Wenn ein Schaden droht …

Der Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte

Mit dem Vergaberechtsänderungsgesetz wurde 1999 mit Einführung des 4. Abschnittes des GWB der Primäre Rechtschutz für Beschaffungsvorgänge oberhalb der Schwellenwerte bei den Vergabekammern eingerichtet. Hierdurch wurde es erstmals für Bieter möglich, nicht nur Schadensersatz zu beanspruchen nachdem der Zuschlag (vergaberechtsfehlerhaft) erteilt worden ist, sondern die Zuschlagserteilung kann gestoppt werden.

Unterhalb der europarechtlichen Schwellenwerte entfalten die Vergabevorschriften als Ausformung des Haushaltsrechtes als klassisches „Innenrecht“ keine bieterschützende Wirkung. Allenfalls war die Beschwerde bei der Rechtsbehörde möglich, die jedoch nicht zwingend dazu führte, dass die Zuschlagserteilung verhindert werden konnte.

In den Jahren 2005 bis 2007 gab es verschiedene Entscheidungen von Verwaltungsgerichten, die einen vorläufigen Rechtschutz auf dem Verwaltungsrechtswege ermöglichten. In dieser Tendenz ergingen Entscheidungen des OVG Nord-Rhein-Westfalen, des OVG Sachsen, sowie des VGH Hessen. Gegen der Geltendmachung des vorläufigen Rechtschutz über den Verwaltungsrechtsweges bei Unterschwellenvergaben entschieden der VGH Baden Württemberg, das OVG Berlin-Brandenburg, das OVB Niedersachsen, der Bayerische VGH sowie das OVG Schleswig.

 

Ist eine Ungleichbehandlung des Rechtsschutzes für Aufträge ab einem bestimmten Auftragsvolumen (Schwellenwert) rechtlich möglich?

In seiner Grundsatzentscheidung mit Beschluss vom 13.06.2006 – 1 BvR 1160/03 – entschied das Bundesverfassungsgericht, dass es nicht gegen Artikel 3 Abs. 1 GG verstößt, wenn der Rechtschutz oberhalb des Schwellenwertes anders gestaltet ist, als bei Vergabeentscheidung mit Auftragssummen unterhalb des Schwellenwertes. Selbst wenn Artikel 3 Abs. 1 GG als Maßstab anzuwenden wäre, läge ein Grundrechtsverstoß nicht vor, da die Ungleichbehandlung vorliegend sachlich gerechtfertigt wäre. Hieraus folgt verfassungsrechtlich festgestellt, dass es rechtlich nicht zu beanstanden ist, dass die Behinderung der Zuschlagerteilung lediglich für Auftragssummen oberhalb der Schwellenwerte geregelt ist.

 

Welche Rechtschutzmöglichkeiten sind bei Aufträgen unterhalb der Schwellenwerte möglich?

Mit Beschluss vom 02.05.2007 – 6 B10.07 – entschied das Bundesverwaltungsgericht allerdings, dass Streitigkeiten in Vergabeverfahren, die nicht in den  Anwendungsbereich der § 97 ff. GWB fallen, weil sie Aufträge unterhalb der Schwellenwerte betreffen, der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn bei der Entscheidung über die Vergabe eines öffentlichen Auftrages keine gesetzliche Verpflichtung zu bevorzugter Berücksichtigung eines bestimmten Personenkreises zu beachten ist. Mit Beschluss vom 15.10.2008 – 27 W 2/08 – und Beschluss vom 13.01.2010 – 27 U 1/09 – hat auch das OLG Düsseldorf entschieden, dass im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens unterhalb der Schwellenwerte nach der VOB/A, mit welchem sich der öffentliche Auftraggeber den Vorgaben der VOB/A unterwirft, der Bieter aus einem vor-vertraglichen Schuldverhältnis Anspruch darauf hat, dass diese Vorgaben auch beachtet werden. Damit war der Rechtschutz auch für Vergabeverfahren unterhalb der Schwellenwerte eröffnet.

 

Der Rechtsschutz vor den Zivilgerichten

Mit der Entscheidung des OLG Düsseldorf kann auch außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 97 ff GWB ein unterlegener Bieter im Wege der einstweiligen Verfügung die Untersagung des geplanten Zuschlags an einen anderen Bieter verlangen.

Der Unterlassungsanspruch ist nicht auf Fälle von Willkür oder bewusst diskriminierendem Verhalten des öffentlichen Auftraggebers beschränkt.

