Von Klauseln und bitteren
Verzögerungen

Kommentare zur aktuellen Rechtsprechung für die Bauwirtschaft

Unser Experte Rechtsanwalt Michael Werner vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie erläutert und kommentiert aktuelle Urteile des Bundesgerichtshofes (BGH) zu den Themen „Vertragsklauseln“ und  „Anspruch auf Mehrkosten bei Verzögerung“.

Die Klausel „Baubeginn 12 Werktage nach Zuschlagserteilung“ und ihre Folgen

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 10. September 2009 – VII ZR 152/08 – (www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:

1. Sieht eine Ausschreibung in einem öffent­lichen Vergabeverfahren vor, dass der Auftragnehmer spätestens 12 Werktage nach Zuschlag mit den Bau­arbeiten zu beginnen hat, ist dies dahin zu verstehen, dass der vertraglich vorgesehene Baubeginn an die aus­geschriebene Zuschlagsfrist anknüpft, wenn der Zuschlag später erfolgt. In diesem Fall ist der tatsächliche Zuschlagstermin nicht maß­ge-­
bend.

2. Ein Mehrvergütungsanspruch in An­leh­nung an die Grundsätze des § 2 Nr. 5 VOB/B kann dem der Verlängerung der Bindefrist zustimmenden Auf­trag­nehmer wegen einer verzöger­ten Vergabe grundsätzlich nur er­wachs­en, wenn dies eine Änderung der Leis­tungs­pflichten zur Folge hat.

3. Wird der Zuschlag nach Verlängerung der Bindefristen durch die Bieter später erteilt als in der Ausschreibung vorgesehen, kann ein Mehrvergütungs­anspruch nicht allein daraus hergeleitet werden, dass sich im Hinblick auf die verspätete Zuschlagserteilung die Kalkulationsgrundlagen geändert haben.

4. Maßgeblich für die in Anlehnung an die Grund­sätze des § 2 Nr. 5 VOB/B zu ermitteln­de Höhe des Mehrvergütungs­anspruchs, der auf einer durch eine verzögerte Vergabe verursachten Bau­zeitver­schiebung beruht, sind grundsätzlich nur diejenigen Mehrkosten, die ursächlich auf die Verschiebung der Bauzeit zurückzuführen sind.


Die Klägerin (AN) unterbreitete der Beklagten (AG) nach öffentlicher Ausschreibung im August 2005 ein Angebot für den sechsstreifigen Ausbau einer Bundes-Autobahn mit einer Angebotssumme von 11,1 Mio. €. Entsprechend den der Ausschreibung zugrunde liegenden Besonderen Vertragsbedingungen (BVB) sollte die Ausführung der Arbeiten spätestens 12 Werktage nach Zuschlagserteilung beginnen und 445 Werktage nach Zuschlagserteilung vollendet sein. Wegen Verzögerungen bei der Bereitstellung von Haushaltsmitteln erklärte sich der AN am 15. November 2005 mit einer Verlängerung der Bindefrist bis 31. März 2006 einverstanden. Der Zuschlag wurde nicht – wie ausgeschrieben – am 30. Novem­ber 2005, sondern erst am 13. Februar 2006 erteilt. Entsprechend verschob sich nach der Beginnklausel die Ausführungsfrist. Die Klägerin bestätigte den Zuschlag auf ihr Angebot und meldete zugleich Mehrkosten für Baustoffe, Material und Nachunterneh­merleistungen an. Die Ma­terial­preise hätten sich zwischen ausgeschriebener und tat­sächlicher Zuschlagsfrist stark erhöht. Die Nachunternehmer­preise seien bis Dezember 2005 befristet gewesen und anschließend sei das Preisniveau stark gestiegen. Die Beklagte (AG) lehnte zusätzliche Zahlungen unter Hinweis auf das vorbehaltlos erklärte Einverständnis der Klägerin mit der Bindefristverlängerung ab. Das LG hatte die Klage abgewiesen, das OLG dem Anspruch dem Grunde nach stattgegeben.

