Quo Vadis deutsche Bauwirtschaft?
Experteninterview mit Prof. Sammy Ziouziou
Befindet sich die deutsche Bauwirtschaft wieder einmal in einem dramatischen Strukturwandel? Oder handelt es sich um spezifische Einzelentwicklungen? Die Redaktion baumarkt+bauwirtschaft befragte hierzu Professor Sammy Ziouziou. Er lehrt und forscht an der Beuth Hochschule für Technik Berlin, ist Autor zahlreicher Publikationen und des Fachbuchs „Bau-Marketing“. Momentan gründet er das „ZIOUZIOU Institut für Bau-Marketing“.
Prof. Ziouziou, Hochtief befindet sich aktuell in der Situation, unter Umständen durch den kleineren ausländischen Baukonzern ACS übernommen zu werden – wie konnte es dazu kommen?
Der Fall Hochtief enthält sowohl situationsspezifische als auch generelle Elemente. Spezifisch ist unter anderem, das ACS bereits heute als Anteilseigner mit fast 30 Prozent an Hochtief beteiligt ist. Zum Zweiten ist der Konzern so aufgestellt, dass ein Investor die einzelnen Geschäftsbereiche unter Portfoliobetrachtungen relativ problemlos separieren und je nach Interessenlage veräußern kann. Im Übrigen hat der Hochtief-Konzern selber in der Vergangenheit ausländische Unternehmen oder ausländische Unternehmensbeteiligungen erworben, insofern besitzt der Vorgang innerhalb der internationalen Bauwirtschaft keinen Unikatcharakter.
Als Besonderheit könnte man gegebenenfalls die personelle Einbindungspolitik als auch die kommunikationspolitische Vorgehensweise von ACS gegenüber Hochtief werten. Der Sachverhalt spiegelt jedoch auf der Branchenebene einen Trend wider, der sich in Deutschland bereits seit Mitte der 1990er Jahre deutlich abzeichnet: Viele der traditionsreichen deutschen Baukonzerne, die noch 1995 und 2000 zu den zehn bauleistungsstärksten Unternehmen zählten, sind heute entweder insolvent oder mehrheitlich in ausländischer Hand, was einem Verlust der Unabhängigkeit gleichkommt. Ein kurzer Blick in die Vergangenheit belegt das: Holzmann, Walter Bau, Wiemer & Trachte insolvent, Strabag, Dywidag, Heilit & Woerner, Züblin, Teerbau, Wayss & Freytag – übernommen. Das ist in der Tat ein Aderlass, bei dem viele Werte und Kompetenzen unwiederbringlich verloren gingen.
Sehen wir hier das Ende der deutschen Bauindustrie?
So dramatisch ist es sicher nicht, wohl aber können wir eine signifikante Strukturveränderung in der deutschen Bauanbieterlandschaft erkennen. In der Liga der ehemaligen international operierenden deutschen Baukonzerne stoßen nun zunehmend innovative und leistungsstarke Mittelständler, die jedoch derzeit in ihrer Bedeutung weder von ihrer Gesamtbauleistung noch von ihrem internationalen Aktionsradius an die untergegangenen Großen heranreichen. Ohnehin war die deutsche Bauindustrie auch vor den Strukturveränderungen gesamt betrachtet eher polypolistisch, das Ausscheiden vieler Marktteilnehmer führte demnach auch nicht zu steigenden Preisen im Bauhauptgewerbe. Wenn man sich die Anzahl der Betriebe seit Beginn der Baukrise ab Mitte der 90er Jahre vergegenwärtigt, so kann man feststellen, dass die Zahl insgesamt sogar noch bis 2009 angestiegen ist, lediglich die Zahl der Großbetriebe nahm dramatisch ab. Daher sprechen Bauexperten auch gerne von einem atomistischen Markt. Das bedeutet nicht das Ende der deutschen Bauindustrie, die Veränderung der Größenordnungen bieten jedoch schon berechtigten Anlass zur Sorge, weil Unternehmensgröße in manchen Situationen, vor allem im internationalen Umfeld, schlicht erforderlich ist.
