Von Risiken, Strafen und Ansprüchen
Unser Autor Rechtsanwalt Michael Werner vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie beleuchtet diesmal drei wichtige Urteile: Zum Baugrundrisiko bei abweichenden Bodenverhältnissen, zur Vertragsstrafe bei Kenntnis vom Angebot eines Mitbewerbers und zu Vergaberechtswidrige Vergabebedingungen.
Zum Baugrundrisiko bei abweichenden Bodenverhältnissen
Das OLG Jena hat mit Urteil vom 25. Mai 2010 – 5 U 622/09 – (www.ibr-online.de), das wegen Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den BGH am 12. Juli 2012 rechtskräftig geworden ist, Folgendes entschieden:
1. Grundsätzlich trägt der Auftraggeber das Baugrundrisiko, weil es sich beim Baugrund um einen von ihm zur Verfügung zu stellenden Stoff handelt. Das Baugrundrisiko kann durch Vertrag wirksam auf den Auftragnehmer übertragen werden. Die Übertragung des Baugrundrisikos in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des Auftraggebers ist nur dann unwirksam, wenn dem Auftragnehmer dadurch Ansprüche abgeschnitten werden, die sich durch Erschwernisse ergeben, die erst nach Abgabe des Angebotes erkennbar werden.
2. Wird das Baugrundrisiko auf den Auftragnehmer übertragen und trifft das Baugrundgutachten keine Aussage zu den Bodenverhältnissen am Standort eines vom Auftragnehmer selbst örtlich zu bestimmenden Traggerüsts, trägt der Auftragnehmer das Risiko, dass die tatsächlichen von den erwarteten Bodenverhältnissen abweichen. In einem solchen Fall muss der Auftragnehmer eigene Baugrunduntersuchungen veranlassen.
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte ein Bauunternehmen (AN) mit dem Bau einer Autobahnbrücke beauftragt. Der AN verlangte darauf Mehrvergütung für die Gründung eines Traggerüsts wegen vom Baugrundgutachten abweichender Bodenverhältnisse. Das erstinstanzliche Landgericht hatte die Klage des AN als unbegründet abgewiesen. Denn der AG habe weder ein mittiges Traggerüst noch dessen Standort vorgeschrieben. Die Vertragsunterlagen hätten keine verbindliche Aussage des AG über die Baugrundverhältnisse in dem vom AN selbst gewählten Bereich des Traggerüsts ergeben. Die Unterlagen seien erkennbar nur auf das Brückenbauwerk selbst, nicht aber auf die Hilfskonstruktion bezogen gewesen. Der AN legte Berufung zum OLG ein.
Auch das OLG weist die Klage als unbegründet ab. Dem AN stehe kein Vergütungsanspruch aus § 631 BGB, § 2 Nrn. 5, 6 bzw. 8 VOB/B zu. Ein Vergütungsanspruch gemäß § 2 Nr. 5 VOB/B setze voraus, dass der AG das Baugrundrisiko hinsichtlich des Traggerüsts trage, und dass die eine aufwändigere Gründung notwendig machende Erschwernis für den AN unvorhersehbar gewesen wäre. An beiden Voraussetzungen fehle es hier.
