Das Neueste zu Anordnung,
Kündigung und Ablehnung
Kommentare zur aktuellen Rechtsprechung für die Bauwirtschaft
Rechtsanwalt Michael Werner, Leiter der Hauptabteilung Wirtschaft im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, stellt vier neue Urteile vor und kommentiert deren Auswirkungen auf Ihre tagtägliche Arbeit.
Anordnung gemäß § 2 Nr. 5 VOB/B bei passivem Verhalten des Auftraggebers?
Das OLG Düsseldorf hat mit Urteil vom 20. Januar 2009 – 23 U 47/08 – (www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:
1. Eine Anordnung des Auftraggebers nach § 1 Nr. 3, § 2 Nr. 5 VOB/B setzt eine rechtsgeschäftliche Erklärung voraus. Hierfür gelten die Regeln einer Willenserklärung, insbesondere das Recht der Stellvertretung.
2. Ein rein passives Verhalten stellt regelmäßig keine einen vertraglichen Mehrvergütungsanspruch auslösende Anordnung des Auftraggebers dar, selbst wenn eine Pflicht zum Handeln bestünde.
3. Eine stillschweigende Anordnung des Auftraggebers kann vorliegen, wenn sich die Vertragspartner auf eine tatsächlich veränderte Situation einstellen, etwa durch das Ergebnis einer Abstimmung der Vertragspartner bei einem Baustellengespräch.
4. Unterlässt der Auftraggeber eine gebotene Anordnung im Sinne von § 1 Nr. 3, § 2 Nr. 5 VOB/B, kann dem Auftragnehmer die Möglichkeit offenstehen, gegebenenfalls ein Leistungsverweigerungsrecht geltend zu machen, die Arbeiten einzustellen und auf eine Anordnung bzw. Einigung über einen geänderten Preis zu bestehen.
Der Auftragnehmer (AN) übernahm die Herstellung einer 1,2 km langen und bis zu 26 m tiefen Dichtwand. Die vom Auftraggeber (AG) der Ausschreibung zu Grunde gelegte Leistungsbeschreibung beruhte auf nur sieben Aufschlussbohrungen im Trassenbereich.
Die Baugrundverhältnisse wurden hierdurch unzureichend beschrieben. Nach Beginn der Arbeiten meldete der AN Mehrkosten wegen vom Leistungsverzeichnis abweichender Bodenbeschaffenheit an. In mehreren Baubesprechungen wurde diese Thematik kontrovers diskutiert. Der AG veranlasste eine sachverständige Prüfung durch Rammkernsondierungen. Nachdem diese vorlag, bestritt der AG den Umfang der vom AN behaupteten Erschwernisse. Da eine Einigung nicht gelang, klagte der AN eine Mehrvergütungsforderung ein.
Das OLG wies die Klage überwiegend ab. Eine Anordnung des AG im Sinne von § 1 Nr. 3, § 2 Nr. 5 VOB/B wurde verneint. Zwar sei die Leistungsbeschreibung unzureichend, da die Vorgaben der DIN 18300 und DIN 18313 nicht erfüllt worden seien. Dessen ungeachtet fehle es an einer rechtsgeschäftlichen Anordnung des AG im Sinne einer verpflichtenden Vertragserklärung. Bis zuletzt seien die Bodenverhältnisse und die daraus gegebenenfalls abzuleitenden Erschwernisse streitig gewesen.
Der AN hätte in dieser Situation ein Leistungsverweigerungsrecht geltend machen und die Arbeiten bis auf Weiteres einstellen können, um eine Anordnung oder eine Einigung über einen geänderten Preis herbeizuführen. Ein Anspruch aus § 2 Nr. 8 Abs. 2 Satz 2 VOB/B scheitere daran, dass nach der eigenen Dokumentation des AN der Umfang der behaupteten Erschwernisse nicht nachvollzogen hätten werden können.
Keine Preisanpassungen bei Vereinbarung eines Festpreises
Das OLG Düsseldorf hat mit Urteil vom 19. Dezember 2008 – 23 U 48/08 – (www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:
In der Vereinbarung eines Festpreises liegt eine stillschweigende Übernahme des Risikos von Leistungserschwerungen durch Erhöhung der Selbstkosten im Sinne einer Preisgarantie, die einen Anspruch des Auftragnehmers aus § 313 Abs. 1 BGB auf Anpassung des Vertrages regelmäßig ausschließt.
Der Auftragnehmer (AN) forderte vom Auftraggeber (AG) aus einem Bauvertrag über Stahlbeton- und Maurerarbeiten Vergütung der Mehrkosten in Höhe von 175.000 Euro, die ihm daraus erstanden waren, dass er nach Erhalt des Auftrags den benötigten Stahl nicht mehr zu dem Preis beschaffen konnte, den er in seinem Angebot kalkuliert hatte. Der AN hatte auf der Grundlage eines freibleibenden Angebots seines Stahllieferanten 450 Euro/t kalkuliert und ein entsprechendes Festpreisangebot abgegeben. Dieses Angebot hatte der AG angenommen. Während der Ausführung stieg jedoch der Stahlpreis, der AN musste daher 600 Euro/t bezahlen. Der AN machte einen Anspruch auf Preisanpassung gemäß § 313 Abs. 1 BGB geltend. Nach Ansicht des OLG ohne Erfolg. Ein Anspruch auf Vertragsanpassung gemäß § 313 Abs. 1 BGB wegen Wegfall oder Änderung der Geschäftsgrundlage bestehe nicht.
