„Wir müssen die Verschwendung in der Wertschöpfungskette reduzieren“
BIM – Digitalisierung als Effizienz-ToolInterview mit Ralf Bürger, Geschäftsführer der Deutschen Doka, über die
Auswirkungen von Building Information Modelling auf die Bauindustrie
und die Deutsche Doka
THIS: Sie sind seit Herbst 2016 Geschäftsführer
der Deutschen Doka, und leiteten davor Doka Katar. Welche Unterschiede gibt es zwischen hier und dort?
Ralf Bürger: Der grundsätzliche Unterschied ist, dass dort wesentlich größere Projekte abgewickelt werden. Was meine ich damit: Hier in Deutschland wird beispielsweise jede Brücke einzeln ausgeschrieben. In Katar wird gleich ein ganzes Paket von 20 Brücken geschnürt – zusammen als ein Auftrag. Das bringt natürlich auch eine gewisse Abhängigkeit. Bekommt man ein, zwei Großprojekte nicht, spürt man das. Folglich ist dort der Druck größer, solche Aufträge zu gewinnen.
THIS: Welche Auswirkungen hat die „Kleinteiligkeit“ hierzulande auf die Deutsche Doka?
Ralf Bürger: Hier in Deutschland wickeln wir zwischen 10.000 bis 12.000 Projekte pro Jahr ab, von ganz kleinen Baustellen bis hin zu ganz großen. Die großen Baustellen sind nur ein Bruchteil vom Ganzen. Das Gros, etwa zwei Drittel, sind kleinere und mittlere Baustellen. Deshalb haben wir auch so ein engmaschiges Vertriebs- und Logistiknetz. Um deutschlandweit vor Ort zu sein. Würden wir diese Klein- und Kleinstprojekte nicht auch aktiv betreuen, bräuchten wir keine 17 Standorte.
THIS: Einer Ihrer großen Schwerpunkte ist die Digitalisierung, ist BIM – im eigenen Unternehmen und natürlich auch für die Kunden.
Ralf Bürger: Was am Thema BIM so eine große Bedeutung hat, ist der entscheidende zweite Buchstabe in diesem Wort – „Information“. Im Grund genommen geht es hier um Informationsmanagement. Wenn Sie heute ein beliebiges Gebäude bauen wollen, wird das vorgeplant. Dazu werden Daten erfasst. Die werden im Rahmen der Ausschreibung an die verschiedenen Baufirmen geschickt.
Wenn nun der Architekt eine Trennmauer weniger möchte, ändert er das im Plan. Jetzt müsste das auch in allen anderen Unterlagen geändert werden: In der Ausschreibung müssen die Mengen geändert werden, Tragwerks- und Brandschutz-Planer sind vielleicht betroffen, der Schalungsbau, TGA, Elektrik, Innenausbau etc. Und jeder Betroffene müsste informiert werden. Bislang geschieht das, wenn Sie so wollen, „zu Fuß“. Da sind Fehler oft unvermeidbar.
Bei BIM greifen alle auf die gleichen Daten zu. Wenn der Architekt hier etwas ändert, werden alle Beteiligten automatisch informiert. Richtig ausgeführt, kann man so viele Fehler und Verzögerungen vermeiden.
THIS: Also geht es um Fehlervermeidung?
Ralf Bürger: Mit BIM bzw. mit der Digitalisierung in der Bauwirtschaft strebt man an – wie es mal der Geschäftsführer eines Kunden formulierte – eine gewisse Verschwendung zu reduzieren, die man in der Bauwirtschaft nach wie vor hat. Laut Expertenmeinung sind bis zu 30 % der Baukosten auf Ineffizienz zurückzuführen, 57 % der Zeit ist nicht wertschöpfend investiert und damit Verschwendung. Können Sie sich das vorstellen? 30 bzw. fast 60 % Verschwendung in der Wertschöpfungskette – durch unnötige Wege, Misskommunikation, Wartezeiten usw.