Welche Faktoren verursachten diese massiven Umbrüche?
Die Ursachen für diese enormen Veränderungsprozesse sind sehr komplex und auf unterschiedlichen Ebenen zu finden: Die deutsche Wiedervereinigung bescherte der Baubranche einen Nachfrageboom, dessen Intensität und Dauer zu Beginn dieser Entwicklung von vielen Akteuren überschätzt wurde. Die Unternehmen bauten infolgedessen ihre Kapazitäten massiv aus, ein Tatbestand, der sie ab Mitte der 90er Jahre vielfach in die Situation trieb, aus Erwägungen der Kapazitätsauslastung mit so genannten „Kampfpreisen“ auf die sich immer stärker abzeichnende Baukrise zu reagieren. Auch wenn das aus heutiger Sicht teilweise nicht nachvollziehbar erscheint, war das Motiv auf der Unternehmensebene plausibel: Man ging davon aus, dass bei einer ausreichenden Zeitdauer dieser Preispolitik genügend Wettbewerber aus dem Markt ausscheiden würden und nach dieser Phase eine „Marktbereinigung“ einträte, die den verbleibenden Unternehmen im Ergebnis auskömmliche Preise bescheren würden. Diese Erwartungshaltung trat jedoch in vielen Fällen nicht ein. Im Prinzip ist es gerade diese konfliktäre Vorgehensweise, die vielen Unternehmen das Genick gebrochen hat.
Der Staat als Nachfrager leistetet seinen eigenen Negativbeitrag: Ab 1995 drosselte er seine Bauaufträge, teilweise aufgrund von Sättigungserscheinungen, teilweise auch in Vorbereitung auf die Einhaltung der Maastrichter Konvergenzkriterien. Wäre die Regierung zumindest als Gestalter rechtlicher Rahmenbedingungen rechtzeitig in Erscheinung getreten, und hätte die bereits seit Beginn der 90er Jahre von der Bauindustrie geforderten gesetzlichen Grundlagen für so genannte PPP-Projekte in ausreichendem Maß geschaffen, hätte so manches Unternehmen und so mancher Arbeitsplatz sicherlich gerettet werden können. Seltsam erscheint in diesem Zusammenhang, dass in Deutschlands politischer Klasse offensichtlich nur eine geringe Neigung bestand, der deutschen Bauwirtschaft durch eine aktiv unterstützende Industriepolitik „unter die Arme zu greifen“. Dieses Verhalten erscheint vor dem Hintergrund der jüngsten Erfahrungen während der Finanzkrise kaum erklärbar: Während beispielsweise dramatische Rettungsaktionen zugunsten von Banken und Automobilkonzernen in Milliardenhöhe als „alternativlos“ bezeichnet und gesetzgeberisch innerhalb weniger Tage und Wochen organisiert werden konnten, folgte keine einzige als annähernd vergleichbar zu bezeichnende Initiative der damals Verantwortlichen. Auch erschien kein Ankeraktionär, der einzelne Unternehmen langfristig durch die Krise begleiten wollte; eine nachhaltige Konsolidierung aus eigener Kraft blieb der Branche trotz mancher Initiativen versagt.
Wie sieht die Situation bei unseren europäischen Nachbarn aus?
Das muss man differenziert nach den einzelnen Märkten betrachten: In Frankreich haben sich in den letzten Jahren starke Bauunternehmen herausgebildet; nach der ENR Statistik 2010 das weltweit dritt- und viertgrößte Bauunternehmen, Vinci und Bouygues. Auch die Baukonzerne in Spanien konnten in den letzten Jahren deutlich an Größe zulegen, so gehören allein fünf spanische Baudienstleister zu den weltweit 50 größten ihrer Branche. Auch in anderen Staaten, wie z.B. in Schweden in den Niederlanden bildeten sich international renommierte Bauunternehmen heraus. Man muss allerdings hinzufügen, dass viele einen hohen Anteil ihrer Gesamtbauleitung im Ausland erbringen.
Das ist in der Tat ein Aderlass!