Wenn der BGH sagt: „Zahlen bitte!“
Drei für die Bauwirtschaft spannende Urteile kommentiert unser Autor Rechtsanwalt Michael Werner vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie in diesem Artikel.
Anspruch auf Nachtragsvergütung auch ohne Preisvereinbarung?
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Beschluss vom 24. Mai 2012 – VII ZR 34/11 - (www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:
Der Auftragnehmer ist berechtigt, auch dann Abschlagszahlungen für eine vom Auftraggeber geforderte zusätzliche Leistung unter den Voraussetzungen des § 16 Nr. 1 Abs. 1 VOB/B zu fordern, wenn eine Einigung über deren Vergütung nicht stattgefunden hat.
Der Auftraggeber (AG) beauftragte den Auftragnehmer und späteren Kläger (AN) mit einem VOB/B-Vertrag und forderte während der Bauausführung die Erbringung zusätzlicher Leistungen gemäß § 1 Abs. 4 VOB/B. Darauf übersandte der AN dem AG ein Nachtragsangebot mit Mehrkosten, erbrachte die zusätzliche Leistung und stellte hierüber eine Abschlagsrechnung aus. Da diese nicht innerhalb von 18 Werktagen beglichen wurde, mahnte er die Zahlung an.
Der AG praktizierte ein Prüfungsverfahren für Nachtragsforderungen, das erhebliche Zeit in Anspruch nahm und beglich die sich aus seiner Sicht als berechtigt erweisenden Forderungen erst nach Abschluss dieses Verfahrens. Zuvor zahlte er nach dem Ergebnis seiner Vorprüfung einen bestimmten prozentualen Abschlag auf die Forderungen. Die Parteien hatten sich im Zuge dieses Prüfungsverfahrens auf eine dem AN für die zusätzlich geforderten Leistungen zustehende Vergütung geeinigt, die unterhalb der zunächst mit der Abschlagsrechnung beanspruchten Nachtragsvergütung lag. Mit seiner Klage verlangte der AN Zinsen gemäß § 16 Nr. 5 Abs. 3 VOB/B (2002) unter Zugrundelegung der Vergütung, auf die sich die Parteien geeinigt hatten.
Nach Ansicht des BGH hat die Klage Erfolg. Der AN habe hier eine prüfbare Aufstellung seiner erbrachten Nachtragsleistungen vorgelegt. Damit sei er berechtigt gewesen, für seine erbrachten Nachtragsleistungen Abschlagszahlungen zu fordern, und diese seien ungeachtet des Umstandes, dass eine Vergütung erst später vereinbart worden sei, 18 Werktage nach Übergabe der Abschlagsrechnung fällig geworden. Im Weiteren führt der BGH aus:
Der Anspruch auf Vergütung der von einem Auftragnehmer aufgrund einer Anordnung des Auftraggebers (gemäß § 1 Abs. 4 VOB/B) erbrachten zusätzlichen Leistung entstehe mit der Ausübung des einseitigen Leistungsbestimmungsrechts. Dabei hänge das Entstehen des Vergütungsanspruchs nicht davon ab, dass die Parteien vor Beginn der Ausführung eine Vergütung vereinbaren. Unterbleibe eine Einigung über die Vergütung, so sei die Vergütung unter Berücksichtigung der sich aus § 2 Nr. 6 Abs. 1 Satz 1 VOB/B ergebenden Vorgaben zu ermitteln. Der Auftragnehmer sei unter den Voraussetzungen des § 16 Nr. 1 Abs. 1 VOB/B berechtigt, in Höhe des an dieser Vergütung orientierten Wertes Abschlagszahlungen für die nachgewiesenen vertragsgemäßen Nachtragsleistungen zu fordern. Die aufgrund der Anordnung des AG erbrachte zusätzliche Leistung falle unter den Begriff der vertragsgemäßen Leistung i.S. des § 16 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B, so dass ungeachtet des Umstandes, dass eine Einigung über die Vergütung noch ausstehe, Abschlagszahlungen verlangt werden könnten. Einigten sich die Parteien später auf eine Vergütung, trete diese an die Stelle der sich unter Berücksichtigung der Vorgaben des § 2 Nr. 6 Abs. 1 Satz 1 VOB/B ergebenden Vergütung, weil das Gegenstand der Einigung sei. Sofern die Parteien keine andere Regelung getroffen hätten, sei der Anspruch auf Abschlagszahlungen 18 Werktage nach Zugang der Abschlagsrechnung fällig. Der Auftragnehmer sei berechtigt, unter den Voraussetzungen des § 16 Nr. 5 Abs. 3 VOB/B Verzugszinsen wegen Nichtbezahlung dieser Vergütung zu verlangen. Der Auftraggeber sei im Falle der Überreichung einer prüfbaren Abrechnung nicht berechtigt, die Zahlung zu verweigern, weil er – ohne wirksam eine von § 16 Nr. 1 Abs. 3 VOB/B abweichende Vereinbarung getroffen zu haben – ein langwieriges internes Prüfungsverfahren durchführe. Ein Auftraggeber sei nicht berechtigt, eine Abschlagszahlung allein deshalb zu verweigern, weil er die Forderung für überhöht halte oder die Forderung tatsächlich überhöht sei. Der Umstand, dass sich die Parteien auf eine Vergütung der Klägerin geeinigt hätten, die geringer sei als die zunächst geltend gemachte Nachtragsforderung, belege weder, dass die Abschlagsforderung nicht fällig geworden sei, noch, dass die Beklagte die verspätete Bezahlung nicht zu vertreten hätte.
