteilen nachweisen, die er aus einer Bietergemeinschaft heraus erbracht hat.

Eine Vergabestelle (VSt) hatte Briefdienstleistungen im Offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Gegenstand war die Abholung, Frankierung, Beförderung und Zustellung von Briefsendungen. Einziges Wertungskriterium war der niedrigste Preis. Die Bieter mussten drei mit dem aktuellen Auftrag vergleichbare Unternehmensreferenzen vorlegen. In der Leistungsbeschreibung hieß es unter Ziffer 8.3 (Referenzen des Unternehmens) u. a.: Vergleichbar bedeutet, bezogen auf den kompletten Leistungsgegenstand, Sendungsvolumen, Leistungsstellen etc. Bei Angabe von mehr als drei Referenzen werden nur die Referenzen mit den Nummern 1 bis 3 in die Bewertung einbezogen.

Bieter A legte drei vergleichbare, Bieter B zwei vergleichbare und eine zu kleine Referenz vor. B lag nach dem Submissionsergebnis an erster Stelle, wurde jedoch als nicht geeignet ausgeschlossen. B rügte dies und begehrte die Nachreichung einer vergleichbaren Referenz, was ihm gestattet wurde. Die VSt bejahte nunmehr die Eignung des B und kündigte dessen Beauftragung an. A legte Beschwerde zur Vergabekammer ein und bekam Recht: B hätte keine Referenz nachreichen dürfen. § 19 Abs. 2 VOL/A-EG 2009 ermögliche nur eine Nachreichung physisch nicht vorhandener und unvollständiger Erklärungen oder Nachweise, nicht jedoch eine Nachbesserung. B legt dagegen sofortige Beschwerde ein.

Der Vergabesenat gibt B Recht und hält es für rechtmäßig, dass die VSt dem B gestattet hatte, eine zusätzliche Referenz nachzureichen. Anders als von der Vergabekammer entschieden, komme es hier nicht auf die Reichweite der Nachreichungsregelung des § 19 Abs. 2 VOL/A-EG an. Diese gelte nur für fehlende, d. h. entweder nicht vorgelegte oder formal mangelhafte Nachweise und sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar gewesen. Hier sei die Regelung unter Ziffer 8.3 der Leistungsbeschreibung vergaberechtlich zu beanstanden. Der Umstand, dass die VSt unabhängig von der Anzahl der von einem Bieter vorgelegten Referenzen die Anzahl der in der Eignungsprüfung zu berücksichtigenden Referenzen auf drei Stück beschränkt habe, verstoße gegen vergaberechtliche Grundsätze, insbesondere gegen den Wettbewerbsgrundsatz aus § 97 Abs. 1 GWB. Die Regelung unter Ziffer 8.3 habe einen abschreckenden Effekt auf die Bieter mit der Folge, dass sie in der Regel nicht mehr als drei Referenzen vorlegten, um ihre Eignung nachzuweisen. Daraus resultiere, dass die Eignungsprüfung durch den AG auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage erfolge. Legten Bieter dagegen mehr als drei Referenzen vor und würden nur drei Referenzen bewertet, werde der Eignungsprüfung durch den Auftraggeber fehlerhaft nicht der vollständige, mit dem Angebot unterbreitete Sachverhalt zu Grunde gelegt. Gleichwohl sei hier die Vorgehensweise der VSt vergaberechtlich nicht zu beanstanden. Denn sie habe unbewusst den in Ziffer 8.3 der Leistungsbeschreibung gemachten Fehler objektiv behoben, indem sie dem B die Nachreichung der Referenz gestattete. Soweit die VSt die Nachreichung dem A nicht mitgeteilt habe, liege hierin ein Verstoß gegen den Grundsatz des transparenten Vergabeverfahrens (§ 97 Abs. 1 GWB). Dieser Verstoß verletze den A aber nicht in seinen Rechten, da er durch ihn in seinen Auftragschancen nicht schlechter gestellt worden sei. Darüber hinaus sei nicht zu beanstanden, dass die nachgereichte Referenz die einer Bietergemeinschaft gewesen sei. Denn die B habe sich lediglich auf den von ihr im Rahmen der Bietergemeinschaft erbrachten Leistungsanteil berufen.

 

Anmerkung:

Die Entscheidung, die ohne weiteres auch auf die VOB/A übertragbar ist, ist deshalb von großem Interesse, da es die Frage aufwirft, ob jedwede Beschränkung der Referenzenanzahl per se vergaberechtlich unzulässig ist. Ebenfalls interessant wäre die Frage, ob die „Reparatur des Vergabeverfahrens“ durch Rückversetzung auch bei anderen Vergabefehlern möglich ist.

Gleichwohl ist es dem öffentlichen Auftraggeber nach dieser Entscheidung zu raten, die Zahl der Referenzen nicht von vornherein auf eine zu geringe Anzahl zu begrenzen.

 

Nachunternehmererklärungen für externe Prüfleistungen?