Der BGH verweist erneut auf seine Grund­satzentscheidung vom 11. Mai 2009 (siehe Baumarkt + Bauwirtschaft Heft 7-8/2009, Seite 64), wonach der öffentliche Auftraggeber grundsätzlich das Risiko einer verzögerten Zuschlagserteilung und daraus resultierende Mehrvergütungsansprüche des AN trägt. Unter dieses Risiko falle aber nicht nur die auf ein Nachprüfungsverfahren zurückzuführende zeitliche Verzögerung des Zuschlags, sondern auch jede vom AG zu vertretende Verzögerung, wenn diese nur zu einer Bauzeitverschiebung geführt habe. Der Auffassung des AG, die „variable Beginnklausel“ knüpfe stets am tatsächlichen Zuschlagstermin an, sei abzulehnen. Bieter könnten regelmäßig die Beginnklausel nur bezogen auf den ausgeschriebenen Zu­schlags­termin verstehen. Ein anderes Ver­ständ­nis verstoße gegen § 9 Nr. 2 VOB/A, wonach dem Bieter kein ungewöhnliches Wag­nis aufgebürdet werden dürfe. Ein derartiges Risiko hätte der Auftraggeber dem Bieter aber auferlegt, wenn die vertraglich an den Zuschlag gekoppelte Ausführungszeit über den vorgesehenen Zuschlagstermin hinaus völlig offen bliebe.

Wegen der von der Beklagten zu vertretenden Verzögerung der Auftragserteilung stehe daher dem AN ein Mehrvergütungsanspruch nach § 2 Nr. 5 VOB/B analog grund­sätzlich zu. Dies gelte allerdings nur für diejenigen Mehr­kosten, die auch ursächlich auf die Bauzeitverschiebung zurück­zuführen seien. Soweit Mehrkosten lediglich Folgen des veränderten Zuschlag­termins seien, sei dieser Anspruch zu verneinen. Zur Ermittlung der Höhe sei darauf hinzuweisen, dass im Rahmen des § 2 Nr. 5 VOB/B nur tatsächliche Mehrkosten berücksichtigungsfähig seien. Die Mehrkosten bildeten die Differenz zwischen den tat­säch­lichen Kosten aufgrund der verschobenen Ausführungs­zeit und den hypothetischen Kosten nach der ur­sprüng­lich ausgeschriebenen Bauzeit. Auf die in der Angebotskalkulation angesetzten Beschaffungskosten komme es nicht notwendig an; gegebenenfalls könne auf die Marktpreis­situation für die ursprünglich geplante Ausführungszeit zurückgegriffen werden. Preisabsprachen mit Lieferanten und Nachunternehmern seien nicht zwingend maßgebend.

 

Verhandlungsverfahren: Anspruch auf Mehrkosten bei Verzögerung?

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 10. September 2009 – VII ZR 255/08 – (www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:

1. Belässt es der Bieter in einem vergaberechtlichen Verhandlungsverfahren nach § 3 b Nr. 1 c) VOB/A im Rahmen von Verhandlungen mit dem Auftraggeber über die durch eine Zuschlagsverzögerung bedingte Anpassung seines Angebots hinsichtlich der Bauzeit bei der Ankündigung von verzögerungsbedingten Mehrvergütungsansprüchen, so ist eine tat­richterliche Auslegung nicht zu beanstanden, die darin lediglich den Vorbehalt der Durchsetzung mög­licher vertraglicher Ansprüche, nicht jedoch eine Abstandnahme vom abgegebenen Angebot sieht.

2. Vertragliche Ansprüche können bei einer solchen Auslegung ausgeschlossen sein, wenn der Bieter die bestehende Möglichkeit nicht genutzt hat, den Abschluss des Vertrags von einer Anpassung des Preises für durch die Bauzeitverschiebung entstandenen Mehrkosten abhängig zu machen.


Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) schrieb Bauleistungen im Zusammenhang mit der Tieferlegung von Bahnanlagen europaweit im Verhandlungsverfahren nach § 3 b Nr. 1 c) VOB/A aus. Ursprünglich sollte die Zuschlags- und Bindefrist am 19.03.2004 enden, die Bauleistungen zwischen dem 24.11.2003 und dem 24.10.2007 ausgeführt werden. Der später klagende Auftragnehmer (AN) gab auf dieser Grundlage ein Angebot ab, das er in der Folgezeit mehrfach modifizierte. Nachdem sich die Vergabe wegen eines Nachprüfungsverfahrens eines Konkurrenten verzögert hatte, einigten sich AG und AN im März 2004 auf einen neuen Bauablaufplan, mit dem unter anderem der Beginn der Leistungen auf den 15.03.2004 verschoben wurde. Der Endtermin sollte durch eine Optimierung des Bauablaufs eingehalten werden, wofür der AN eine Zusatzvergütung von pauschal 250.000 € erhielt. Abschließend erklärte der AN im Verhandlungsprotokoll, dass es durch die ver­zögerte Vergabe zu erheblichen Preiserhöhungen im Bereich der Materialkosten kommen würde, die er geltend mache. Der AG hatte diese Mehrkostenforderungen sowohl bei Vertragsabschluss als auch bei der Abrechnung zurückgewiesen, so dass der AN nunmehr ca. 3,8 Mio. € für Mehrkosten vor Gericht geltend machte. Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen.

Der BGH bestätigt die Auffassung des OLG in nahezu allen Punkten. Hier sei das Verhandlungsverfahren nach § 3 b Nr. 1 c) VOB/A gewählt worden; Sinn und Zweck dieses Verfahrens sei es, dem Auftraggeber die Möglichkeit zu eröffnen, mit den Bietern über deren Angebote und die Vertragsprei­se zu verhandeln, um entsprechend den Anforderungen der Vergabeunterlagen das wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln. Dem­entsprechend finde das Nachverhandlungsverbot des § 24 Nr. 3 VOB/A für dieses Verfahren keine Anwendung, so dass eine Änderung des Angebotes grundsätzlich möglich sei. Hier sei der AN an die von ihm angebotenen Preise gebunden, weil er die vom AG in der Ausschreibung vorgesehene Bindefrist von 6 Monaten in seinen entsprechenden Erklärungen wirksam akzeptiert habe. Hinsichtlich der Materialkosten sei er an sein ursprüngliches Angebot gebun­den gewesen, weil die AG einer Erstattung dieser Mehrkosten ausdrücklich widersprochen habe. Wegen dieses Wider­spruchs sei es zu einer Einigung über die angekündigten Mehrforderungen nicht gekommen. Weil der AN nicht verpflichtet gewesen sei, sein Angebot hinsichtlich Bauablauf und -zeit ohne Berücksichtigung aus­reichend bestimmter Mehrkosten zu modifizieren, sei es sein eigenes Verhandlungsversäumnis gewesen, keine Zustimmung der Beklagten zur Vergütung preissteigerungsbedingter Mehrkosten erwirkt zu haben. Seine Erklärung im Verhandlungsprotokoll sei dahin zu verstehen, dass er sich lediglich die Durchsetzung möglicher vertraglicher Ansprüche vorbehalten habe. Vertragliche Ansprüche bestünden daraus aber nicht. Der AN habe seine Leistung trotz des veränderten Bauablaufs und der Verschiebung des Baubeginns weiterhin zu den ursprünglich genannten Preisen angeboten. Vor diesem Hintergrund liegen die Voraussetzungen des § 2 Nr. 5 VOB/B unter Berücksichtigung der Grundsätze, die der BGH in seiner Entscheidung vom 11.05.2009 aufgestellt habe, nicht vor. § 2 Nr. 5 VOB/B setze eine Änderung des Bauentwurfs oder eine sonstige Anordnung des Auftraggebers voraus, die den bereits geschlossenen Vertrag abändere. Daran fehle es hier aber.