Anmerkung
Die Entscheidung wird ganz erhebliche Auswirkungen auf die Praxis bei der Abrechnung und Vergütung von Nachtragsforderungen in Abschlags- bzw. Schlussrechnungen haben. Für das Entstehen des Vergütungsanspruchs sind dabei entscheidend:
Das Anordnen des Nachtrags durch den AG, die Erbringung der Nachtragsleistung und eine prüfbare Abrechnung der erbrachten Leistung durch den AN.
Danach können angeordnete Nachtragsleistungen sofort nach Erbringung in Rechnung gestellt und bei nicht erfolgter Zahlung nach 18 Werktagen angemahnt werden (§ 16 Abs. 5 Nr. 3 VOB/B). Allgemeine Geschäftsbedingungen, die das Stellen einer Rechnung von der Vorlage eines Bestellscheins o. ä. abhängig machen, sind unwirksam. Hierbei ist auch auf die Entscheidung des LG Frankfurt am Main vom 3. Dezember 2007 zu verweisen, das bereits damals – bei einem Vertragswerk der Deutschen Bahn AG – feststellte, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen zu den „Regularien des kontierten Einkaufs“ gemäß § 307 Abs. 2 BGB unwirksam sind, da durch diese die Fälligkeit von Faktoren abhängig gemacht werde, auf die der Auftragnehmer keinen Einfluss habe.
Ausschluss wegen Verstoßes gegen anerkannte Regeln der Technik?
Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 2. Mai 2012 – Verg 104/11 – (www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:
1. Erstellt der Auftraggeber ein produktneutrales Leistungsverzeichnis, in welches die Bieter nur ihre Angebotspreise eintragen müssen, sind die Bieter grundsätzlich nur dazu verpflichtet, zu den angebotenen Preisen die im Leistungsverzeichnis vorgesehenen Leistungen in mittlerer Art und Güte zu erbringen.
2. Das Angebot eines Bieters wegen eines Verstoßes gegen die anerkannten Regeln der Technik scheidet aus, wenn der Auftraggeber die Konstruktionsweise und die Ausführung der Leistung im Leistungsverzeichnis im Einzelnen vorgegeben hat.
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte im Juni 2011 u. a. die Erstellung einer Küchenlüftungsdecke mit einer Fläche von 330 m² im Offenen Verfahren ausgeschrieben. Die Leistungsbeschreibung hatte detaillierte Angaben zu den zu erbringenden Leistungen sowie den einzusetzenden Materialien und Produkten enthalten. Es mussten nur die Preise für die einzelnen Leistungspositionen eingetragen, aber keine Hersteller- oder Typenangaben gemacht werden. Weitergehende Angaben zum Einsatz von Nachunternehmern in beigefügten Formblättern (235 EG und 236 EG) sollten nur in Abhängigkeit des Angebots und auf Verlangen der Vergabestelle benannt werden. Ein Bieter (A) fügte seinem Angebot die ausgefüllten Formblätter bei und benannte einen konkreten Nachunternehmer sowie ein bestimmtes Lüftungsdeckenfabrikat, das er im Zuge der Aufklärungsgespräche mit dem AG als „vorangebotenes Fabrikat“ bezeichnete. Ein konkurrierender Bieter (B) war der Ansicht, das Angebot des Bieters A sei auszuschließen, weil das angebotene Produkt die ausgeschriebene Leistung nicht erfülle bzw. unvollständig sei. Er rügte die beabsichtigte Zuschlagserteilung an Bieter A. Die Vergabekammer hatte den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen rief B das OLG an.
