Von Bürgschaften, Sicherheitsleistungen und Negativpreisen
Kommentare zur aktuellen Rechtsprechung für die Bauwirtschaft
Drei wichtige Urteile stellt unser Autor Rechtsanwalt Michael Werner vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie diesmal vor. Zweimal sprach das BGH Recht: „Zur Unzulässigkeit einer Vertragserfüllungsbürgschaft bei Abschlagszahlungen“ und „Zur ordnungsgemäßen Fristsetzung bei Sicherheitsleistung nach § 648a BGB“ und einmal das OLG Düsseldorf: „Negativpreise sind kein Ausschlussgrund!“
Zur Unzulässigkeit einer Vertragserfüllungsbürgschaft bei Abschlagszahlungen
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 9. Dezember 2010 – VII ZR 7/10 – (www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:
Die in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Auftraggebers eines Bauvertrags enthaltene Klausel, dass der Auftragnehmer zur Sicherung der vertragsgemäßen Ausführung der Werkleistungen eine Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe von 10 % der Auftragssumme zu stellen hat, ist unwirksam, wenn in dem Vertrag zusätzlich bestimmt ist, dass die sich aus den geprüften Abschlagsrechnungen ergebenden Werklohnforderungen des Auftragnehmers nur zu 90 % bezahlt werden.
Die Klägerin – eine ARGE – führte als Generalunternehmerin den Neubau eines Universitätsklinikums aus. Die ARGE beauftragte die K-GmbH (Beklagte) mit Leistungen für raumlufttechnische Anlagen, wobei die VOB/B vereinbart war.
In Nr. 5 des Nachunternehmervertrags (NU-Vertrag) war bestimmt, dass der Auftragnehmer (AN) dem Auftraggeber (AG) kostenlos eine Vertragserfüllungsbürgschaft von 10 % der vereinbarten Auftragssumme zu übergeben habe. Nach Nr. 3 des NU-Vertrags sollten Abschlagszahlungen in Höhe von 90 % der jeweils nachgewiesenen, vertragsgemäßen Leistungen geleistet werden. Die K-GmbH stellte darauf eine Vertragserfüllungsbürgschaft auf erstes Anfordern zur Verfügung. Am 29.01.2004 kündigte die ARGE den NU-Vertrag aus wichtigem Grunde und nahm die K-GmbH in voller Höhe aus der Vertragserfüllungsbürgschaft in Anspruch. Die Beklagte bestritt eine Zahlungsverpflichtung aus der Bürgschaft und verwies auf die Unwirksamkeit der Sicherungsvereinbarung.
Das erstinstanzliche Landgericht hatte die Klage abgewiesen, das OLG der Klage dem Grunde nach stattgegeben.
Der BGH gibt hier der K-GmbH, d. h. der Beklagten Recht. Der von der Beklagten erhobene Einwand sei begründet. Die Sicherungsvereinbarung sei unwirksam, weil sie im Zusammenwirken mit den Vereinbarungen zu den Abschlagszahlungen zu einer Übersicherung der Klägerin und zu einer unangemessenen Benachteiligung gemäß § 9 Abs. 1 AGB-Gesetz (jetzt: § 307 Abs. 2 BGB) führe. Das OLG habe die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht berücksichtigt, wonach die belastende Wirkung einer für sich allein gesehen noch hinnehmbaren Klausel durch eine oder mehrere weitere Vertragsbestimmungen derart verstärkt werden könne, dass der Vertragspartner des Verwenders im Ergebnis unangemessen benachteiligt werde. Als unangemessen werde nach ständiger Rechtsprechung eine Klausel angesehen, in der der Verwender missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten des Vertragspartners durchzusetzen versuche, ohne die Interessen des Vertragspartners hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen.
Hier habe das OLG zwar zutreffend entschieden, dass die Sicherungsvereinbarung zur Vertragserfüllung für sich genommen nicht zu beanstanden sei; das gelte auch für die vereinbarte Höhe der Bürgschaft. Auch die Vereinbarung, eine Bürgschaft auf erstes Anfordern zu stellen, belaste für sich genommen den AN nicht unangemessen. Nach ständiger Rechtsprechung sei zwar eine vorformulierte Sicherungsabrede, die die Stellung einer Vertragserfüllungsbürgschaft auf erstes Anfordern vorsehe, unwirksam und müsse dahin ausgelegt werden, dass der AN eine unbefristete selbstschuldnerische Bürgschaft schulde. Die der Vertragserfüllungsbürgschaft zugrunde liegende Sicherungsabrede führe hier jedoch zusammen mit der Vereinbarung über die Abschlagszahlungen zu einer Übersicherung der ARGE. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob die Regelung zu den Abschlagszahlungen wirksam sei oder im Hinblick auf die Bestimmung des § 632a BGB einer AGB-rechtlichen Überprüfung standhalte.