Diese Regelung sei nicht anwendbar, wenn sich ein Risiko verwirkliche, das eine Partei allein zu tragen habe. Die Abgrenzung der Risikosphären ergebe sich aus dem Vertrag. Der AN trage dabei grundsätzlich das Risiko von Leistungserschwerungen. Eine stillschweigende Risikoübernahme liege in der Vereinbarung des Fest-
preises. Dieser bleibe grundsätzlich auch bei unerwarteten Kostenerhöhungen bindend. Die Festpreisabrede lasse sich als Preisgarantie deuten, die den Auftragnehmer verpflichte, den AG von über den Festpreis hinausgehenden Forderungen freizustellen.
Steigende Selbstkosten könnten die Annahme einer Änderung der Geschäftsgrundlage dann nicht begründen, wenn der AN die Steigerung der Selbstkosten hätte voraussehen können und er sich durch die Gestaltung der Verträge bewusst sein musste, ein großes Risiko durch Preissteigerungen während der Vertragslaufzeit auf sich zu nehmen. Dies gelte auch für den Fall, dass der Vertragspreis nicht mehr kostendeckend sei und der AN bei der Durchführung des unveränderten Vertrages durch die Steigerung der Selbstkosten statt eines Gewinns nunmehr einen Verlust zu verkraften habe. Dies falle allein in das unternehmerische Risiko des AN.
Das gelte umso mehr, als der AN insoweit hätte Vorsorge treffen und ein für ihn untragbares und unzumutbares Ergebnis hätte vermeiden können; der AN habe die Möglichkeit gehabt, das freibleibende Angebot seines Stahllieferanten offenzulegen und hinsichtlich der Stahlpreise einen Preisvorbehalt geltend zu machen. Dass der Auftragnehmer in dieser Situation einen Festpreis für die Gesamtleistung angeboten habe, stelle eine einseitige Risikoübernahme dar.
Anmerkung
Hier hätte der AN in Kenntnis der Situation bezüglich der Stahlpreise eine Stoffpreisgleitklausel oder einen Preisvorbehalt vereinbaren müssen. Wenn er dies unterlässt und ein Festpreisangebot abgibt, obwohl ihm selbst nur ein freibleibendes Angebot seines Lieferanten vorliegt, trifft ihn das vertraglich übernommene Risiko der Preisänderung bei seinem Baustofflieferanten alleine.
Zur Entbehrlichkeit einer Nachfristsetzung zwecks Kündigung wegen Verzugs
Das OLG Düsseldorf hat mit Urteil vom 9. Mai 2008 – 22 U 191/07 -, das wegen Zurückweisungsbeschluss der Nichtzulassungsbeschwerde des BGH vom 26. Februar 2009 – VII ZR 121/08 – (www.ibr-online.de), rechtskräftig geworden ist, Folgendes entschieden:
Wenn von vornherein feststeht, dass der Auftragnehmer eine Vertragsfrist aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht einhalten wird, und die Vertragsverletzung von erheblichem Gewicht ist, kann der Auftraggeber ohne Nachfristsetzung und Kündigungsandrohung den Auftrag fristlos kündigen.
Der Auftraggeber (AG) beauftragte den Auftragnehmer (AN) in einem VOB-Vertrag mit der Erstellung eines Parkhauses bis zum 30.11. Für den Beginn verschiedener Leistungsteile vereinbarten die Parteien Zwischentermine als verbindliche Vertragsfristen; u. a. war für den Beginn mit der Sohle der ersten Parkebene eine Vertragsfrist zum 10.06. gesetzt. Vom 04.06. bis zum 16.06. waren die Arbeiten wegen fehlender Kampfmittelfreiheit behindert, was der AN dem AG anzeigte. Der AG forderte den AN am 20.06. unter Fristsetzung zum Beginn mit den Arbeiten auf. Am 23.06. forderte er zudem die Vorlage eines Aufholplans. Der AN legte diesen zwar vor, begann jedoch nicht mit den Arbeiten an der Sohle. Der AG kündigte daher den Vertrag mit Schreiben vom 30.06. und forderte Schadensersatz in Höhe von 525.000 Euro. Der AN meinte, die Kündigung sei wegen einer unangemessenen Fristsetzung unwirksam.