Nach Ansicht des OLG ist die sofortige Beschwerde unbegründet. Das Angebot des Bieters A sei nicht wegen Änderungen in den Vergabeunterlagen gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 b i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 VOB/A auszuschließen. Zwar habe der AG hier ein produktneutrales LV erstellt, in welches die Bieter nur ihre Angebotspreise eintragen mussten. Darüber hinausgehende Angaben waren nicht gefordert. Dem stehe aber nicht entgegen, dass Bieter A hinsichtlich der Küchenlüftungsdecken ein bestimmtes Fabrikat benannt habe. Dieses Angebot habe er jedoch dahingehend klargestellt und relativiert, dass es sich lediglich um ein „vorangebotenes Fabrikat“ gehandelt habe. Hieraus gehe hervor, dass sich A damit weder auf einen bestimmten Lüftungsdeckentyp noch auf ein Modell oder Gerät festgelegt habe. Das Angebot verstoße auch nicht gegen die anerkannten Regeln der Technik, oder gegen einschlägige technische Normen (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 VOB/B). Ein Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik scheidet hier schon deshalb aus, weil nicht A, sondern der AG die Konstruktionsweise und die Ausführung im Einzelnen vorgegeben habe. Darüber hinausgehende konkrete Festlegungen, insbesondere solche, die den anerkannten Regeln der Technik, den DIN-Normen oder den vertraglichen Vereinbarungen widersprechen würden, seien hier durch A nicht erfolgt. Ebenso wenig komme ein Ausschluss wegen fehlender Nachunternehmererklärung in Betracht. Mit Vorlage der beiden ausgefüllten Formulare habe A zwar mehr getan als er hätte tun müssen, da diese Angaben nach den Vergabeunterlagen überhaupt nicht gefordert waren. Allerdings sei hier Bieter A an die gleichwohle Benennung des Nachunternehmers nicht gebunden. Er hätte später auch einen anderen Nachunternehmer einsetzen können.
Anmerkung
Unabhängig von den Aussagen im o. g. Tenor der Entscheidung ist hervorzuheben, dass die hier ohne Verpflichtung erfolgte Benennung eines Nachunternehmers durch den Bieter als unverbindlich angesehen wurde. Da aber nicht auszuschließen ist, dass dies seitens der Rechtsprechung auch anders beurteilt werden kann, ist dem Bieter zu empfehlen, tatsächlich seine Nachunternehmer erst dann zu benennen, wenn er vom Auftraggeber ausdrücklich dazu aufgefordert wird.
Unzuverlässigkeit eines Bieters wegen mangelhafter früherer Leistungen?
Die Vergabekammer Nordbayern hat mit Beschluss vom 12. Juni 2012 – 21.VK-3194-10/12 -(www.ibr-online.de) u. a. Folgendes entschieden:
Steht dem Auftraggeber bei der Entscheidung über den Ausschluss eines Angebots ein Beurteilungsspielraum zu und hat er in Ausübung dieses Spielraums die Zuverlässigkeit, fachliche Eignung und Leistungsfähigkeit des Bieters bejaht, ist er daran grundsätzlich gebunden. Er ist nach Treu und Glauben im Allgemeinen gehindert, im weiteren Verlauf des Vergabeverfahrens von seiner ursprünglichen Beurteilung abzurücken und bei unveränderter Sachlage die Zuverlässigkeit, Eignung oder Leistungsfähigkeit des Bieters nunmehr zu verneinen. Die Bindung an eine einmal getroffene Ermessensentscheidung besteht selbst dann, wenn der Auftraggeber im Rahmen der Eignungsprüfung verfahrensfehlerhaft nicht alle zu berücksichtigenden Umstände gewürdigt haben sollte.
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Parkett- und Bodenbelagsarbeiten europaweit im Offenen Verfahren ausgeschrieben. Von 16 Angeboten hatte nach rechnerischer Prüfung Bieter A das günstigste Angebot abgegeben. Bieter B lag auf Platz 2. Der AG teilte darauf den Bietern mit, nach Ablauf der Informationsfrist den Zuschlag an Bieter A für den Fall zu erteilen, dass „bis dahin kein Nachprüfungsverfahren eingeleitet worden und nicht andere unvorhersehbare entscheidungsrelevante Gründe eingetreten seien“. Kurz darauf revidierte der AG seine Zuschlagsentscheidung. Bieter A wurde mitgeteilt, dass der Zuschlag nun an Bieter B erteilt werde, da aufgrund äußerst schlechter Erfahrungen des AG bei der Auftragsabwicklung zweier früherer Projekte mit A die Zuverlässigkeit bezweifelt und sein Angebot gemäß § 16 Abs. 2 Nr. 1 VOB/A ausgeschlossen werde. Dagegen wehrte sich Bieter A mit Nachprüfungsantrag zur Vergabekammer.
