Werte managen, Substanz erhalten

Substanzerhaltung (nicht nur) mit Augenmaß

Die Erarbeitung einer nachhaltigen Instandhaltungsstrategie für Entwässerungssysteme ist ein zentrales Thema für Kommunen. Die Stadt Pirmasens hat hierzu eine ganzheitliche und zukunftsorientierte Substanzerhaltungsstrategie aufgesetzt.

Dipl.-Ing. Michael Maas, Bürgermeister der Stadt Pirmasens


In kommunalen Erdreichen schlummert so manche Zeitbombe. Gemeint sind nicht kriegsrelikte Blindgänger, sondern Abwasserkanäle ähnlichen Datums. Wer angesichts knapper Kassen zur rechten Zeit den richtigen Entscheid für Renovierung oder Erneuerung treffen will, muss vieles bedenken.

Mit Blick in die Zukunft

Nachhaltigkeit steht in Pirmasens hoch im Kurs. Davon zeugen der Deutsche Nachhaltigkeitspreis 2013 und der Sonderpreis für Nachhaltigkeit 2017. Ebenfalls 2017 wurde der westpfälzischen Stadt der Titel „Klimaaktive Kommune“ verliehen. Gerade auch beim Abwasser richtet sich der ganzheitliche Blick auf ökologische und wirtschaftliche Aspekte. So gehörte Pirmasens 2013 bis 2016 zu den Projektpartnern bei Entwicklung und Praxistest eines Nachhaltigkeits-Controlling-Instruments für siedlungswasserwirtschaftliche Systeme (NaCoSi).

Strategische Wege geht man auch bei der Investition in den Erhalt des 271 km messenden Kanalsystems. Nach Länge bemessen, dominiert hier Stahlbeton (43 %) als Rohwerkstoff, gefolgt von Steinzeug (24 %) und Beton (18 %). Die ältesten in Pirmasens noch in Betrieb befindlichen unterirdischen Systeme zur Ableitung von Regen-, Schmutz- und Abwasser stammen aus der Zeit um 1890, das Durchschnittsalter liegt bei 45 Jahren. Ein Großteil des Entwässerungsnetzes entstand über den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg. Rein rechnerisch ist dadurch die kritische Nutzungsdauer und so ein historisches Zeitfenster zum Handeln erreicht.

Rahmenbedingungen und Datenbasis

Bei der Generationen-übergreifenden Aufgabe ist an vieles zu denken: Was etwa soll wann saniert, was erneuert werden? Je früher man auf Schäden reagiert, desto geringer fallen grundsätzlich die Reparaturkosten aus und desto länger bleibt die Substanz erhalten. Andererseits wollte man in Pirmasens aber auch Restbuchwerte[1] nutzen und Synergien mit dem Straßenbau ausschöpfen. Gefragt war eine Strategie zur Substanzerhaltung mit dem Ziel, durch vorausschauendes Handeln die Kosten zu optimieren. Um eine valide Datenbasis zu schaffen, erfolgte Ende 2017 zunächst eine Kamerabefahrung zur strategischen Netzuntersuchung von ca. 279 Kanalkilometern mit insgesamt 7.574 Haltungen.

Diese Ist-Aufnahme ergab detaillierte Informationen über bedrohliche Mängel wie beispielsweise Korrosion und Verschleiß, Risse und Scherbenbildung, undichte Muffen und schadhafte Anbindungen von Hausanschlussleitungen. Hier drohten Verunreinigung des Grundwassers durch austretendes Abwasser (Exfiltration) und Eindringen von Fremdwasser (Infiltration) bis hin zum Systemversagen mit Verstopfungen, Überschwemmungen oder gar Straßeneinbrüchen in Folge von Hohlraumbildungen rund um die Schadensstelle.

Alterungssimulation

Aus den zugrunde liegenden Daten haben die Experten der beauftragten S & P Consult GmbH eine Alterungsprognose und Investitionsstrategie bis zum Jahr 2050 errechnet. Dabei wurden u. a. Schutzziele wie Standsicherheit, Dichtheit und Betrieb definiert und hinsichtlich Sanierungspriorität (Zustand) und Abnutzungsvorrat (Substanz) der Haltungen untersucht. Die hierfür etablierte Substanzklasseneinteilung reichte von „Abnutzungsvorrat voll“ bis zu „Abnutzungsvorrat aufgebraucht“.

Unter Berücksichtigung von Materialien, Baujahren und Erfahrungswerten der Betriebsingenieure konnten mit Hilfe einer stochastischen Alterungsprognose die Restnutzungsdauern der Kanäle haltungsscharf ermittelt werden. Die Ergebnisse lieferten somit Informationen, wann welcher Kanal ausfallen wird – und wann der beste Zeitpunkt ist, vorbeugende Maßnahmen zur Instandhaltung zu ergreifen.

Betrachtung unterschiedlicher Strategien

Zur Optimierung der aktuellen Herangehensweise wurden Referenzszenarien wie die „Weiter-so-Strategie“ betrachtet. Diese impliziert, dass die bisherige, rein schadensorientierte Sanierungspraxis fortgeschrieben würde. Auf Grundlage der so gewonnenen Erfahrungen bezüglich der zu erwartenden Zustands- und Substanzentwicklung des Netzes wurde die zukünftige Herangehensweise in Form einer nachhaltigen Investitions- und Sanierungsstrategie entwickelt. Diese, die bauliche Substanz des Kanalnetzes erhaltende Strategie dient zusätzlich der Verstetigung der jährlichen Sanierungsaufgaben und beinhaltet einen erhöhten Reparatur- und Renovierungsanteil. Zusätzlich wurde eine Koordinierung der Kanalbaumaßnahmen mit dem laufenden Straßenausbauprogramm vorgenommen und eine gesamttechnische Prioritätenliste mit jährlichen investiven Sanierungslängen[2] von 4,8 km und einem Jahresbudget von 2,15 Mio. Euro erstellt.

Nach ersten Investitionen auf dieser Planungsbasis im Jahr 2018 wurde im August 2019 bereits ein zweites Maßnahmenpaket in der Größenordnung von 700.000 Euro vergeben. Weil die Aussagenschärfe sich jedoch mit zunehmender Prognosedauer abschwächt, soll künftig die Wirksamkeit der Strategie durch zyklische Ergebniskontrollen und Monitoring der Sanierungs-ziele verifiziert werden.

Stadt Pirmasens

www.pirmasens.de

[1] Das Anlagevermögen des Pirmasenser Abwasserbeseitigungsbetriebs bei den Abwassersammelanlagen beträgt rund 56 Mio. Euro.

[2] Erneuerung 50 % oder 2,4 km, Renovierung 50 % oder 2,4 km.

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