Internationale Bauverträge, ein Leitfaden zu den FIDIC-Vertragsmustern

Teil 2: Rechtsschutz und Gewährleistung

Der erste Teil des Aufsatzes im letzten Heft gab einen Überblick zu den verschiedenen FIDIC-Vertragsmustern und den daraus folgenden Besonderheiten für das Claim-Management. Der 2. Teil des Aufsatzes befasst sich mit den Regelungen zum Rechtsschutz und zur Gewährleistung in den FIDIC-Verträgen.

5 Rechtsschutz

Die FIDIC-Verträge sehen für Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien im Zusammenhang mit dem Vertragsinhalt oder der Ausführung von Leistungen die Anrufung einer baubegleitenden Streitschlichtungsinstanz, des sog. Dispute Adjudication Board (DAB) vor. Diese zweite Stufe der Streitbeilegung schließt an die Entscheidung des Engineer an, wenn eine Partei oder beide Parteien mit dieser vorläufig bindenden Entscheidung nicht einverstanden sind.

Das Verfahren vor dem DAB ist darauf ausgelegt, Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien zeitnah und schnell noch während der Bauausführung beizulegen. Hierfür ist das DAB mit sach- und fachkundigen Mitgliedern (Adjudikatoren) besetzt. Es hat sich bewährt, dass ein aus drei Mitgliedern bestehendes DAB-Gremium mit zwei Ingenieuren mit langjähriger Berufserfahrung und einem Juristen, der vor allem die Verfahrensführung überwacht und übernimmt, besetzt ist. In dieser Zusammensetzung des DAB wird gewährleistet, dass fachkundige praxisnahe Lösungen vorgeschlagen werden, die bei den Parteien in der Regel nicht auf vollkommenes Unverständnis treffen. Grundsätzlich steht jedoch die Zusammensetzung des DAB zur Disposition der Parteien. Die Mitglieder des DAB werden in einem geregelten Abstimmungsprozess von den Parteien gegenseitig zur Annahme vorgeschlagen. Um eine rasche Streitbeilegung noch während der Bauausführung zu ermöglichen, soll das DAB innerhalb von 84 Tagen nach Anrufung eine Entscheidung fällen. Innerhalb dieses Zeitraums haben die Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Entscheidung des DAB fällt in der Regel, aber nicht zwingend, nach mündlicher Verhandlung.

Die Entscheidung ist für die Parteien vorläufig bindend. Eine Entscheidung des DAB ist aber durch ein Gericht vollständig überprüfbar. Ist eine Partei mit der Entscheidung des DAB nicht einverstanden, muss sie ihre Unzufriedenheit mit der Entscheidung des DAB innerhalb von 28 Tagen erklären, anderenfalls wird die Entscheidung des DAB abschließend bindend.

Erklärt eine Partei rechtzeitig ihre Unzufriedenheit mit der Entscheidung des DAB, dann regeln die FIDIC-Verträge als nächsten Schritt die Anrufung eines Schiedsgerichts. Zuvor muss jedoch noch ein Zeitraum von 56 Tagen ab der Erklärung der Unzufriedenheit abgewartet werden. Vor der Einleitung eines aufwändigen Schiedsgerichtsverfahrens soll den Parteien die Möglichkeit eröffnet werden, auf Basis der Entscheidung des DAB die noch bestehenden Ungereimtheiten auszuräumen und sich gütlich zu einigen.