Die Vergabekammer (VK) gibt hier Bieter A recht und sieht ihn in seinen Rechten gemäß § 97 Abs. 7 GWB verletzt, da sein Angebot zu unrecht von der Wertung ausgeschlossen worden sei. Die VK betont, dass der AG grundsätzlich an seine ursprüngliche Beurteilung der Eignung eines Bieters gebunden sei – siehe Urteilstenor. Allerdings könne es im Einzelfall zulässig und sogar geboten sein, eine Eignungsprüfung nachträglich zu korrigieren, wenn sich zwischenzeitlich aufgrund neuer Erkenntnisse herausgestellt haben sollte, dass die ursprüngliche Eignungsprüfung auf falschen Tatsachen beruhte. Dabei sei auch nicht zu beanstanden, wenn ein AG bei der Eignungsprüfung eines Bieters auf eigene Erfahrungen aus früheren, abgeschlossenen Vertragsverhältnissen zurückgreife. Allerdings könne hier der AG mit seiner Behauptung, es wären neue Erkenntnisse gewesen, die erst nach dem Zusageschreiben an Bieter A bekannt geworden seien, nicht durchdringen. Die eigenen Probleme des AG mit Bieter A aus früheren Aufträgen seien dem AG bekannt gewesen.
Für die Bewertung der Zuverlässigkeit eines Bieters im Vergabeverfahren sei maßgebend, inwieweit die Umstände des Einzelfalles die Aussage rechtfertigten, er werde die von ihm angebotenen Leistungen, die Gegenstand des Vergabeverfahrens sind, vertragsgerecht erbringen. Die Beurteilung der Zuverlässigkeit sei eine Prognoseentscheidung, die regelmäßig aufgrund des in der Vergangenheit liegenden Geschäftsgebarens des Bewerbers erfolge. Zu den typischen Fällen von Unzuverlässigkeit eines Bewerbers gehöre grundsätzlich auch mangelnde Sorgfalt bei der Ausführung früherer Arbeiten, die zu Nachforderungen des Auftraggebers oder zu Gewährleistungsansprüchen geführt hätten. Erforderlich sei dabei eine umfassende Abwägung aller in Betracht kommenden Gesichtspunkte unter angemessener Berücksichtigung des Umfangs, der Intensität, des Ausmaßes und des Grades der Vorwerfbarkeit der Pflichtverletzungen. Aus der Tatsache einer Vertragsverletzung oder einer mangelhaften Leistung könne daher nur dann der Rückschluss auf eine Unzuverlässigkeit des Unternehmers gezogen werden, wenn der Mangel gravierend sei, d. h. zu einer deutlichen Belastung des AG, sei es in tatsächlicher oder finanzieller Hinsicht, geführt habe. Nach ausreichender Würdigung der unterschiedlichen Standpunkte der Parteien sei die Vergabekammer hier zu der Überzeugung gelangt, dass ein einseitiges, vorwerfbares Verschulden des Bieters A bezüglich seiner früheren Leistungen nicht feststellbar sei. Damit biete das Verhalten des A keine ausreichenden Anhaltspunkte für das Fehlen seiner Zuverlässigkeit. Bei dieser Prüfung sei auch besonders zu berücksichtigen, dass ein Ausschluss eines Unternehmens von der öffentlichen Auftragsvergabe wegen Unzuverlässigkeit schwerwiegende Folgen für das Unternehmen haben könne. Deshalb seien die Hürden für einen derartigen Ausschluss relativ hoch. Insbesondere müsse es sich um gravierende und vor allem um nachgewiesene Verfehlungen handeln. Diese hätten hier vom AG nicht dargelegt werden können.
Anmerkung
Die Entscheidung zeigt exemplarisch, wie wichtig eine sorgfältige Überprüfung der Eignung eines Bieters ist. Wird diese durch den Auftraggeber bejaht, sind die Hürden, später die festgestellte Eignung eines Bieters wieder in Zweifel zu ziehen, außerordentlich hoch. In Anbetracht der bedeutenden Folgen eines Verfahrensausschlusses für einen Unternehmer müssen die früheren Verfehlungen besonders gravierend sein und insbesondere vom Auftraggeber im Einzelnen nachgewiesen werden. Dies dürfte im Einzelfall regelmäßig sehr schwierig sein.