 

Anmerkung

Für den Auftragnehmer, der letztlich in allen drei Instanzen unterlegen ist, ist die Entscheidung natürlich bitter, da er auf ca. 3,8 Mio. € für Mehrkosten (für Stahl) letztlich sitzen bleibt. Er hätte hier bereits in den Vertragsverhandlungen für klare Verhältnisse sorgen müssen, konkret entweder das Kostenrisiko einpreisen, eine Preisgleitklausel vereinbaren oder von der Vergabe überhaupt Abstand nehmen müssen.

 

Mehrvergütung bei vom Baugrundgutachten abweichendem Boden

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 20. August 2009 – VII ZR 205/07 – (www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:

Sind in einem der Ausschreibung beiliegen­den Bodengutachten bestimmte Bodenverhältnisse beschrieben, werden diese regelmäßig zum Leistungsinhalt erhoben, wenn sie für die Leistung des Auftragnehmers und damit auch für die Kalkulation seines Preises erheblich sind. Ordnet der Auftraggeber die Leistung für tatsächlich davon abweichende Bodenverhältnisse an, liegt da­rin eine Änderung des Bauentwurfs, die zu einem Anspruch auf eine veränderte Ver­gü­tung gemäß § 2 Nr. 5 VOB/B führen kann.

Der Auftraggeber (AG) schrieb den Neubau einer Großschleuse im Verlauf eines Kanals aus. Ein Teil der Leistung bestand aus der Herstellung einer dafür erforderlichen 265 x 52 m großen und 20 m tiefen Baugrube mit Unterwasserbetonsohle und rückverankerten Schlitzwänden. Der Ausschreibung lagen mehrere Baugrundgutachten bei. Nach Vertragsschluss legte die beauftragte ARGE auf Wunsch des AG ein Nachtragsangebot über eine alternative Konstruktion für die Baugrube vor. Während der Ausführung der Arbeiten stieß die ARGE auf massive Probleme mit dem Baugrund, der u. a. wesentlich dichter gelagert war als in den Baugrundgutachten beschrieben. Die Sohle war nur mit erheblichem Mehraufwand und Bauzeitverlängerung herstellbar. Mehrvergütungsansprüche der ARGE lehnte der AG ab; er hielt den Inhalt der Baugrundgutachten nicht für Vertragsbestandteil, den Baugrund nicht für abweichend, die zusätzlichen und geänderten Leistungen hätte er nicht angeordnet und außerdem sei die ARGE als Planer des abweichenden Vorschlags verantwortlich.

Der BGH sieht dies grundsätzlich anders als der AG: Lägen der Ausschreibung Baugrundgutachten bei, würden deren Inhalte regelmäßig zum Bestandteil des später geschlossenen Vertrages. Dies gelte insbesondere für den Fall, dass die Inhalte der Baugrundgutachten für die Leistung des Auf­trag­nehmers und damit für die Kalkulation der Leistung erheblich seien. Im vorliegenden Fall werde beim HDI-Verfahren der Baugrund unmittelbar mit verarbeitet. Selbst bei einem funktionalen Angebot sei nicht anzunehmen, dass der Auftragnehmer Mehrkosten infolge vertragswidriger Bodenverhältnisse übernehmen wolle. Wenn ein in diesem Sinne vom Vertrag abweichender Baugrund auftrete, hänge der Mehrvergütungsanspruch für deshalb notwendige geänderte und zusätzliche Leistungen nicht davon ab, ob der Auftraggeber eine ausdrückliche Anordnung hierfür erteile: Bestehe der Bauherr darauf, dass das Bauunternehmen die Leistung trotz der veränderten Bodenumstände erbringe, stelle dies eine Leistungsänderung im Sinne von § 1 Nr. 3 VOB/B dar - mit der Folge, dass der Bauherr auch Mehrvergütung gemäß § 2 Nr. 5 VOB/B geltend machen könne.

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