Das Baugrundrisiko trage gemäß §§ 644 f. BGB grundsätzlich der Auftraggeber, da es sich beim Baugrund um den von ihm zur Verfügung zu stellenden Stoff handele. Gleichwohl trage der AG das Baugrundrisiko für das Traggerüst in diesem Falle nicht, da es durch Vereinbarung der ZTV-ING und der ZTV-K vertraglich wirksam auf den AN übertragen worden sei. Das Baugrundgutachten treffe hier keine Aussage zum Baugrund des vom AN selbst örtlich zu bestimmenden Traggerüsts. Da eine solche für das Traggerüst bei Einhalten der DIN 4020 notwendig gewesen sei, könne das Baugrundgutachten insoweit keine vertragsgemäße Vorgabe des AG darstellen. Die vom AN vorgenommene Interpolation der Baugrundkennwerte (Errechnung der Baugrundverhältnisse zwischen den Widerlagern der Brücke) könne nur hilfsweise herangezogen werden, ersetze aber keine Begutachtung des Standorts des Traggerüsts. Diese Begutachtung habe der AN jedoch unterlassen. Das dem Auftrag zugrunde liegende Baugrundgutachten beziehe sich eindeutig nur auf das Bauwerk Brücke, zu deren Gründung es Aussagen treffe, nicht jedoch auf die Bodenverhältnisse des Traggerüstes. Hinzu komme, dass der tatsächlich vorgefundene Zustand nach den Sachverständigen-Feststellungen nicht überraschend gewesen sei. Nach Aussage des Sachverständigen hätte ein Fachmann das Risiko einer Baugrundabweichung bei bloßer Ortsbesichtigung oder anhand der Schilderung des Baugrundgutachtens erkennen können. Insoweit habe sich hier der AN nicht auf „normale Baugrundverhältnisse“ verlassen dürfen.
Anmerkung
Es ist zu beobachten, dass sich in letzter Zeit die Rechtsprechung wieder vermehrt mit der Thematik „Baugrundrisiko“ auseinandersetzt. Nach ständiger Rechtsprechung realisiert sich das Baugrundrisiko dann, wenn die tatsächlichen Bodenverhältnisse trotz bestmöglicher Untersuchung des Baugrundes (z. B. durch ein Baugrundgutachten) nicht mit den Vorgaben übereinstimmen. Die Vertragspartei, die das Baugrundrisiko trägt, muss auch den mit der Abweichung zwischen tatsächlichen und beschriebenen Bodenverhältnissen verbundenen finanziellen Mehraufwand tragen.
Es ist positiv zu bewerten, dass das OLG Jena noch einmal festgestellt hat, dass der Auftraggeber grundsätzlich das Baugrundrisiko trägt, es sei denn, dass er dieses – wie hier – vertraglich auf den Auftragnehmer übertragen hat. Die hier in Bezug genommene DIN 4020 (Abschnitt 3.5) geht ebenfalls davon aus, dass derjenige, der den Baugrund zur Verfügung stellt, grundsätzlich zu dessen Untersuchung und Beschreibung verpflichtet ist. Insoweit eine zu begrüßende, da klarstellende Entscheidung.
Vertragsstrafe bei Kenntnis vom Angebot eines Mitbewerbers?
Das OLG Celle hat mit Urteil vom 6. Oktober 2011 – 6 U 61/11 – (www.ibr-online.de), das wegen Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch den BGH am 23. Mai 2012 rechtskräftig geworden ist, Folgendes entschieden:
1. Die Klausel eines Bauvertrags, wonach der Auftragnehmer im Falle einer unzulässigen Wettbewerbsbeschränkung eine Vertragsstrafe in Höhe von 15 % der Auftragssumme zu zahlen hat, ist wirksam, es sei denn, dass ein Schaden in anderer Höhe nachgewiesen wird.
2. Der angestrebte echte Bieterwettbewerb setzt voraus, dass jedes Angebot geheim bleibt. Eine wettbewerbsbeschränkende Abrede liegt deshalb bereits vor, wenn ein Bieter sein Angebot in Kenntnis desjenigen eines Mitbewerbers abgibt. Es kommt nicht darauf an, ob der Bieter oder der Mitbewerber den Auftraggeber schädigen wollen.
