„Der wichtigste Schritt ist eine vernünftige Datenstruktur“
Software-Unterstützung für das Bauen von morgenDie THIS im Gespräch mit Marvin Theissen, Director Construction Sales EMEA bei Autodesk, über die Digitalisierung in der deutschen Baubranche, die Möglichkeiten von KI und Herausforderungen der Zukunft.
Herr Theissen, Sie sind jetzt seit fünf Jahren bei Autodesk, viele Bauunternehmen zählen zu Ihren Kunden. Können Sie uns Ihre Eindrücke zum Stand der Digitalisierung in der Bauwirtschaft geben?
Marvin Theissen ist Director Construction Sales EMEA bei Autodesk
© Autodesk
Marvin Theissen: Wir haben für den deutschen Markt in den letzten zwei, drei Jahren eine Menge angeschoben, etwa die Autodesk Construction Cloud, eine Weiterentwicklung und Zusammenführung von verschiedenen Produkten, die wir hatten. Unser Ziel war es, Bauunternehmen in wirklich allen Phasen einer Konstruktion oder eines Bauprojekts unterstützen zu können; Planung, Umsetzung, Operationsprozesse – wirklich alles. Und die Unternehmen melden uns zurück, dass sich digitalisierte Anwendungen auch für sie lohnen: In dem kürzlich von Autodesk veröffentlichten State of Design and Make Report sehen eine Vielzahl der Befragten Produktivitätsgewinne, verstärkte Nachhaltigkeitsmaßnahmen oder verbesserte Zusammenarbeit als nur einige der Vorteile, die mit der digitalen Transformation einhergehen.
Was genau ist Ihre Aufgabe?
Marvin Theissen: Mein Team und ich unterstützen Digitalisierungsdiskussionen und Prozesse bei unseren Kunden, in unterschiedlichen Unternehmensgrößen.
Ihr Unternehmen bedient ja mehrere Branchen, etwa Automotive. Welche Bedeutung hat denn die Baubranche bei Autodesk?
Marvin Theissen: Eine wirklich große; viele unserer Innovationen sind auf Herausforderungen in der Bauindustrie zurückzuführen. Das ist ein sehr großer Fokus bei Autodesk. Wir stehen in regem Austausch mit unseren Kunden, und hörwen sehr genau zu, wenn wir von dort Anregungen bekommen.
Wir waren letzten Herbst in München und haben uns dort mit ein paar von den größten deutschen Generalunternehmen und natürlich auch ein paar Owner Operators getroffen. Wir haben uns über Daten ausgetauscht, etwa welche Datenstruktur es braucht, um ein Bauprojekt durchzuführen.
Können Sie das näher erläutern?
Marvin Theissen: Gerne. Wir streben eine Einheitlichkeit von Daten und Strukturen an, um wirklich alle Phasen eines Bauprojekts, alle beteiligten Unternehmen zusammenzubringen. Das ist ein wirklich wichtiges Thema, das wir sehr stark im Blick haben.
Deshalb hat Autodesk in der Zwischenzeit eine Interoperabilitätsvereinbarung mit der Nemetschek Group geschlossen. Die Vereinbarung wird die bestehende Interoperabilität zwischen den Cloud- und Desktop-Produkten der beiden Unternehmen erweitern und den Informationsaustausch zwischen den Lösungen verbessern.
Im Manufacturing-Bereich wird sehr genau vorgeplant, bevor man sich an die Produktion macht. In der Baubranche geschieht das bestenfalls bei größeren Projekten, bei kleinen eher nicht. Ab welcher Bauprojektgröße ist man denn mit einer digitalen Planung dabei?
Marvin Theissen: Das ist eine gute Frage, die wir uns oft stellen. Wir arbeiten ja mit Kunden in allen Größen. Mit der Frage, ab wann es sich lohnt, Digitalisierungsprozesse einzuführen, werden wir häufig konfrontiert.
Und die Antwort darauf lautet?
Marvin Theissen: Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Projekt mit 20 Leuten, die unterschiedliche Aufgaben haben. Lohnt es sich, hier den gleichen Digitalisierungsaufwand zu betreiben wie bei einem Projekt, an dem 300 Leute mitwirken? Es gibt, je nach Situation, unterschiedliche Antworten auf diese Frage.