Das OLG München hat mit Beschluss vom 12. Oktober 2012 – Verg 16/12 – (www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:

1. Ein Angebot darf nur dann wegen fehlender Erklärungen ausgeschlossen werden, wenn der öffentliche Auftraggeber die Vorlage der betreffenden Erklärung eindeutig und unmissverständlich gefordert hat.

2. Externe Prüfleistungen stellen oft lediglich Hilfsleistungen dar und sind in diesen Fällen nicht als Nachunternehmerleistungen zu qualifizieren.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte die Errichtung eines Brückenbauwerks europaweit im Offenen Verfahren nach VOB/A ausgeschrieben. In den Vergabeunterlagen wurde die Einreichung der Formulare 235 EG (Verzeichnis der Unternehmerleistungen) und 236 EG (Verpflichtungserklärung Teilleistungen durch andere Unternehmen) gefordert. Ausgeschrieben waren u. a. die Erbringung von Laborleistungen zur Überprüfung der Betonqualität sowie die Überwachung des Einbaus des Betons durch eine vom AG anerkannte Prüfstelle. Bieter A benannte für die vorgenannten Leistungen Unternehmen entsprechend der Formblätter, während der für den Zuschlag vorgesehene Bieter B dies unterließ. A rügte, dass das Angebot des B unvollständig sei und ausgeschlossen werden müsse.

Das OLG hält den Nachprüfungsantrag für nicht begründet und führt u. a. aus:

Soweit Prüfleistungen ausgeschrieben werden, die nur von allgemein anerkannten und zertifizierten Prüfstellen durchgeführt werden könnten, lägen keine Nachunternehmerleistungen i.S. der VOB/A vor. Für die Erbringung der vorliegend ausgeschriebenen Prüfleistungen existierten (hier: in Bayern) nur drei Prüfstellen, welche die gestellten Anforderungen erfüllten. Diese Prüfstellen seien nicht als Nachunternehmer zu qualifizieren und waren deshalb nicht in das vorgegebene Formular aufzunehmen. Als Nachunternehmer werde ein Unternehmer bezeichnet, welches Teile der ausgeschriebenen und vom Bieter zu erbringenden Leistung ausführe, ohne selbst in einem unmittelbaren vertraglichen Verhältnis zum AG zu stehen. Unternehmer, die selbst keine Teile der in Auftrag gegebenen Bauleistungen erbrächten, sondern in Hilfsfunktionen tätig seien oder Hilfsleistungen übernähmen, seien schon begrifflich keine Nachunternehmer wie z. B. Lieferanten von Baustoffen und Verleiher von Baumaschinen. Nach dieser Definition fielen Leistungen der anerkannten Prüfstellen schon deshalb nicht unter Nachunternehmerleistungen, weil die Prüfung per se nicht durch den Bieter erbracht werden könne. Die im Leistungsverzeichnis (LV) aufgeführten Prüfleistungen seien vom AG anerkannten Prüfstellen vorbehalten, zu denen die einzelnen Bieter offensichtlich nicht zählten.

Bei den übrigen Leistungen (die z. B. den Frost-Tausalz-Widerstand prüfen und belegen sollten) lägen hingegen Leistungen vor, die nicht nur durch vom AG anerkannte Prüfstellen erbracht werden könnten. Grundsätzlich kämen hier anerkannte Ingenieurbüros oder eigene Betonprüfstellen in Betracht und könnten somit auch von den Bietern erbracht werden. Ein Ausschluss wegen fehlender NU-Angaben für diese Leistungsbereiche komme vorliegend nicht in Betracht.

Der zwingende Ausschluss wegen einer fehlenden Erklärung sei die schärfste Sanktion im Ausschreibungsverfahren. Mit dieser korrespondiere die Verpflichtung des AG, die Vergabeunterlagen klar und eindeutig zu formulieren und in diesen eindeutig und unmissverständlich darzustellen, welche Erklärungen von ihm verlangt würden. Dies läge hier nicht vor. Die Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont ergebe, dass eine NU-Leistung für die Laborleistungen nicht eindeutig gefordert war, weil die Bieter – wie auch der AG – davon ausgegangen seien, dass es sich um Leistungen handle, die nicht vollständig durch den Bieter erbracht werden könnten und dass es sich bei diesen Fremdleistungen um bloße Hilfsleistungen handle.

Aber selbst wenn eine solche NU-Erklärung bei Angebotsabgabe gefehlt hätte, hätte das Angebot des B nicht ausgeschlossen werden dürfen. Vielmehr hätte die fehlende NU-Erklärung gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A nachgefordert werden müssen. Unter diese Erklärungen fielen auch die Erklärungen zum NU-Einsatz.

 

Anmerkung:

Immer wieder ist festzustellen, dass öffentliche Auftraggeber Prüfleistungen von den Bietern fordern, die von diesen gar nicht erbracht werden können. In dieser Hinsicht ist die Entscheidung des OLG München interessant, da eine grundsätzliche Einordnung und Definition von Nachunternehmerleistungen im Verhältnis zu sog. „Hilfsleistungen“ aufweist, an denen sich Bieter in streitigen Fällen orientieren können.

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