Umleitung der Wassermassen

Hochwasserschutz in der Schweiz und in Österreich

Die Hochwasserereignisse im Sommer 2024 warfen die Frage nach dem Hochwasserschutz in anderen Ländern auf. Beispielhaft werden die derzeit entstehenden Entlastungsstollen der Sihl in Zürich sowie der Neuen Donau in Wien vorgestellt.

Entlastungsstollen der Sihl in Zürich

Die Sihl ist normalerweise ein kleines, im Oberlauf ausgesprochen naturbelassenes Flüsschen, das nur getrennt durch die kaum zwei Kilometer breite Albis-Bergkette den Zürichsee auf seiner südwestlichen Seite umfließt. Bevor sie etwa auf Höhe des Zürcher Hauptbahnhofes in die Limmat mündet, durchfließt die Sihl auf einer Strecke von etwa zwei Kilometern unmittelbar das Zentrum der Schweizer Metropole. Gleichwohl ihr Verlauf dort begradigt in einem relativ tiefen Kanal erfolgt, kann ein Extremhochwasser die Sihl schnell zu einem reißenden Fluss anschwellen lassen und im unteren Sihltal sowie in der Stadt selbst zu erheblichen Überschwemmungen führen.

Geschehen ist dies tatsächlich zuletzt 1910, jedoch in einer massiven Art und Weise, weshalb seitdem aktiv ein vorbeugender Hochwasserschutz betrieben wird – wie etwa die erwähnte Kanalisation der Sihl. Doch mit Blick auf den Klimawandel wird davon ausgegangen, dass die Vorkehrungen auf lange Sicht nicht ausreichen werden. Studien haben ergeben, dass ein Entlastungsstollen durch die Albis Höhenkette hindurch und ein Abführen der übermäßigen Wasserfluten in den Zürichsee die beste Variante wären, um die gefährdeten Gebiete zu schützen. Gebaut wird nunmehr zwischen Langnau am Albis und Thalwil ein Stollen, der jedoch erst bei sehr großen und aktuell noch seltenen Wassermengen zum Einsatz kommen soll. Fachleute erwarten, dass dies, basierend auf dem heutigen Erkenntnisstand, nur alle 20 Jahre sein wird. Interessant ist auch der Umstand, dass der die Wassermengen dann aufnehmende Zürichsee oberhalb des Stadtzentrums liegt. Auch das hat man untersucht. Man geht jedoch davon aus, dass die zusätzlichen Wassermengen durch die große Seefläche kompensiert werden und deshalb nur marginal der Wasserspiegel des Zürichsee angehoben wird.

Konzept des Entlastungsstollens

Der Entlastungsstollen sorgt dafür, dass die Marke einer die Sihl durchfließenden Wassermenge von 300 m³/s im eigentlichen Flussbett nicht überschritten wird. Denn oberhalb dieses Wertes wäre für das untere Sihltal und die Zürcher Innenstadt mit Hochwasserschäden zu rechnen. Geplant ist, dass ab einer Menge von 250 m³/s das Wasser in den Stollen einfließen und so in den Zürichsee umgeleitet wird. In diesem Zusammenhang sei an den Juli 2021 erinnert, als es in Deutschland zum Ahrhochwasser kam und auch in der Schweiz viele Flüsse und Seen über die Ufer traten. Damals erreichte die Sihl nur eine Fließgeschwindigkeit von 248 m³/s.

Man könnte also fragen, wozu der ganze Aufwand, doch die Maßnahme ist eine Absicherung für die Zukunft. Der Entlastungsstollen soll 2026 in Betrieb gehen und in der Lage sein, vor einer Hochwasserspitze der Sihl von bis zu 600 m³/s zu schützen. Das entspricht nach aktuellen Werten einem Extremhochwasser mit einer statistischen Eintretenswahrscheinlichkeit von einmal in 500 Jahren. Dabei werden maximal 400 m³/s in den Stollen eingeleitet, die restlichen 200 m³/s verbleiben im Flussbett.

