Mit BIM zu nachhaltigeren Sport-Events

Was passiert mit den Sportstätten, wenn die sportlichen Wettkämpfe vorbei sind?

Diese Frage ist zentral für die Nachhaltigkeit von Großveranstaltungen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die richtige Technologie, erklärt Marc Nézet, Chief Strategy Officer & Chief Division Officer der Operate & Manage Division der Nemetschek Group.

Die Verbindung von Tradition und Moderne ist in Paris ein fester Teil des Stadtbilds. Auch für das globale Kräftemessen der besten Athleten der Welt in diesem Sommer hat die Stadt der Lichter diesen Spagat zu meistern versucht. Im Gegensatz zu früheren Veranstaltungen, fand die Eröffnungszeremonie nicht wie üblich in einem Stadion statt, sondern auf Booten auf der Seine. Auch bei den Sportstätten ging Paris neue Wege: Lediglich das Aquatics Centre wurde neu gebaut, alle anderen Austragungsorte bestanden bereits zuvor.

Auch im Sport: Bestandsgebäude nachhaltig nutzen

Diese Strategie ist auch eine Lehre aus der Vergangenheit. Denn viele Städte leiden auch Jahre später noch unter den Nachwirkungen der Spiele. Schlechte Planung hat dabei insbesondere finanzielle und ökologische Folgen. Selbst zwanzig Jahre nach den Spielen stehen in Athen zahlreiche teure Gebäude verlassen und ungenutzt. In Rio de Janeiro hat es acht Jahre gedauert, bis einige der im Vorfeld getroffenen Versprechen endlich eingelöst werden konnten. 2022 wurde London wegen seiner mangelhaften Bemühungen um die Wiederbelebung des Geländes um den Olympischen Park kritisiert.

Die Austragung von Großveranstaltungen ist teuer und aufwendig. Auch deshalb hat sich Paris dafür entschieden, für die meisten Veranstaltungen bestehende Stadien zu nutzen. Auch für den einzigen Neubau, das Aquatics Centre, gibt es gemäß des Legacy- und Nachhaltigkeitsplans des Veranstalters einen konkreten Plan: Nach den Spielen wird es in eine Mehrzweck-Sporthalle umgewandelt.

Die Nutzung bestehender Stadien bietet zahlreiche Vorteile. Denn selbst wenn sie modernisiert oder für spezifische Sportarten angepasst werden müssen, ist dies deutlich kosten- und ressourcenschonender als ein Neubau. Aber wie plant man ein Stadion, das auch nach seinem ursprünglichen Errichtungszweck über Jahre und Jahrzehnte hinweg sinnvoll und nachhaltig genutzt werden kann – einschließlich eines möglichen Rückbaus nach der Nutzung?

Digital planen heißt nachhaltig planen

Diese Herausforderung war bis vor einigen Jahren deutlich größer als heute. Zwar werden die Olympiastadien in München, Berlin, Rom oder Los Angeles bis heute für verschiedenste Veranstaltungen genutzt, dies ist aber vor allem dem Bedarf an großen Veranstaltungsorten für Konzerte oder Sportveranstaltungen in diesen Ballungsräumen geschuldet. In anderen Städten wie Athen und Barcelona ließ sich der Kreislauf schwieriger schließen. Allerdings war die Planung früher deutlich aufwendiger als heutzutage, weil vornehmlich analog.

BIM, künstliche Intelligenz und digitale Zwillinge machen es in unserer Zeit möglich, Stadien unter Berücksichtigung von Kosten, Nachhaltigkeit und zukünftiger Nutzung zu planen und zu bauen. Diese Technologien verändern die gesamte Bauindustrie in rasantem Tempo. Einige der bestehenden Stadien wurden bereits mithilfe dieser innovativen Technologien geplant und gebaut. Sowohl die Kosten als auch die CO2-Emissionen und andere Nachhaltigkeitsindikatoren konnten so niedrig wie möglich gehalten werden. Diese Faktoren entscheiden nicht nur über die Klimabilanz einer Sportstätte, sondern auch über deren Akzeptanz in der Bevölkerung. Einige Regionen in Deutschland haben beispielsweise auf Bewerbungen als Veranstalter verzichtet, da die lokale Bevölkerung erfolgreich dagegen protestiert hat. Die hohen Kosten und die mangelnde Nachhaltigkeit zählten zu den Kritikpunkten.

Eine große Herausforderung bei solchen Mammutprojekten ist meist die Koordination. Unter anderem müssen mehrere Behörden mit den beteiligten Unternehmen und den Veranstaltern zusammenarbeiten und kommunizieren. Ohne spezielle digitale Werkzeuge, die Informationssilos verhindern, kann dies zu Fehlern und Unstimmigkeiten führen. Projektverzögerungen und unnötige zusätzliche Kosten sind die Folge.