Diese Quote ließe sich durch Technik und eine bessere Verknüpfung von Daten reduzieren. Bis hin zu 3D-Modellen oder gar 5D-Modellen, die Zeit und Kosten mit einbeziehen. Das bietet Potential, egal ob Standard- oder Sonderbauprojekte. Ich habe selbst als Bauleiter Brücken gebaut. Da hat man dann irgendwo seinen Ordner gehabt, in dem das komplette Wissen steckte.
Mit BIM kann ich dafür sorgen, dass diese Erfahrungen wieder zurückfließen, und dass nicht alles Wissen nur bei einer Person bleibt. Dann braucht man bei der Kalkulation einer neuen Brücke nicht mehr bei Null anfangen, muss den Daumen nicht wieder neu in die Luft halten, sondern kann auf bereits vorhandene Daten zurückgreifen, die ja immer auch Erfahrungen abbilden. Das macht man heute natürlich auch schon, mit BIM wird’s aber richtig ganzheitlich.
THIS: Wie sieht es denn intern bei Ihnen mit der Digitalisierung aus?
Ralf Bürger: Da das Tagesgeschäft unsere Techniker so vereinnahmt, haben wir Kollegen, die sich federführend um digitale Themen kümmern und ihr Wissen nach innen weitergeben. In Deutschland haben wir beispielsweise einen Mitarbeiter, der sich intensiv mit Virtual Reality beschäftigt, oder einen eigenen BIM-Beauftragten, der sich dann auch regelmäßig mit den BIM-Kollegen in unserem Headquarter in Amstetten trifft. Wir testen ständig Software, besuchen Workshops bei den Herstellern, etwa Autodesk.
Es ist uns extrem wichtig, von den Erfahrungen der Praktiker zu profitieren. Sollten jetzt wirklich Ausschreibungen kommen, die BIM vorgeben, wären wir schon jetzt so weit.
THIS: Sie meinen Komplett-BIM-Projekte, ab Leistungsphase 0 bis zur Nutzung?
Ralf Bürger: Genau, ich meine „richtige“, also Komplett-BIM-Projekte. Diese Umstellung wird noch Jahre brauchen, weil das für viele Kunden noch gar kein oder nur am Rande Thema ist. In Deutschland gibt es wenig bis gar keine Projekte, die so ausgeschrieben sind. In der Schweiz wird gerade ein solches Projekt gestartet. Wenn es also gefordert wird, sind wir vorbereitet.
Doka bezeichnete sich ja schon immer als „Die Schalungstechniker“, unser Selbstverständnis ging also schon immer über das eines reinen Schalungsanbieters hinaus. Heute ist es tatsächlich so, dass der technische Service, den wir liefern, fast wichtiger ist als die Schalung selbst.
THIS: In welcher Hinsicht?
Ralf Bürger: Einige Schalungen, zumindest bei den hochwertigen unserer großen deutschen Mitbewerber, sind zum Teil in etwa vergleichbar. Wo bleibt dann die Unterscheidbarkeit? Bei der Kundenorientierung, beim Service! Wir müssen verstehen, was der Kunde wirklich braucht. Gute Produkte anzubieten ist das eine, diese für das jeweilige Bauprojekt am sinnvollsten einzusetzen das andere. Das fängt schon beim einfachen Wohnungsbau an, wo’s vor allem um Schnelligkeit geht. Da empfehlen wir mal diese, mal jene Schalung.
Bei bestimmten Bauwerken, etwa aufwendigen Brücken, ist die reine Schalung hingegen meist nachrangig – was da zählt, ist das Engineering. Oder nehmen Sie den Frankfurter Omniturm. Der hat eine Art Hüftschwung, also Ausbuchtungen durch gegeneinander verschobene Etagen. So etwas bedarf einer hochgradig komplexen Planung, bei der dann auch mal ein paar tausend Ingenieursstunden zusammenkommen. Dieses Knowhow von uns – wann und wie setze ich welche Schalung ein – ist den Kunden viel wichtiger als die Schalung selbst.