Wie nähern Sie sich dem Thema?
Marvin Theissen: Wir betrachten diese Frage aus einem etwas anderen Blickwinkel. Viele unserer Kunden finden nicht genug Fachkräfte. Da kann dann die Frage, wie man mit Ressourcen umgeht, existenziell werden. Es kommt immer auf die Ziele oder Bedürfnisse dieses Projekts an. Wo liegen die Herausforderungen, die zu bewältigen sind?
Sind beispielsweise die Gebäudedaten wichtig, kommt man um eine ordentliche Datenstruktur und digitale Prozesse nicht herum. Will man ein kleineres Projekt möglichst effizient umsetzen, um eine möglichst hohe Marge zu erreichen, ist ein hoher Aufwand, um Datenstrukturen aufzubauen, eventuell nicht immer möglich.
Wenn ein kleines Projekt irgendwann zu Ende ist, kommt das nächste Projekt. Dann würde Digitalisierung doch auch für kleine Projekte Sinn machen, einfach, weil man in Übung ist.
Marvin Theissen: Ganz genau. Wir sehen bei kleineren Projekten auch häufig, dass ja immer wieder ein paar Leute zu anderen Projekten wechseln, und dass andere Kollegen dazustoßen. Wenn man dann die Prozess- und Datenstrukturen nicht aufgebaut hat, fängt man jedes Mal wieder bei Null an. Das hören wir übrigens nicht nur von kleineren, sondern auch von größeren Bauunternehmen.
Ist das nicht auch ein kaufmännisches Risiko?
Marvin Theissen: Ich würde sogar sagen, dass dies ein enormes Risiko ist. Eingeübte Prozesse geben Sicherheit im Bauablauf, erhöhen das Tempo und senken Kosten, was für jedes Bauunternehmen ein Riesenthema ist, gerade in diesen schwierigen Zeiten. Auf der anderen Seite sorgen gute Bauprozesse auch für mehr Nachhaltigkeit etwa bzgl. Ressourceneffizienz.
Was würden Sie Bauunternehmen raten, die die Notwendigkeit erkannt haben, Prozesse und Strukturen einzuführen?
Marvin Theissen: Ich würde ihnen raten, sich mit uns zusammenzusetzen. Wenn man über Digitalisierung redet, ist der erste Schritt, eine Standardstruktur für diese Firma zu entwickeln, die man dann weiterentwickeln und einführen kann, Projekt nach Projekt.
Welche Stellung hat aktuell das Thema „Künstliche Intelligenz“ in der Baubranche?
Marvin Theissen: Bei unseren eingangs erwähnten Gesprächen in München war KI natürlich ein großes Thema. Alle wollen natürlich mit KI oder mit Machine Learning arbeiten. Aber um diese Technologien zu nutzen, braucht man gute Daten und eine sinnvolle Datenstruktur.
Wie geht man das am besten an?
Marvin Theissen: Die Wichtigkeit liegt ja nicht nur bei großen und kleinen Bauunternehmen, sondern auch beim Staat. Ideal wäre, wenn die öffentliche Hand begänne, eine gute Datenstruktur aufzubauen, sodass auf diesem Level alle effizienter mitarbeiten können und wollen. Ich denke, dass dies der wichtigste Schritt in diese Richtung ist.
Wo sehen Sie die größten Probleme beim Einsatz von KI?
Marvin Theissen: Es gibt da durchaus viele Herausforderungen. Viele sind sich nicht darüber im Klaren, dass man KI anlernen und trainieren muss, was Zeit kostet und Aufwand generiert. Eine KI ist nur so gut wie ihr Training. Es reicht nicht, dass man auf den Knopf drückt, und es geht los.
Außerdem ist die KI nicht der Problemlöser für alles. Die Kreativität, mit der ein Architekt ein Gebäude entwirft, lässt sich nicht ohne weiteres nachbilden. Wir wollen nicht, dass KI die Kreativität einschränkt.