Digitaler Zwilling als Champion der Nachhaltigkeit

BIM-Anwendungen, insbesondere interoperable Anwendungen im Sinne von Open BIM, sind hier wertvolle Helfer. So können Konstruktionsfehler bereits während der Planung eliminiert und exakte Mengen an benötigten Baumaterialien errechnet werden. Aus standardisierten, strukturierten Daten können digitale Zwillinge erschaffen werden, die den Betrieb und die weitere Nutzung, inklusive Umbauten, erheblich vereinfachen und effizienter gestalten. Die Veranstalter in Paris haben sich dazu verpflichtet, ein Modell für CO2-arme Spiele zu liefern. Hierbei sind digitale Zwillinge der Stadien und ein realistischer Lebens-zyklusplan wertvolle Helfer.

Auch erneuerbare Energien spielen dabei eine Rolle. Stadien, die zu 100 Prozent über Solarzellen auf den Dächern betrieben werden, können als Vorbilder für nachhaltige Gebäude dienen und reduzieren den CO2-Fußabdruck signifikant. Auch hier leisten digitale Zwillinge einen wertvollen Beitrag. So lässt sich beispielsweise simulieren, wie sich die Solaranlage auf die Statik auswirken und an welchen Stellen die notwendige technische Infrastruktur am effizientesten verbaut werden kann. Nicht nur bei Neuplanungen, auch bei Nachrüstungen auf bestehenden Stadien.

Ein Wandel zu mehr Nachhaltigkeit in der Baubranche ist dringend notwendig. Nicht nur beim Stadionbau. 90 Prozent der Bauprojekte überschreiten die vorgegeben Budgets, 40 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen werden durch die Bauindustrie verursacht und rund 20 Prozent der wertvollen Baumaterialien werden verschwendet. Digitale Werkzeuge können hier einen signifikanten Beitrag leisten, um all diese Bereiche effizienter und damit nachhaltiger zu gestalten.

Aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen

Der in Paris eingeschlagene Weg ist auch eine Lehre aus der Vergangenheit. Denn Stimmungen und Rahmenbedingungen können sich ändern. 2013, ein Jahr nach den Spielen von London, waren laut einer BBC-Umfrage zwei Drittel der britischen Bevölkerung der Meinung, dass die Ausgaben in Höhe von 8,77 Milliarden Pfund für die Austragung gut investiert waren. Eine weitere Studie ergab, dass die Spiele Einnahmen von 9,9 Milliarden Pfund in Form von Handel und Investitionen generiert haben. Zum Problem wurde allerdings die weitere Nutzung des Olympiastadions. So blieb dieses vier Jahre unbenutzt und musste für 323 Millionen Pfund umgebaut werden, um als Mehrzweckstadion genutzt werden zu können. Heute finden dort vor allem die Heimspiele des Fußballclubs West Ham United statt. Die finanzielle Tragfähigkeit des Stadions ist allerdings bis heute fraglich. Wären von Anfang digitale Planungstools zum Einsatz gekommen, wäre die Planung vermutlich nachhaltiger geworden und die Transition weniger aufwendig. 

Dass man in Paris vornehmlich auf bereits existierende Sportstätten setzte und einen klaren Plan hatte, wie Veranstaltungsorte nach den Spielen weiter genutzt werden konnten, zeigt, dass es wichtig ist, aus früheren Spielen zu lernen. Ohne die entsprechenden Daten und digitalen Modelle ist dies allerdings extrem aufwendig. Und nicht alle Länder und Städte verfügen über die notwendige vorhandene Infrastruktur, die den Bedarf an neuen Austragungsorten reduziert. Daher müssen die Daten genutzt und weitergegeben werden, um diese Orte bei der Entwicklung und Planung von Stadien durch genaue Modellierung zu unterstützen.

Die Spiele von Paris sind dabei ein wichtiger Schritt, um zu zeigen, wie man den CO2-Fußabdruck von Großveranstaltungen durch smarte Planung und ein klares Konzept bereits vor dem Startschuss reduzieren kann. Dank des sinnvollen Einsatzes von BIM und digitalen Zwillingen können auch die Folge-kosten für Umbauten geringgehalten werden. In der Zukunft wird dies aufgrund des hohen Kostendrucks und der zunehmenden Bedeutung von wirklich nachhaltigen Spielen immer wichtiger. 2028 ist Los Angeles Gastgeber. Man darf gespannt sein, welche Erkenntnis aus Paris ihren Weg nach Hollywood finden werden.

Nemetschek Group
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