AUCH FÜR DIE BAUINDUSTRIE EINE HERAUSFORDERUNG:

Holpriger Weg zur ­Energiewende

Die Energiewende ist älter als man glaubt, viele führen sie auf Fukushima zurück. Tatsächlich gibt es sie bereits seit 2000, als das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) in Kraft trat. Seitdem muss der Stromkunde die Solar- und Windenergie subventionieren. Und die Energiewende wird bestimmt auch noch Jahrzehnte andauern.

Der Bundesregierung und den Ländern wird Untätigkeit vorgeworfen. Das ist zwar ungerecht, aber energischer könnten sie schon vorgehen. Es gibt ein Beschleunigungsgesetz für den Ausbau der Stromnetze. Im Frühjahr legten die Netzbetreiber einen ehrgeizigen Entwurf für den Ausbau der Stromleitungen vor. Allerdings käme es fast einem Wunder gleich, wenn wie beabsichtigt in 10 Jahren 3.800 km neue Hochspannungsleitungen errichtet werden könnten. Bürgerproteste und Länderegoismen drohen das Projekt zu Fall zu bringen. Der Abbau von Verwaltungshemmnissen wird nicht einfach sein. Die Genehmigungsverfahren müssen vorangetrieben werden.

 

Mangelnde Bürger-Akzeptanz

Das größte Problem aber ist die mangelnde Akzeptanz bei den Bürgern. Diese Akzeptanz müssen die Netzbetreiber mit viel Geld kaufen. Manche betroffene Gemeinden erhalten 40.000 Euro pro Kilometer Stromleitung. Wutbürger, die mit der Kommune im „Clinch“ sind, wird man mit Geld gar nicht ködern können. Die Pläne von Bundeskanzlerin Merkel sind extrem ehrgeizig. Es gab im März 2011 keinen sachlichen Grund, die letzten Kernkraftwerke bis 2022 abzuschalten. Man hätte zwei oder drei Jahre dranhängen können. Damit in 2022 vor allem in Baden-Württemberg und Bayern, wo viele Atomkraftwerke laufen und der Stromverbrauch hoch ist, die Lichter nicht ausgehen, ist der Ausbau von vier großen Nord-Süd- Hochspannungsleitungen eine absolute Notwendigkeit. Es ist gefährlich, dafür einen so knappen Zeitrahmen zu setzen. Stuttgart 21, der Flughafen Berlin-Brandenburg, die Elbphilharmonie, usw. haben gezeigt, dass man unbedingt Zeitpuffer braucht. In der Vergangenheit benötigte man für die Errichtung von Überlandleitungen gut 20 Jahre.

Jetzt, so heißt es, soll die Dauer der Genehmigungsverfahren auf 5 Jahre halbiert werden. Ob diesmal die Einbindung der Bürger klappt, bleibt abzuwarten. Die Bundeskanzlerin meint, die große Mehrheit der Bürger würde zustimmen, wenn man ihnen die Projekte erklärt. Die Konsultationsphase, während der Anwohner, Verbände oder Nichtregierungsorganisationen wie BUND Naturschutz und Greenpeace Einsprüche geltend machen konnten, war auf sieben Wochen befristet. Dabei war der genaue Verlauf der neuen Trassen noch gar nicht bekannt. Die Leute wussten also noch nicht, wie nah die Leitung an ihrem Wohnort vorbeiführt. Ob man da von einem Dialog auf Augenhöhe sprechen kann, ist fraglich.

Querschüsse der Länder

Zwar ist jetzt nur noch eine Klageinstanz vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgesehen. Davon profitieren allerdings bereits in Planung befindliche Altprojekte wie die umstrittene Trasse durch den Thüringer Wald nicht. Ministerpräsidentin Lieberknecht hat Jahre verstreichen lassen, bevor sie sich klar für das Projekt aussprach. Überhaupt werden die Länder nicht gern Kompetenzen bei der Planung auf die Bundesnetzagentur übertragen. Zudem stiftet der bayerische Ministerpräsident Seehofer mit Autarkieplänen Verwirrung. BUND Naturschutz stellt die geplanten Nord-Süd-Trassen gar in Frage: Stromeinsparungen und der Ausbau von Windanlagen in Süddeutschland würden, so dessen Behauptung, den Transport von Windstrom aus dem Norden zum Teil überflüssig machen.

 

Chance für die Bauindustrie

Die Energiewende ist auch für den Bau eine Herausforderung und Chance. „Die deutsche Bauindustrie ist auf dem Weg zur Klimaschutzindustrie“, erklärte neulich Prof. Thomas Bauer, Präsident des Hauptverbands der Bauindustrie. Dies ist evident bei der energetischen Sanierung des Gebäudebestands und beim Bau von konventionellen Kraftwerken. Aber es gilt auch für den Ausbau des Stromnetzes. Laut Prof. Bauer prüfen derzeit Projektentwickler der Baukonzerne, wie sie sich in die Entwicklung, das Management und die Finanzierung von Leitungsprojekten einbringen können. Allerdings müssten die Rahmenbedingungen stimmen: die Haftungsbegrenzung, die Verzinsung des Eigenkapitals und die zeitnahe Refinanzierung der Investitionen.

 

Strompreise zügeln

Die Herkulesaufgabe der Energiewende wird nur gelingen, wenn alle an einem Strang ziehen. Bundesumweltminister Peter Altmaier scheint dafür der richtige Mann zu sein. Berlin muss auch verhindern, dass die Energiewende an mangelnder sozialer Akzeptanz scheitert. Wegen der Erhöhung der EEG-Umlage auf voraussichtlich 5 Cent pro kWh wird ein Vier-Personen-Haushalt in 2013 über 50 Euro mehr bezahlen müssen. Danach drohen ähnlich hohe Erhöhungen im Jahrestakt. Einer solchen Explosion der Stromrechnung muss man auf jeden Fall Einhalt gebieten.

 

Autor
Marcel Linden, Bonn
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