Gelingt eine gütliche Einigung nicht, muss die Partei, die mit der Entscheidung des DAB nicht einverstanden ist, ein Schiedsgerichtsverfahren einleiten. Die FIDIC-Verträge sehen insofern die Anwendung der Schiedsordnung der Internationalen Handelskammer (International Chamber of Commerce, ICC) vor. Eine Schiedsklage ist demzufolge an das Sekretariat des Internationalen Schiedsgerichtshofs der ICC in Paris zu richten. Schiedsgerichtsverfahren sind in der Regel wesentlich teurer als ein Verfahren vor den deutschen staatlichen Gerichten. Insbesondere die Vergütung der Schiedsrichter übersteigt die in Gerichtsverfahren vor deutschen ordentlichen Gerichten anfallenden Gerichtsgebühren um ein Vielfaches. Vor diesem Hintergrund sollten die Vertragsparteien erwägen, anstelle der in den FIDIC-Verträgen vorgesehenen Anrufung eines Schiedsgerichts die Zuständigkeit eines staatlichen Gerichts zu vereinbaren. Sind Auftraggeber und Auftragnehmer allerdings in unterschiedlichen Rechtsordnungen ansässig, wird es häufig bei der Vereinbarung einer Schiedsklausel als „kleinstem gemeinsamen Nenner“ bleiben, da in der Regel keine der Vertragsparteien bereit ist, sich einer ausländischen Gerichtsbarkeit zu unterwerfen. Hinzu kommt, dass in Schiedsgerichtsverfahren Englisch als Verfahrenssprache vereinbart werden kann, was in der Regel beiden Parteien gleichermaßen geläufig ist. Seit dem 01.01. 2010 haben die Landgerichte Köln, Bonn und Aachen sowie das Oberlandesgericht Köln allerdings Kammern bzw. einen Senat eingerichtet, die eine Verhandlung vor Gericht in englischer Sprache ermöglichen, wenn Kläger und Beklagte dies übereinstimmend wünschen. Damit lässt sich möglicherweise die Vereinbarung der Zuständigkeit deutscher Gerichte auch gegenüber ausländischen Vertragspartnern leichter durchsetzen. In Deutschland ansässige Vertragspartner, die ein kostenintensives Schiedsgerichtsverfahren scheuen, könnten daher versuchen, anstelle der Schiedsgerichtsklausel im FIDIC-Vertrag, die ausschließliche örtliche Zuständigkeit der Landgerichte Köln, Bonn oder Aachen sowie eine Verhandlungsführung vor diesen Gerichten in Englisch zu vereinbaren.

 

6 Gewährleistung

Die Vorschriften über die Gewährleistung in den General Conditions folgen einem vollkommen anderen Regelungskonzept als das deutsche Recht. Während im deutschen Recht die Gewährleistungsrechte an die Abnahme anknüpfen, enthalten die General Conditions der FIDIC-Verträge für Mängelbeseitigungsansprüche nach Abnahme der Werkleistung keine Vorschriften. Die Beseitigung von Mängeln wird vielmehr wie folgt geregelt:

 

6.1 Defects Notification Period

Wenn der Auftragnehmer seine Arbeiten beendet hat, stellt der Engineer das Taking-Over-Certificate aus. Damit wird bestätigt, dass der Auftragnehmer seine Arbeiten beendet hat; das Taking-Over-Certificate ist jedoch nicht mit der Abnahme gleichzusetzen. Mit Erteilung des Taking-Over-Certificate tritt der Vertrag vielmehr in eine Art Testphase, die die General Conditions als „Defects Notification Period“ (Mängelanzeigephase) bezeichnen. Die Länge dieser „Defects Notification Period“ muss zwischen den Parteien ausgehandelt und im „Appendix to Tender“ festgeschrieben werden. In dieser Zeit hat der Auftraggeber die Gelegenheit, die Mangelfreiheit der Anlage zu prüfen. Stellt er während dieser Phase fest, dass das Bauwerk nicht zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck verwendet werden kann oder aus einem anderen Grund mangelhaft ist, ist der Auftragnehmer verpflichtet, die entsprechenden Mängel der Anlage zu beseitigen, und zwar unabhängig davon, ob die Mängel in seinen Verantwortungsbereich fallen oder nicht. Fallen die Mängel in seinen Verantwortungsbereich, hat er die Mängel auf eigene Kosten zu beheben; fallen sie nicht in seinen Verantwortungsbereich, weil sie beispielsweise auf einem Planungsfehler des Auftraggebers beruhen, steht ihm ein Anspruch auf zusätzliche Vergütung zu.