THIS: Wie weit geht Ihr Service?
Ralf Bürger: Bei einigen Projekten, etwa im Tunnelbau, machen wir auch die Schalungsvormontage vor Ort. Das ist ein hochkomplexes Feld, da braucht man viel Spezialwissen. Bis der Kunde sich da in die komplexen Pläne eingearbeitet hat, haben wir das vormontiert, das spart ihm Zeit und damit Geld. Wir haben außerdem eigene Richtmeister, die auf die Baustellen gehen, die Leute einweisen und im Problemfall zeigen, wie die Sonderschalung aufzubauen ist. Oder nehmen Sie die Logistik: Das ist für mich das A und O, hier wirklich perfekt zu sein, was das Timing, was die Lieferkosten angeht. Und wir liefern sehr schnell, damit heben wir uns ab.
THIS: Ein Dienstleister, der auch Schalungen im Angebot hat?
Ralf Bürger: Aber sicher. Das ganze Drumherum, die ganzen Dienstleistungen – Planung, Logistik, Schalungsvormontage, Spezialschalung – das bieten nicht alle an. Wir schon. Dazu kommt auch von den Kunden das meiste Feedback, das meiste Lob.
Wir helfen den Baufirmen, dass es weitergeht, gerade, wenn es kompliziert ist. Unsere Dienstleistungen sind aus meiner Sicht der Schlüssel zum Erfolg. Deshalb legen wir so viel Wert darauf, uns hier breit aufzustellen, auch was die Digitalisierung angeht. Die Digitalisierung geht bei uns ja über BIM hinaus, etwa mit Concremote.
THIS: Was ist Concremote?
Ralf Bürger: Ein technologisches Verfahren, bei dem digitale Sensoren den Temperaturverlauf im Beton messen. Aufgrund der Temperaturentwicklung kann man dann Rückschlüsse ziehen, wie hart der Beton ist. Hat der Beton die benötigte Härte, kann die Schalung runter bzw. für den nächsten Takt eingesetzt werden. Sprich es handelt sich um eine digitale Methode, die dem Bauleiter ganz genau sagt, wann er ausschalen kann.
Sie müssen sich das so vorstellen: Die eingesetzten Temperaturfühler senden die Temperaturdaten zum Rechenzentrum. Die Informationen werden mit anderen Daten abgeglichen. Ist der Beton ausschalbereit, gibt es eine Nachricht aufs Handy oder Tablet. Das ist das, was Sie heute schon auf der Baustelle einsetzen können. Im nächsten Schritt soll dann eine intelligente Schalung diese Aufgabe übernehmen statt extra angebrachter Sensoren.
Aber da stecken wir noch in der Evaluierungsphase. Momentan testen wir gerade Baustellen mit einer solchen Deckenschalung. Aber das Prinzip mit dem Sensor, der die Temperatur misst, bleibt das Gleiche.
THIS: In Zukunft also alles digital?
Ralf Bürger: Nein, das darf man auch nicht missverstehen. Technik und digitale Entwicklungen sind wichtig, um produktiver und effizienter zu werden. Sie sollen uns in unserer täglichen Arbeit unterstützen, uns lästige Arbeit wie Datenverarbeitung abnehmen, damit sich jeder wieder mehr auf seine Kernaufgaben konzentrieren kann.
Will ich mich als Projektleiter damit herumschlagen, dass ich bei Planungsänderungen jeden einzelnen informiere, in der Hoffnung, niemanden zu vergessen – oder will ich, dass die Technik für mich übernimmt und automatisch alle Projektbeteiligten informiert, so dass ich mit meinen eigentlichen Aufgaben weitermachen kann. Das bedeutet für mich digitaler Fortschritt.