Der Einlauf des Sihl-Entlastungsstollens befindet sich oberhalb von Langnau am Albis. Der Entlastungsstollen mündet in den Zürichsee im Bereich des Seebads Bürger I in Thalwil. Er wird rund 2 Kilometer lang sein und einen Innendurchmesser von 6,60 Meter aufweisen. Mit einer Tunnelbohrmaschine der Firma Herrenknecht soll er möglichst erschütterungsarm in Richtung Zürichsee ausgebrochen werden. Das Bohrgerät weist ein gekrümmtes Stahlschild auf, das oberhalb des Bohrkopfs sitzt und den soeben ausgebrochenen Hohlraum gegen herunterfallende Felsplatten schützt. Unmittelbar im Anschluss an diese Schutzvorrichtung kleidet die Maschine den Stollen automatisch mit Tübbingen aus Beton aus. Das Ausbruchmaterial wird im Sihltal zwischengelagert und von dort größtenteils mit der Eisenbahn umweltverträglich abtransportiert.

Einlaufbauwerk

Die Hochwasserspitzen der Sihl werden über ein automatisch reguliertes, ca. 100 Meter langes Einlaufbauwerk entnommen. Dort befindet sich ein Wehr, das aus einer Betonmauer und zwei darauf befestigten, luftgefüllten Schläuchen besteht. Bei einem normalen Wasserstand und bei ungefährlichen Hochwassern versperrt das Wehr den Wassereinlauf in den Stollen. Im Oberlauf der Sihl werden zahlreiche Messstationen eingerichtet. Melden diese einen Pegelstand oberhalb eines kritischen Wertes, senken sich die beiden jeweils 40 Meter langen Schlauchwehre automatisch ab und der Entlastungsstollen wird aktiviert.

Bis zu einer Abflussmenge von 250 m³/s sind die 2,5 Meter hohen Schlauchwehre prall mit Pressluft gefüllt und die Anlage ist inaktiv. „Harmlose“ kleine und mittlere Hochwasser durchfließen dann weiterhin die ganze Sihl. Erst wenn die Wassermenge über den kritischen Wert steigt, wird Luft aus den Schlauchwehren gelassen, diese senken sich ab, sodass eine definierte Wassermenge in den Entlastungsstollen überfließen kann.

Auslaufbauwerk

Der Entlastungsstollen mündet in Thalwil direkt neben der dortigen Kläranlage in die so genannte Toskammer des Auslaufbauwerks. Aufgrund des Stollengefälles erreicht das Sihlwasser die Toskammer mit annähernd 50 km/h und wird dort auf weniger als 15 km/h abgebremst. Zuvor haben die Wassermassen in einem rechteckigen, 8 Meter breiten und 6 Meter hohen Betonkanal die Seestrasse in Thalwil unterquert. Das Auslaufbauwerk reicht 90 Meter weit in den See hinein. Weit weg vom Seeufer und mindestens 3 Meter unter der Wasseroberfläche, strömt das abgeleitete Sihlwasser kontrolliert in den See. Ein Gitter im Mündungsbauwerk verhindert ein unbefugtes seeseitiges Eindringen von Lebewesen. Das Auslaufbauwerk wird im See mit Hilfe temporärer Spundwände errichtet, die um die im See gelegene Baugrube herum in den Grund getrieben wurden. Anschließend wird das Wasser aus diesem abgesperrten Bereich abgepumpt und damit die Baugrube trockengelegt.

Langfristig rechnet es sich

Die Kosten für die Planung und den Bau des Entlastungsstollens und die ökologischen Ersatzmaßnahmen werden mit rund 175 Millionen CHF veranschlagt. Diese Investition des Kantons Zürich ist im Vergleich zu den durch ein Sihl-Hochwasser zu erwartenden Schäden als günstig zu bezeichnen: Ein solches Extremhochwasser könnte alleine in der Stadt Zürich Schäden von bis zu 6,7 Milliarden CHF verursachen. Daher wird der größte Teil der Kosten vom Kanton Zürich, dem Schweizer Bund, der Stadt Zürich und sogar von der Schweizer Eisenbahngesellschaft SBB übernommen.