Das KI-Thema wird aber unglaublich spannend, wenn es um Administrationsarbeiten geht, die manchmal sehr lange dauern können und viel Zeit von der kreativen Arbeit wegnehmen. Etwa, wenn sie sich im Abrechnungsbereich bewegen; eine KI kann aufgelistete Baustoffe erkennen und abgleichen, selbst wenn Lieferant und Verarbeiter andere Bezeichnungen verwenden. KI kann Anträge auf Vollständigkeit prüfen oder in Verträgen nach nicht standardisierten Passagen suchen, die eventuell ein Risiko beinhalten.
Wann werden Sie KI in Ihre Software einführen?
Marvin Theissen: Der Einsatz künstlicher Intelligenz ist bei uns nichts Neues. Wir arbeiten schon lange mit Machine Learning, etwa bei unserer Baumanagement-Software BIM 360, der Autodesk Construction Cloud oder jetzt durch Insights, unserer Software zur Analyse von Gebäudeeffizienz. Und erst kürzlich haben wir weitere KI-Features für die Baubranche vorgestellt. Etwa die neue Embodied Carbon Analysis für Forma, die mithilfe von KI-Funktionen Emissionsaspekte unterschiedlicher Designentscheidungen sichtbar macht oder neue KI-Funktionen für AutoCad 2025 – um nur einige Beispiele zu nennen.
Nutzer unserer Software erhalten mit unseren Tools einen Generalüberblick. Sie können genau sehen, wo man nicht effizient genug ist, wo man effizienter sein könnte, wo man zu viel Zeit verbringt. Daher würde ich sagen, dass KI nicht nur ein Plug and Play ist, aber auch keine Revolution. Es ist eher eine Evolution durch die Prozesse, die wir schon haben, man aber in der Zukunft noch einfacher gestalten könnte.
Gibt es versteckte Fallen?
Marvin Theissen: Schwierig wird es beispielsweise dann, wenn ein Generalunternehmen eine spezielle Struktur hat, aber seine, sagen wir mal, 20 Subunternehmen alle ihre eigenen, voneinander abweichenden Prozesse haben. Dann wird es natürlich schwer für das Tool, gute, sinnvolle Ergebnisse zu finden.
Wir sprachen vorhin über Nachhaltigkeit. Wie kann KI da helfen?
Marvin Theissen: Hier gibt es die größten Herausforderungen, nicht nur in Deutschland. Wie kann man Nachhaltigkeit kalkulieren? Wie kann man an dieser Stelle besser werden? Der State of Design and Make Report hat gezeigt, dass immerhin 28 Prozent der befragten deutschen Unternehmen bereits KI nutzen, um nachhaltiger zu sein. Aber es ist ein gemeinsames Industrieziel, das noch nicht erreicht ist, und an dem alle arbeiten.
Bei Autodesk gibt es zum Beispiel das EC3 Tool (Embodied Carbon Calculator for Construction), erstmalig mit BIM 360, mit dem man Kalkulationen nicht nur auf den Preis, sondern auch auf den CO2-Gehalt beziehen bzw. berechnen kann, mit welchen Materialien, zu welchen Kosten man den CO2-Fußabdruck reduzieren kann. Und mit der neuen Total Carbon Analysis stellen wir Bauleuten gleich mehrere digitale Werkzeuge zur Analyse des CO2-Fußabdruckes eines Gebäudes über den gesamten Lebenszyklus zur Verfügung. Das ist ein guter Anfang, aber wir haben noch einiges an Arbeit vor uns.
Wenn Sie mit Bauunternehmen reden, werden Wünsche für die Weiterentwicklung geäußert? Oder sind Sie noch dabei herauszufinden, wie man die bereits bestehende Software optimal nutzt?
Marvin Theissen: Wir alle sind Menschen und wünschen uns Tools, die uns die Arbeit einfacher machen. Unsere Kunden wünschen sich Lösungen, die sie bei den größten Problemen unterstützen. Bauprojekte werden Jahr für Jahr aufwendiger und komplexer. Die Anforderungen steigen, etwa in Richtung Nachhaltigkeit oder Fachkräftemangel. Unser Fokus liegt darin, Technologien zu entwickeln, die hier unterstützen und entlasten können.