Treten bis zum Ablauf der Defects Notification Period keine neuen Mängel auf oder hat der Auftragnehmer sie beseitigt, ist der Engineer verpflichtet, innerhalb von 28 Tagen das Perfomance Certificate zu erteilen. Erst dieses Performance Certificate entspricht der aus dem deutschen Recht bekannten Abnahme.

Treten während der Defects Notification Period dagegen Mängel auf und muss der Auftraggeber auf Grund dieser Mängel befürchten, dass die Anlage nicht ihrem vertraglich vorausgesetzten Zweck entsprechend verwendet werden kann, steht ihm ein Anspruch auf Verlängerung der Defects Notification Period um bis zu zwei Jahre zu. Der Auftraggeber hat auch dann einen Anspruch auf Verlängerung der Frist, wenn er aus technischen Gründen die Funktionsfähigkeit des Bauwerks nicht beurteilen kann, beispielsweise weil eine größere Gesamtanlage noch nicht in Betrieb genommen werden kann, weil einzelne Gewerke noch nicht fertiggestellt sind. Während dieser – verlängerten – Defects Notification Period ist der Auftragnehmer zur Beseitigung sämtlicher Mängel des Bauwerks im oben dargestellten Umfang verpflichtet. Ob und um welchen Zeitraum die Defects Notification Period verlängert wird, entscheidet wiederum der Engineer. Dessen Entscheidung kann, wie alle anderen Entscheidungen des Engineers, die für die Vertragsparteien in Bindungswirkung erwachsen können, von dem DAB überprüft werden.

Kommt der Auftragnehmer seiner Verpflichtung, innerhalb der Defects Notification Period Mängel zu beseitigen nicht nach, kann ihm der Auftraggeber eine angemessene Nachfrist für die Mängelbeseitigung setzen und im Falle des fruchtlosen Ablaufs dieser Frist die Mängel auf Kosten des Auftragnehmers durch ein Drittunternehmen beseitigen lassen.

 

6.2 Anspruch auf Schadenersatz in Geld

Mit Erteilung des Performance Certificate ist der Vertrag beendet. Zugleich enden die Verantwortlichkeit und die Befugnisse des Engineer. Bestehen jetzt noch Mängel an der Werkleistung des Auftragnehmers, kann der Auftraggeber nach den Vorschriften der FIDIC-Verträge nur noch Schadensersatz in Geld verlangen, ein Anspruch auf Mängelbeseitigung besteht nicht mehr. Die Haftung des Auftragnehmers ist nach den FIDIC-Regeln zeitlich unbefristet, der Höhe nach aber jedenfalls auf die Auftragssumme begrenzt. Im Übrigen unterliegt der Anspruch den Verjährungsvorschriften des anwendbaren nationalen Rechts.

 

6.3 Anwendbarkeit des nationalen Gewährleistungsrechts?

Es sprechen gute Gründe für die Annahme, dass neben den vertraglichen Regelungen der General Conditions auch die gesetzlichen Gewährleistungsansprüche des im Einzelfall anzuwendenden nationalen Rechts heranzuziehen sind. Allerdings ergibt sich dies aus dem Wortlaut der General Conditions nicht. Auftraggebern ist daher zu empfehlen, die Geltung der gesetzlichen Gewährleistungsvorschriften – im Falle der Vereinbarung deutschen Rechts also der §§ 633 ff. BGB – ausdrücklich zu vereinbaren.


7 Fazit

Auf Basis der Grundsätze angloamerikanischer Rechtsordnungen soll mit den FIDIC-Standardverträgen eine für die Vertragsparteien faire und ausgewogene Vereinbarung gewährleistet werden. Entsprechend enthalten die Vertragsmuster Regelungen für eine schnelle und praxisnahe Beilegung von Streitigkeiten. Die Regeln haben sich in der Praxis bewährt. Auftragnehmer und Auftraggeber, die mit dem Regelwerk noch nicht vertraut sind, laufen indes Gefahr, durch Nichtbeachtung von Formvorschriften und Fristen Rechte zu verlieren.

... soll eine faire und ausgewogene
Vereinbarung gewährleistet werden

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