Neue Donau, Wien

Die Neue Donau wurde im Rahmen der zweiten Wiener Donauregulierung 1972 bis 1987 als Entlastungsgewässer zum Schutz gegen Hochwasser gebaut. Zwischen der Neuen Donau und dem Hauptstrom liegt die bekannte 100 bis 300 Meter breite Wiener Donauinsel. Das Einlaufbauwerk der etwa 200 Meter breiten Neuen Donau befindet sich in Höhe Langenzersdorf. Es wird nur geöffnet, wenn der Fluss Hochwasser führt. Die Tiefe der Neuen Donau beträgt bei Ruhewasserspiegel etwa 6,30 Meter und ist damit erheblich tiefer als der Hauptstrom. Die größere Tiefe ist erforderlich, um als schmaleres Entlastungsgerinne ausreichend Wasser aufnehmen zu können. Zwei Wehre regeln den Wasserstand der Neuen Donau, in der das Wasser in normalen Zeiten weitgehend steht. Nordöstlich der Neuen Donau und somit noch weiter vom begradigten Hauptstrom entfernt, verläuft in einem weiten Bogen die Alte Donau, die im Zuge der ersten Donauregulierung zwischen 1870 und 1875 entstanden ist. Schließlich verläuft südöstlich der Wiener Altstadt der nur 50 Meter schmale Donaukanal. Wo sich heute die Neue Donau und die Donauinsel erstrecken, befand sich zuvor das bei der ersten Wiener Donauregulierung 1870-1875 geschaffene Überschwemmungsgebiet – eine weite, bei Hochwasser geflutete Wiesenlandschaft. Das nordöstliche Ufer der Neuen Donau sichert der bis 1875 gebaute Hubertusdamm (Marchfeldschutzdamm).

Im Sommer 1954 wurde Wien von einem verheerenden Hochwasser heimgesucht, das das stadtseitige Ufer überschwemmte. Der Hubertusdamm musste mit Sandsäcken erhöht werden und zahlreiche Überschwemmungsopfer waren von der Feuerwehr zu retten. Die Katastrophe offenbarte, dass die Wiener Infrastruktur lediglich für eine Durchflussmenge von rund 10.000 m³/s ausgelegt war. 1957 wurde daher mit den Planungen für einen verbesserten Hochwasserschutz begonnen. Es entstand ein Donauregulierungsplan, der die Schaffung eines Entlastungsgewässers sowie das Aufschütten einer langgestreckten Insel in der Donau vorsah. Die Arbeiten dazu begannen 1972 und dauerten bis 1987 an. Für den Bau wurden rund 30 Millionen Kubikmeter Erde bewegt. Dank der Entlastungsrinne, die Neue Donau getauft wurde, kann Wien von einer Hochwassermenge von maximal 14.000 m³/s ohne Schäden durchflossen werden. Dabei entfallen 5.200 m³/s auf die Neue Donau und 8.800 m³/s auf den Hauptstrom. Die Baukosten betrugen zusammen mit dem gleichzeitig errichteten nordöstlichen Hubertusdamm 7 Milliarden Schilling.

Fazit

Österreich und die Schweiz zeigen mit diesen beiden beeindruckenden Großprojekten, insbesondere im Fall der Neuen Donau, sogar eine Jahrzehnte zurückreichende Weitsicht. Sie zahlt sich aktuell vor dem Hintergrund des Klimawandels und dem damit einhergehenden steigenden Hochwasserrisiko mehr als aus. Ausflüchte der Politik, von den Naturereignissen überrascht worden zu sein, kann man daher nicht gelten lassen.

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