Ein Auftragnehmer (AN) baute für den Auftraggeber (AG) eine Druckleitung an eine Pumpstation. In den Zusätzlichen Vertragsbedingungen (ZVB) des AG heißt es: „Wenn der Auftragnehmer aus Anlass der Vergabe nachweislich eine Abrede getroffen hat, die eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung darstellt, hat er 15 % der Auftragssumme an den Auftraggeber zu zahlen, es sei denn, dass ein Schaden in anderer Höhe nachgewiesen wird“. Vor Angebotsabgabe hatte ein Mitbewerber dem AN telefonisch zugesagt, mit seinem Angebot hinter dem Angebot des AN zurückzubleiben, um ihm den Auftrag zu überlassen. Nach Fertigstellung der Arbeiten nahm der AN den AG gerichtlich auf Zahlung restlichen Werklohns in Anspruch. Dagegen erklärte der AG die Aufrechnung mit seinem (den unstreitigen Werklohnanspruch des AN übersteigenden) Anspruch auf Vertragsstrafe, der ihm nach der o. g. Klausel gegen den AN zustehe.
Das OLG weist die Klage des AN ab; er habe keinen Anspruch auf restlichen Werklohn, da dieser wegen der berechtigten Aufrechnung des AG erloschen sei. Die Vereinbarung zwischen dem AN und seinem Mitbewerber stelle eine Abrede dar, die eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung darstelle. Dabei komme es nicht darauf an, ob der AN und sein Mitbewerber den AG hätten schädigen wollen. Eine wettbewerbsbeschränkende Abrede liege bereits dann vor, wenn ein Bieter sein Angebot in Kenntnis desjenigen eines Mitbewerbers abgebe. Der angestrebte echte Bieterwettbewerb setze voraus, dass jedes Angebot geheim bleibe. Die in Streit stehende und vom AG herangezogene Vertragsklausel sei auch wirksam und verstoße nicht gegen § 309 Nr. 5 BGB. Die Klausel pauschaliere einen Schaden, von dem es genüge, dass er typischerweise bei dem sanktionierten Verhalten eintrete. Sie enthalte eine – gemessen an dem gewöhnlichen Lauf der Dinge – in dem geregelten Fall der unzulässigen Wettbewerbsabsprache zu erwartenden Schaden nicht übersteigende Pauschale und lasse den Nachweis eines Schadens in anderer Höhe zu, was als Bandbreite von Null an zu verstehen sei.
Anmerkung
Die Entscheidung ist deswegen bemerkenswert, da das OLG Celle als erstes Obergericht festgestellt hat, dass eine 15 %ige Pauschale bei wettbewerbsbeschränkenden Absprachen wirksam ist und einen Schaden pauschaliert, von dem es genügt, dass er typischerweise eintreten kann. Durch die Betonung des Geheimwettbewerbs stellt das Gericht noch einmal klar, dass bereits die Kontaktaufnahme zwischen Bietern bei einem konkreten Auftrag äußerst kritisch gesehen wird. Dabei spielt es auch keine Rolle, dass die Beteiligten nicht die Absicht haben, den Auftraggeber letztlich zu schädigen.
Vergaberechtswidrige Vergabebedingungen: Unterlassungsanspruch auch für die Zukunft?
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 5. Juni 2012 – X ZR 161/11 – Folgendes entschieden:
Einem (potenziellen) Bieter steht gegen den öffentlichen Auftraggeber kein aus bürgerlich-rechtlichen Vorschriften (§ 241 Abs. 2 BGB) herzuleitender Anspruch darauf zu, die Verwendung bestimmter als vergaberechtswidrig erachteter Vergabebedingungen in etwaigen zukünftigen Vergabeverfahren zu unterlassen.
Eine Autobahndirektion (AG) hatte in öffentlicher Ausschreibung die Lieferung von StVO-Hinweisschildern und Zubehörteilen sowie Demontage, Montage und Änderung von Transparenten, Großschildern etc. ausgeschrieben. In der Ausschreibung verwandte sie eine Klausel zum „Fachpersonal“ folgenden Inhalts: „Die Bieter müssen als Herstellerfirma gelten und der Güteschutzgemeinschaft Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen e. V. angehören ….“. Der klagende Bieter hatte das wirtschaftlich günstigste Angebot eingereicht, war aber von der Wertung ausgeschlossen worden, weil er die Fachpersonalklausel nicht erfüllte. Da es sich um eine Vergabe unterhalb des europäischen Schwellenwertes handelte, wurde kein Nachprüfungsverfahren eingeleitet; vielmehr nahm der Bieter den AG auf Feststellung einer Schadensersatzpflicht in Anspruch. Darüber hinaus beantragte er, dem AG in Zukunft zu untersagen, künftig die „Fachpersonalklausel“ bei Ausschreibungen weiter zu verwenden.
