Internationale Bauverträge, ein Leitfaden zu den FIDIC-Vertragsmustern
Teil 1: Einführung und Claim-ManagementDer folgende, zweiteilige Aufsatz richtet sich an Entscheidungsträger und Ingenieure in Bauunternehmen, die bereits oder zukünftig mit internationalen Bauverträgen in Berührung kommen. Durch die Vermittlung allgemeiner Grundsätze der FIDIC-Standardverträge soll der Aufsatz dazu beitragen, bei diesen Personen Unsicherheiten bei dem Umgang mit FIDIC-Verträgen aufzulösen und gleichzeitig auf Gefahren und Risiken, die sich insbesondere aus dem gewohnten Umgang mit den Regelungen der VOB/B ergeben, hinweisen.
Der erste Teil des Aufsatzes gibt einen Überblick zu den verschiedenen FIDIC-Vertragsmustern und den sich daraus ergebenden Besonderheiten für das Claim-
Management. Der in der nächsten Ausgabe erscheinende zweite Teil des Aufsatzes wird Fragen zu Gewährleistung und Rechtsschutz bei FIDIC-Verträgen behandeln.
1 Einführung
Auch vor der Bauwirtschaft hat die zunehmende Globalisierung nicht Halt gemacht. Immer mehr der Bauunternehmen bewerben sich grenzüberschreitend für Großbauvorhaben und stellen hierfür ihr weltweit geschätztes Fachwissen zur Verfügung. Dabei wird der deutsche Bauunternehmer mit den unterschiedlichsten Formen der Vertragsgestaltung und Rechtsordnungen der jeweiligen Länder konfrontiert. Um dies zu erleichtern wurden die internationalen Standard-Vertragsbedingungen der FIDIC-Vertragsmuster geschaffen. Weltweit erfreuen sich die FIDIC-Vertragsmuster zunehmender Verwendung und Akzeptanz. Grundsätzlich kann heutzutage davon ausgegangen werden, dass im Bereich aller öffentlichen und Weltbank-geförderten Projekte in Mittel- und Osteuropa sowie im Nahen Osten FIDIC-Verträge Anwendung finden.
Erstellt werden die FIDIC-Vertragsmuster von dem internationalen Verbund beratender Ingenieure „Fédération Internationale des Ingénieurs – Conseils“ in Genf. In diesem internationalen Verband wird Deutschland durch den Verband Beratender Ingenieure (VBI) vertreten.
Der Inhalt der FIDIC-Standardverträge ist auf die Bedürfnisse komplexer Bauvorhaben mit grenzüberschreitenden Bezügen ausgerichtet. Dabei lehnen sich die FIDIC-Vertragsmuster an die anglo-amerikanischen Rechtsordnungen an. Weltweit dominieren zwei Rechtsfamilien die nationalen Rechtsordnungen, das in Europa (ohne Großbritannien) vorwiegend anzutreffende „civil law“ und das von England ausgegangene und insbesondere von den USA übernommene „common law“. Wer die Regelungen der FIDIC-Vertagsmuster verstehen möchte, dem muss die vertragsrechtliche Ausgangslange des anglo-amerikanischen Rechtssystems („common law“) bekannt sein.
Ein dem „civil law“ zugehöriges Rechtssystem ist die deutsche Rechtsordnung. Nach den Grundsätzen des „civil law“ werden von den nationalen Gesetzgebern systematisch strukturierte Gesetze geschaffen, die dann durch Gerichte auf einen konkreten Lebenssachverhalt angewendet und ausgelegt werden. Es ist gängige Praxis in Ländern mit einem „civil law“ Rechtssystem, dass nur die Grundzüge eines Geschäfts vereinbart werden, darüber hinaus gelten die gesetzlichen Regelungen. Dahingegen besteht und entwickelt sich ein aus der Rechtsfamilie des „common law“ entstammendes Rechtssystem im Allgemeinen aus einer Vielzahl von Einzelgerichtsentscheidungen. In Rechtssystemen des „common law“ sind es vorwiegend die Gerichte, die das Recht weiterentwickeln. Der Gesetzgeber greift lediglich regulierend ein. Dies führt dazu, dass in „common law“ Rechtssystemen ein Gesetzeswerk als Fundament für den Vertrag fehlt. Dieser Umstand verlangt im Unterschied zum z.B. deutschen Rechtssystem („civil law“), bei dem vor dem Hintergrund der bestehenden Gesetze üblicherweise kurze Verträge geschlossen werden, dass der Vertrag abschließend und vollständig die für die Parteien maßgeblichen Regelungen enthalten muss.