Verspricht der Auftraggeber die Einhaltung bestimmter Vergaberegeln (VOB/A, VOL/A), haben die Bieter einen Anspruch auf Einhaltung dieser Regeln und gegebenenfalls einen Anspruch auf Unterlassung eines Regelverstoßes, der im Zuschlag an einen Bieter läge, auf dessen Angebot der Zuschlag nach den Vergaberegeln nicht erteilt werden darf.

Das Beschwerdegericht kann gem. § 570 Abs. 3 ZPO einstweilige Maßnahmen ergreifen und dem öffentlichen Auftraggeber aufgeben, bis zur endgültigen Entscheidung über die sofortige Beschwerde keinen Zuschlag zu erteilen. Damit ist nunmehr auch der primäre Rechtschutz unterhalb der Schwellenwerte eröffnet.

Durch eine Ausschreibung, in der der Auftraggeber die Einhaltung bestimmter Regelungen wie etwa der VOB/A oder der VOL/A verspricht, kommt ein vorvertragliches schuldrechtliches Verhältnis zwischen dem Auftraggeber und den Bietern zu Stande, selbst wenn es sich um einen privaten Auftraggeber handelt. Aus diesem schuldrechtlichen Verhältnis folgt grundsätzlich auch ein Anspruch auf Unterlassen rechtwidriger Handlungen. Ein Widerspruch zum BVerfG besteht nach Auffassung des OLG Düsseldorf nicht, weil das BVerG nur ausführte, eine Pflicht zur Vorabinformation der unterlegenen Bieter sei verfassungsrechtlich nicht geboten; zur Frage des einfachrechtlichen Primärrechtsschutzes bei Unterschwellenvergaben habe sich das BVerG nicht geäußert. Auch das Gemeinschaftsrecht spreche für einen Unterlassungsanspruch, weil nach ständiger Rechtsprechung des EuGH auch außerhalb der Vergaberichtlinien das Gleichbehandlungsgebot, das Diskriminierungsverbot und das Transparenzgebot zu beachten sind. Auf eine Binnenmarktrelevanz kommt es ebenso wenig an, wie auf die Teilnahme von EU-ausländischen Bietern, weil das nationale Recht nicht auf solche Kriterien abstelle. Bedenken, bei solchen Unterlassungsansprüchen würde ein relativ hoher Verwaltungsaufwand und eine Verzögerung der Zuschlagserteilung drohen, ist durch die Abwägung Rechnung zu tragen, ob das Interesse des Auftraggebers an der Fortführung des Vergabeverfahrens bzw. am Zuschlag die Belange des unterlegenen Bieters überwiegt; das komme vor allen dann in Betrag, wenn zwar eine Rechtsverletzung vorliegt und eventuell ein Schaden drohe, aber der unterlegene Bieter den Zuschlag wahrscheinlich nicht erlangen kann.

Eine einstweilige Verfügung auf Unterlassung des Zuschlags bei Unterschwellenvergaben setzt nicht voraus, dass der Bieter (Antragsteller) eine echte Chance auf den Zuschlag hat. Es darf aber in der Regel nicht unwahrscheinlich sein, dass der Bieter den Zuschlag erhalten könnte.

 

Die einstweilige Verfügung vor dem Zivilgericht

Der Zivilprozess über den Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Durchsetzung eines Unterlassungsanspruchs ist den Besonderheiten eines Vergabeverfahrens anzupassen.

In der Regel kann der Bieter nicht schon in der Antragsschrift sofort einen Unterlassungsanspruch schlüssig darlegen und glaubhaft machen (das schließt eine Beschlussverfügung aus), ein solcher Anspruch kann aber auch nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Dann ist nach Ansicht des OLG Düsseldorf eine mündliche Verhandlung anzuberaumen und in einer „Hängeverfügung“ ein vorläufiges Zuschlagsverbot bis zur Entscheidung auszusprechen. Bei der Sachverhaltsaufklärung ist das Gericht allein auf den Parteivortrag der Verfahrensbeteiligten angewiesen, der Vortrag des Bieters wird durch das Fehlen eines Akteneinsichtsanspruchs erschwert. Daher ist, so das OLG Düsseldorf, die Darlegungslast des Auftraggebers verschärft, er kann also nicht einfach bestreiten, sondern muss gegebenenfalls substantiiert darlegen und glaubhaft machen. Der für den Zuschlag vorgesehene Bieter kann nicht von Amts wegen beigeladen werden, sondern nur als Nebenintervenient (vergl. ZPO §§ 66 ff) beitreten. Das OLG Düsseldorf meint, das Gericht solle diesen Bieter vom Rechtsstreit informieren. Voraussetzung ist, dass eine der Prozessparteien diesen Bieter benennt. Das berechtigte Interesse des Auftraggebers an der Zuschlagserteilung führt dazu, dass es dem Antragsteller am erforderlichen Verfügungsgrund fehlt, wenn es unwahrscheinlich ist, dass der Bieter den Zuschlag erhalten kann; eine „echte Chance“ muss der Antragsteller aber nicht nachweisen. Skeptisch sieht das OLG Düsseldorf, und legt sich nicht fest, eine weiter befristete Hängeverfügung auch nach Antragsablehnung, um dem Bieter Zeit für die Einlegung von Rechtsmitteln zu geben. Das sei grundrechtlich nicht geboten.