Das OLG ist hier anderer Ansicht. Zwar sei zum Zeitpunkt des Aufforderungsschreibens am 20.06. die Leistung des AN wegen des Behinderungszeitraumes noch nicht fällig gewesen, sondern erst am 21.06. Der AG habe den AN deshalb insoweit nicht in Verzug setzen können. Die Fristsetzung sei hingegen entbehrlich gewesen, da dem AG die Fortsetzung des Vertrags wegen Unzuverlässigkeit des AN unzumutbar gewesen sei. Da nach der Rechtsprechung sogar eine Kündigung vor Ablauf einer Vertragsfrist in Betracht komme, wenn der Eintritt der Vertragsverletzung sicher sei, sei es zulässig, vor Fristablauf den AN abmahnend zu warnen, wenn schwerwiegende Zweifel an einer termingerechten Leistung vorlägen. Nach dem bisherigen Bauablauf habe der AG erhebliche Bedenken daran haben dürfen, dass der AN termingerecht mit den Arbeiten an der ersten Sohle am nächsten Tag beginnen würde. Die Fristsetzung diene nach ihrem Sinn und Zweck als Warnung, um dem AN Gelegenheit zu geben, Versäumnisse abzustellen; dem sei das Schreiben des AG vom 20.06. gerecht geworden. Der vorgelegte Aufholplan lasse auch nicht erkennen, auf welche Weise der AN die eingetretenen Verzögerungen hätte aufholen wollen. Demnach bestünden an der Wirksamkeit der Kündigung keine Bedenken, zumal der AG mit der Nachfristsetzung nicht die Fertigstellung, sondern den Beginn der Arbeiten gefordert habe.
Zur Ablehnung eines Bieters wegen schlechter Erfahrungen
Das OLG Frankfurt hat mit Beschluss vom 24. Februar 2009 – 11 Verg 19/08 –(www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:
Vorangegangene schlechte Erfahrungen mit einem sich erneut beteiligenden Bieter berechtigen keinesfalls zu einer stereotypen, nicht substanziell begründeten Ablehnung. Vielmehr ist immer eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, weil der Unternehmer Anspruch auf eine ordnungsgemäße Prüfung seiner Eignung hat.
Im konkreten Fall waren Postzustellungsaufträge für Gerichte und Staatsanwaltschaften ausgeschrieben. Das Gericht hatte u. a. die Frage zu klären, ob das Angebot einer Bieterin, deren Eignung zunächst auf der zweiten Wertungsstufe bejaht worden war, im Rahmen der weiteren Wertung wegen schlechter Erfahrungen bei einem früheren Dienstleistungsauftrag auszuschließen war.
Das OLG ist der Auffassung, dass ein Ausschluss hier nicht gerechtfertigt sei. Obwohl die Ausschreibungsunterlagen diese Möglichkeit ausdrücklich vorgesehen hätten, habe die Vergabestelle unverständlicherweise bei der Wertung die im Rahmen eines früheren Dienstleistungsauftrags mit der Bieterin gemachten negativen Erfahrungen in den einzelnen Gerichtsbezirken nicht berücksichtigt. Vielmehr habe sie deren Eignung im Rahmen des ihr diesbezüglich zustehenden Beurteilungsspielraums zunächst uneingeschränkt bejaht. An diese Entscheidung sei die Vergabestelle grundsätzlich gebunden. Sie sei nach Treu und Glauben im Allgemeinen daran gehindert, im weiteren Verlauf des Vergabeverfahrens von ihrer ursprünglichen Beurteilung abzurücken und bei unveränderter Sachlage die Eignung der Bieterin nunmehr zu verneinen. Dies gelte nur dann nicht, wenn die Eignung zwingend zu verneinen und das Angebot zwingend wegen fehlender Eignung auszuschließen sei, weil der Vergabestelle auf der Rechtsfolgenseite kein Ermessen zustehe. Dies sei hier jedoch nicht der Fall. Die Vergabestelle habe erst im Vergabe- bzw. Beschwerdeverfahren vereinzelte Stellungnahmen von Gerichtspräsidenten und eine mehr oder weniger beispielhafte Aufzählung aufgetretener Beanstandungen vorgelegt, deren Berechtigung im Einzelnen bestritten sei. Einige Beschwerden seien nur sehr allgemein gehalten. Einen zwingenden Ausschlussgrund könne das Gericht aus diesen Umständen daher nicht ableiten. Auch die Anzahl der Beanstandungen (ca. 145 Stück) sei im Hinblick auf das in der Ausschreibung vorgesehene Zustellungsvolumen von 560.000 Stück jährlich keineswegs geeignet, einen zwingenden Ausschlussgrund darzustellen. Eine gewisse Fehlerquote sei schließlich bei keinem Auftragnehmer zu vermeiden.
Anmerkung
Nach der bisherigen Rechtsprechung kann wegen einer mangelhaften Leistung in einem früheren Auftrag nur dann auf die Unzuverlässigkeit des Bieters geschlossen werden, wenn der Mangel gravierend ist. Dies ist dann der Fall, wenn er zu einer deutlichen Belastung des Auftraggebers in tatsächlicher oder finanzieller Hinsicht führt. Die Vergabestelle muss daher vor Ausschluss eines Bieters wegen früheren Fehlverhaltens alle in Betracht kommenden Umstände umfassend abwägen und detailliert eine negative Prognose dokumentieren, wonach die Verfehlungen für den nunmehr zu vergebenden Auftrag erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit des Bieters begründen.