Die FIDIC-Vertragsmuster haben also den Anspruch, ein internationales Bauvorhaben in Bezug auf alle nicht auszuschließenden Unwägbarkeiten abschließend und umfassend zu regeln. Hieraus folgt der anfangs eher abschreckende Umfang eines FIDIC-Vertrages.
Bei dem FIDIC-Regelwerk handelt es sich – ebenso wie bei der VOB/B – um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne der §§ 305 ff. des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches, gleichwohl bestehen erhebliche Unterschiede zu den Regelungen der VOB/B. Die erfolgreiche Umsetzung eines auf der Grundlage der FIDIC-Verträge geschlossenen Bauvertrages setzt daher voraus, dass sich der Bauunternehmer mit diesen Besonderheiten vertraut macht.
2 Die FIDIC-Vertragsmuster
Die FIDIC-Vertragsmuster sind 1999 in der 5. völlig neu gestalteten Auflage veröffentlicht worden. Insgesamt sind 1999 zunächst vier verschiedene Vertragsmuster als sog. Bücher (books) erschienen, das „Red Book“, das „Yellow Book“, das „Silver Book“ und das „Green Book“. Alle diese vier FIDIC-Bücher sind als 1. Ausgabe „first edition 1999“ gekennzeichnet. Damit sollte kenntlich gemacht werden, dass die neuesten Versionen aus dem Jahr 1999 nicht nur eine überarbeitete Neuauflage der bis dahin existierenden FIDIC-books sein sollen. Seit 1999 kamen noch das „Blue Book“, „Gold Book“ und „White Book“ hinzu. Die Bezeichnung der Bücher leitet sich traditionell aus der Farbe des Bucheinbands ab.
Die verschiedenen Vertragsmuster sind unterschiedlichen in der Baupraxis vorkommenden Vertragstypen zugeordnet. Für den Anwender der FIDIC-Vertragsmuster ist es daher wichtig, das auf seinen Anwendungsfall zutreffenden FIDIC-Vertragsmuster auszuwählen. Hierzu soll die folgende Übersicht eine Hilfestellung sein.
n Red Book: “Conditions of contract for construction. For building and engineering works designed by the employer.” The Construction Contract
Die Standardbedingungen des “Red Book” richten sich auf das Kerngeschäft der Bauausführung. Der Auftraggeber erstellt die Planung für das Bauvorhaben und lässt dieses durch den Auftragnehmer errichten.
n Yellow Book: “Conditions of contract for plant and design-build. For electrical and mechanical plant, and for building and engineering works designed by the Contractor.” The Plant Contract
Diese Bedingungen gelten für einen Pauschalpreisvertrag für ein funktional ausgeschriebenes Bauvorhaben. Es ist Aufgabe des Auftragnehmers die funktionalen Vorgaben des Auftraggebers durch eine eigene Ausführungsplanung umzusetzen.
n Silver Book: “Conditions of contract for epc/turnkey projects.”
The Turnkey Contract
Die Bedingungen des “Silver Book” sind bezogen auf einen Pauschalpreisvertrag für ein schlüsselfertig herzustellendes Bauvorhaben. Dem Auftragnehmer ist entsprechend die vollständige Planung zugewiesen.
n Green Book: “Short form of contract.” The Short Form
Das „Green Book“ geht von der selben Ausgangssituation wie das „Red Book“ aus, soll aber als abgespeckte Version nur auf Bauvorhaben mit einem Auftragswert von unter USD 500.000 oder einer Bauzeit von weniger als 6 Monaten angewendet werden.
n Gold Book: „Conditions of contracts for design, build and operate projects.“ The DBO Contract
Das “Gold Book” ist eine Fortschreibung des “Yellow Books”. Die Leistung des Auftragnehmers wird auf den Betrieb des Bauvorhabens, welches vom Auftragnehmer bereits geplant und erstellt wurde, erweitert. Für eine im Vertrag festgelegte Dauer betreibt der Auftragnehmer das fertiggestellte Bauvorhaben auf Basis einer Pauschalpreisvereinbarung.
n Blue Book: „Form of contract for dredging & reclamation works.” The Dredgers Contract
Dieses Vertragsmuster ist auf die Bedürfnisse von Bagger- und Erdbauarbeiten abgestimmt. Es wird der Einsatz von schwerem Gerät und der Einfluss von erschwerten Witterungsbedingungen be-
rücksichtigt.
n White Book: „Client/Consultant Model Services Agreement.”