 

Auswirkungen für die Praxis

Das zuständige Gericht für eine einstweilige Verfügung nach § 935 ZPO ist das Gericht der Hauptsache, in der Regel das Landgericht. In dringenden Fällen ist nach § 942 ZPO das örtliche Amtsgericht zuständig. In dringenden Fällen kann die Entscheidung des Gerichts gem. § 944 ZPO durch den Vorsitzenden alleine erfolgen.

Im Gegensatz zu einem Nachprüfungsverfahren wird in der Regel gem. § 944 ZPO ohne mündliche Verhandlung der Beschluss getroffen. Das bedeutet allerdings auch, dass der Auftraggeber grundsätzlichen erst durch Vorlage der Ausfertigung von der Existenz der Verfügung erfährt. Gem. § 924 ZPO kann der Auftraggeber Widerspruch gegen den Beschluss einlegen, worauf das Gericht einen Termin für die mündliche Verhandlung bestimmt und durch Urteil entscheidet.

Im Nachprüfungsverfahren bei Vergaben oberhalb des Schwellenwertes gilt der Amtsermittlungsgrundsatz (Der Amtsermittlungsgrundsatz begründet die Verpflichtung der Gerichte und Behörden, den Sachverhalt, der einer Entscheidung zugrunde liegt, von Amts wegen zu untersuchen - Prinzip der materiellen Wahrheit, immer im Strafrecht aber auch in der Verwaltungs-, der Finanz-, der Sozial- und der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu finden).

Bei dem Landgericht gilt der Beibringungsgrundsatz*, d.h. der Antragsteller ist für die Behauptung eines Vergabeverstoßes darlegungs- und beweispflichtig. Der Antragsteller hat den Verfügungsanspruch in der Regel gem. §§ 823 Abs. 2, 1004 BGB i.V.m. Artikel 3 GG, sowie den Verfügungsgrund als auch die Abwägung des Aussetzungsinteresses über dem Fortsetzungsinteresse sowie die Glaubhaftmachung durch Urkunden, Zeugen oder Versicherungen an Eides statt vorzutragen. (* Beibringungsgrundsatz, früher auch Verhandlungsgrundsatz; im Zivilprozess obliegt es den Parteien, alle relevanten Tatsachen vorzubringen, daher die leichter verständliche Bezeichnung „Beibringungsgrundsatz“, auf deren Grundlage das Gericht dann eine Entscheidung fällt)

Zwar genügt nicht jeder Verstoß gegen Vergabevorschriften, etwa wie gegen § 9 VOB/A, um einen solchen Anspruch zu begründen. § 9 VOB/A z.B. ist insbesondere kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. Allerdings folgt der Anspruch unmittelbar aus Artikel 3 GG. Voraussetzung dafür ist es, dass Vergabevorschriften verletzt sind und dem Bieter deswegen ein Schaden droht. Das ist z.B. dann der Fall, wenn eine Leistungsbeschreibung in einem solchen Maße fehlerhaft ist, dass eine Vergleichbarkeit der auf ihr basierenden Angebote schlechterdings ausgeschlossen erscheint.

Zu beachten ist insbesondere, dass dem Verfügungsbeklagten, d.h. dem Auftraggeber ein Schadensersatzanspruch gem. § 945 ZPO zusteht, wenn sich herausstellt, dass die Anordnung von Anfang an ungerechtfertigt war.

Die Zuschlagserteilung kann unter
Umständen auch gestoppt werden!


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