Das Landgericht München hatte der Klage stattgegeben, das OLG hatte sie abgewiesen und die Revision zugelassen.
Der BGH hebt das klageabweisende Berufungsurteil auf und verweist an das OLG zurück. Mit Hinweis auf neuere BGH-Rechtsprechung (BGH vom 9. Juni 2011 – X ZR 143/10) betont der BGH, dass ein auf Verstöße des öffentlichen Auftraggebers gegen Vergabevorschriften gestützter Schadensersatzanspruch des Bieters nicht daran geknüpft sei, dass der Bieter auf die Einhaltung dieser Regelungen durch den Auftraggeber vertraut habe. Vielmehr komme es darauf an, ob der AG durch Missachtung von Vergabevorschriften seine Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Bieter und potenziellen Bietern verletzt und einem durch diese Vorschriften geschützten Unternehmen hierdurch Schaden zugefügt habe. Für den Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe oberhalb der europäischen Schwellenwerte ergebe sich die Verpflichtung zur Beschaffung im Wettbewerb aus § 97 Abs. 1 GWB. Aber auch außerhalb des Geltungsbereichs dieser Norm, d. h. unterhalb der Schwellenwerte, seien öffentliche Auftraggeber bei der Auftragsvergabe dem Wettbewerbsprinzip verpflichtet. Dies erlege den Vergabestellen die Verpflichtung auf, die Auftragsvergabe nach Möglichkeit wettbewerbsintensiv auszugestalten. Zwar habe hier der AG in der an sich wettbewerbsfreundlichsten Vergabeart der öffentlichen Ausschreibung vergeben. Der AG habe den Wettbewerb jedoch durch eine zusätzliche Anforderung an die Eignung der Bewerber beinhaltende Fachpersonalklausel von vornherein in einer Weise beschränkt, die auf die Durchführung einer beschränkten Ausschreibung hinauslaufe. Ob für diese Beschränkung Gründe vorlägen, müsse das OLG erneut beurteilen. Fehle es an Gründen dafür, könne dies eine Verletzung von Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 2 BGB gegenüber Bauunternehmen als Bieter darstellen.
Ein vom Bieter geltend gemachter vorbeugender Unterlassungsanspruch könne jedoch hier nicht hergeleitet werden. Zwar könne nach der BGH-Rechtsprechung aus § 280 Abs. 1 BGB aus einem durch Vertrag begründeten Schuldverhältnis neben dem Schadensersatzanspruch grundsätzlich auch ein Unterlassungsanspruch abgeleitet werden. Dies gelte aber nur, solange eine Verletzungshandlung im konkreten Vertragsverhältnis noch andauere. Hingegen begründe eine solche Pflichtverletzung keinen Unterlassungsanspruch im Hinblick auf die Verletzung künftiger, noch nicht geschlossener Verträge, wie ihn der Bieter hier geltend mache.
Anmerkung
Zu betonen ist, dass hier der BGH noch einmal klar herausstellt, dass der Bieter im Oberschwellenbereich durch Nachprüfungsverfahren und im Unterschwellenbereich durch einstweilige Verfügung rechtswidrige Vergabebedingungen angreifen kann. Dies gilt aber nur für die konkrete Ausschreibung und nicht für zukünftig zu befürchtende, rechtswidrige Vergabebedingungen.
Ein „typischerweise“ eintretender Schaden wird pauschaliert