Dieses Buch regelt die Vertragsbeziehungen zwischen dem Ingenieur und seinem Auftraggeber in internationalen Projekten. Das „White Book“ richtet sich daher an international tätige Ingenieure und Architekten.
Zur Vollständigkeit sei noch das „Sub-Consultant Agreement“, das „Joint Venture Agreement“ und das Red Book harmonised version (Pink Book) erwähnt.
Die großen Bücher „Red Book“, „Yellow Book“ und Silver Book sind wie folgt aufgebaut:
n Allgemeine Bedingungen („General Conditions“, 20 Klauseln)
n Regeln für das Dispute-Management
n Anleitung für die Erstellung Besonderer Bedingungen
n Muster für Angebotsschreiben, zusätzliche Vereinbarung, Garantien und Bürgschaften
3 Bestandteile des FIDIC-Vertrags
Ein FIDIC-Vertrag besteht somit zunächst aus dem „Letter of Tender“; dieser stellt das Angebotsschreiben dar, in dem der Auftraggeber die Verbindlichkeit seines Angebots und die Geltung der Gesamtheit der Vertragsunterlagen bestätigt. Im Anhang zu diesem Dokument, dem „Appendix to Tender“, werden grundlegende vertragliche Regelungen getroffen, insbesondere welches nationale Recht anzuwenden und in welcher Sprache die Korrespondenz während der Bauausführung zu führen ist. Mit dem „Letter of Acceptance“ nimmt der Auftraggeber das Angebot des Auftragnehmers, das dieser durch die Übersendung des „Letter of Tender“ unterbreitet hat, an. Insofern entspricht der „Letter of Acceptance“ dem aus dem deutschen Ausschreibungswesen bekannten Zuschlagsschreiben.
Häufig wird noch ein Contract Agreement („vertragliche Vereinbarung“) unterzeichnet; dies ist nach deutschem Recht für den wirksamen Abschluss eines FIDIC-Vertrags jedoch nicht erforderlich. Im Contract Agreement wird lediglich nochmals in einem einheitlichen, von beiden Parteien unterschriebenen Dokument die Verbindlichkeit der einzelnen Vertragsbestandteile bestätigt. Nach deutschem Recht kommt zwischen den Parteien indes ein wirksamer Vertrag zustande, sobald ein wirksamer „Letter of Tender“ und eine Annahme des Angebots durch den „Letter of Acceptance“ vorliegt.
Angefügt werden den Verträgen die General Conditions, in denen die Besonderheiten der FIDIC-Verträge zu Gewährleistung, Claim-Management und Rechtsschutz geregelt werden, sowie ggf. Particular Conditions und technische Unterlagen.
4 Besonderheiten des Claim-Management
Die Stellung des bauleitenden Architekten („Engineer“) stellt eine der wichtigsten Besonderheiten der FIDIC-Verträge dar. Obwohl der Engineer eindeutig im Lager des Auftraggebers steht, kommt ihm nach der Konzeption der FIDIC-Verträge die Funktion eines Streitschlichters zu, der aber zugleich berechtigt ist, mit für beide Parteien bindender Wirkung weitreichende Entscheidungen zu treffen. So kann er insbesondere zusätzliche Leistungen anordnen und die hierfür vom Auftraggeber zu entrichtende zusätzliche Vergütung festlegen. Seine Entscheidungen können allerdings von jeder Partei vor der für FIDIC-Verträge typischen baubegleitenden Streitschlichtungsinstanz, dem sog. Dispute Adjudication Board (DAB) angegriffen werden. Auf Einzelheiten des Streitbeilegungsverfahrens und der Möglichkeit, die dabei getroffenen Entscheidungen (schieds-)gerichtlich überprüfen zu lassen, werden wir im zweiten Teil dieses Beitrags zurückkommen.
Nach den General Conditions ist es grundsätzlich die Aufgabe des Engineers, über Änderungen des Bauablaufs („variations“) zu entscheiden. Dies umfasst sowohl das Recht, zusätzliche oder geänderte Leistungen anzuordnen und die Vergütung hierfür zu bestimmen als auch das Recht zur Regelung der Rechtsfolgen eingetretener Behinderungen. Aus diesem Grund ist es auch Aufgabe des Engineer, über Ansprüche auf zusätzliche Bauzeit und zusätzliche Vergütung zu entscheiden, die auf Grund von Behinderungen geltend gemacht werden. Anders als nach den Vorschriften der VOB/B kann der Engineer vom Auftragnehmer auch verlangen, Beschleunigungsmaßnahmen zu ergreifen.
Die Vergütung für geänderte und zusätzliche Leistungen wird – ähnlich wie bei VOB-Verträgen – im Wege „linearer Kos-
tenfortschreibung“ auf der Grundlage geeigneter Bezugspositionen der Angebotskalkulation ermittelt. Wenn solche Bezugs-
positionen nicht vorhanden sind, wird der Nachtrag nach Ist-Kosten abgerechnet.
Die formalen Hürden, die ein Auftragnehmer überspringen muss, um einen Anspruch auf zusätzliche Vergütung durchzusetzen, sind in Verträgen, die auf den FIDIC-Vertragsmustern basieren, wesentlich höher als im VOB-Vertrag. Nach den FIDIC-Vertragsmustern ist der Auftragnehmer gehalten, Ansprüche auf „zusätzliche Bauzeit“, auf behinderungsbedingte Mehrvergütungen sowie auf Mehrvergütung wegen zusätzlicher oder geänderter Leistungen innerhalb von 28 Tagen, gerechnet von dem Zeitpunkt, zu dem der Auftragnehmer von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen, beim Engineer anzuzeigen. Versäumt der Auftragnehmer diese Frist, steht ihm nach den General Conditions weder ein Anspruch auf zusätzliche Vergütung noch auf zusätzliche Bauzeit zu. Dies stellt den Auftragnehmer im Hinblick auf die Durchsetzung eines Anspruchs auf zusätzliche Bauzeit erheblich schlechter als im VOB-Vertrag. Zwar fordert § 6 Abs. 1 VOB/B vom Auftragnehmer ebenfalls eine Behinderungsanzeige; der BGH legt § 6 Abs. 1 VOB/B jedoch so aus, dass die Behinderungsanzeige nur Tatbestandsvoraussetzung für einen Anspruch auf zusätzliche Vergütung ist, nicht aber Voraussetzung für einen Anspruch auf zusätzliche Bauzeit.
Bei der Geltendmachung von Mehrvergütungsansprüchen muss der Auftragnehmer innerhalb weiterer 14 Tage (also 42 Tage, nachdem er Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen erhalten hat oder hätte erhalten müssen) gegenüber dem Engineer sämtliche anspruchsbegründenden Umstände darlegen. Dies erfordert in der Regel eine umfassende Nachtragskalkulation.
Diese Kalkulationsgrundlagen sind zunächst vorläufig. 28 Tage nach Abschluss der Nachtragsleistung muss der Auftragnehmer beim Engineer seine endgültige Anspruchsbegründung einreichen.
Verlangt der Auftragnehmer wegen eingetretener Behinderungen eine Verlängerung der Bauzeit, muss er innerhalb von 42 Tagen nach Wegfall der Behinderung einen behinderungsmodifizierten Bauzeitenplan vorlegen. Versäumt der Auftragnehmer diese Fristen, führt dies grundsätzlich zum Verlust seiner Ansprüche.
Zu beachten ist ferner, dass es nach den FIDIC-Verträgen keine Vergütung für zusätzliche Leistungen gibt, wenn diese nicht ausdrücklich angeordnet wurden. Eine dem § 2 Abs. 8 Nr. 2 VOB/B entsprechende Vorschrift, wonach zusätzliche Leistungen auch bei Fehlen einer auftraggeberseitigen Anordnung zu vergüten sind, wenn die Leistungen dem mutmaßlichen Willen des Auftraggebers entsprechen, enthält der FIDIC-Vertrag nicht.
Nach ordnungsgemäßer Ankündigung und Darstellung der Nachtragsforderung entscheidet der Engineer bindend für beide Vertragsparteien über die Höhe der Nachtragsvergütung. Gegen diese Entscheidung bestehen Rechtsschutzmöglichkeiten, die wir im zweiten Teil des Beitrags darstellen werden.
Die Fortsetzung folgt im nächsten Heft.
Kontakt: www.kapellmann.de
... wird bindend für beide Parteien über die Nachtragsvergütung entschieden!