Die Regelung zu den Abschlagszahlungen bewirke jedenfalls, dass der AG dem AN 10 % der nach Prüfung als berechtigt anerkannten Forderungen für die erbrachten Werkleistungen nicht auszahlen müsse, sondern bis zur Prüfung und Bezahlung der Schlussrechnung einbehalten dürfe. Dem AN werde somit bis zur Schlusszahlung von Abschlagsrechnung zu Abschlagsrechnung steigend Liquidität entzogen. Außerdem trage der AN mangels einer Vereinbarung zur Sicherung des Einbehalts das Risiko, dass der AG insolvent werde und er mit bis zu 10 % der für seine erbrachte Leistung zu beanspruchenden Werklohnforderung ausfalle. Eine Vereinbarung in AGB, die die Sicherung der Erfüllungsansprüche sowohl durch Einbehalte bei den Abschlagszahlungen als auch durch eine Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe von 10 % der Auftragssumme vorsehe, berücksichtige einseitig die Interessen des AG und räume dem berechtigten Interesse des AN nicht den erforderlichen Stellenwert ein. Der AN müsse nicht nur Einbehalte bis zu 10 % der Auftragssumme mit den ihn erheblich belastenden Nachteilen hinnehmen. Das Erfordernis, eine Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe von 10 % der Auftragssumme zu stellen, belaste ihn zusätzlich. Denn er sei gezwungen, seine Avalkreditlinie zu belasten und habe bis zur Rückgabe der Bürgschaftsurkunde Avalzinsen aufzuwenden. Damit übersteige die Gesamtbelastung durch die vom AN zu stellenden Sicherheiten das Maß des Angemessenen. Diese ließen sich durch das Interesse des AG an Absicherung nicht rechtfertigen. Vor diesem Hintergrund konnte die Klage der ARGE keinen Erfolg haben.
Anmerkung
Die Unwirksamkeit der Summierung der beiden o. g. Klauseln könnte auch auf die in Bauverträgen oft anzutreffende Berechtigung des AG zum Skontoabzug durchschlagen. Denn in aller Regel gewährt der AN Skonto nur für die vollständige Bezahlung aller fälligen Forderungen innerhalb der Skontofrist. Eine vollständige Zahlung liegt jedoch nicht vor, wenn der AG seine Abschlagszahlung zu Unrecht um 10 % gekürzt hat. Bauunternehmen ist daher zu empfehlen, ihre Bauverträge auf derartige Klauseln durchzusehen, um eventuell noch unberechtigten Skontoabzug in Höhe von 2 bis 3 % der Bruttoabrechnungssumme nachzufordern. Dies betrifft insbesondere Schlussrechnungen, die ab November 2007 gestellt worden sind. Denn die regelmäßige Verjährungsfrist von Vergütungsforderungen beginnt am 1.1. des Jahres, das auf die Fälligkeit der Schlussrechnung folgt und beträgt 3 Jahre zum Jahresende 2011.
Zur ordnungsgemäßen Fristsetzung bei Sicherheitsleistung nach § 648a BGB
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 20. Dezember 2010 – VII ZR 22/09 – (www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:
Ein Unternehmer kann eine Nachfrist zur Sicherheitsleistung gemäß § 648a Abs. 5 Satz 1 BGB (a.F.), § 643 Satz 1 BGB erst dann wirksam setzen, wenn die Frist zur Sicherheitsleistung gemäß § 648a Abs. 1 BGB (a.F.) fruchtlos abgelaufen ist.
Gemäß § 648a BGB (a.F. – die bis 1.1.2009 gültig war) konnte der Auftragnehmer (AN) dem Auftraggeber (AG) eine angemessene Frist setzen, Sicherheit für die vom AN zu erbringenden Vorleistungen zu stellen. Dabei musste der AN erklären, dass er nach dem Ablauf der Frist die Leistung verweigere. Wenn der AG die Sicherheit nicht fristgemäß leistete, konnte der AN gemäß 648a Abs. 5 Satz 1 BGB a.F. i.V.m. § 643 Satz 1 BGB dem AG zur Nachholung der Sicherheitsleistung eine angemessene Nachfrist mit der Erklärung bestimmen, dass er den Vertrag kündige, wenn die Sicherheit nicht bis zum Fristablauf geleistet werde. Der Vertrag galt dann als aufgehoben, wenn die Nachholung bis zum Ablauf der Frist nicht erfolgte. Das OLG Hamm hatte entschieden, dass der AN die Nachfrist zur Herbeiführung der Vertragsaufhebung gleichzeitig mit der Frist zur Leistung der Sicherheit gemäß § 648a Abs. 1 BGB setzen könne.
Nach Auffassung des BGH zu Unrecht. Der Wortlaut und die Systematik des Gesetzes seien eindeutig. Danach bestimmten sich die Rechte des AN erst dann aus § 643 BGB, wenn der AG die Sicherheit nicht fristgemäß geleistet habe. Grundsätzlich solle sich der AN zunächst durch Verweigerung der Vorleistung vor wirtschaftlichen Nachteilen schützen können. Ihm solle jedoch die Möglichkeit gegeben werden, mit dem Vorgehen nach § 643 BGB einen Schwebezustand zu beseitigen, der eintrete, wenn die Sicherheit nicht innerhalb der zunächst gesetzten Frist geleistet werde. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz treffe es nicht zu, dass dem AG keine Nachteile entstünden, wenn ihm sofort eine Nachfrist gesetzt werde. Denn die Nachfrist werde in einem Zeitpunkt gesetzt, in dem überhaupt noch nicht feststehe, ob ein Schwebezustand eintrete. Sie habe deshalb wegen ihrer fiktiven Voraussetzungen eine deutlich schwächere Warnfunktion als die Nachfrist, die erst dann gesetzt werde, wenn feststehe, dass der Unternehmer berechtigt sei, die Leistung zu verweigern. Mit den Grundsätzen der Frist mit Ablehnungsandrohung (§ 326 Abs. 1 BGB a.F.) sei dies nicht zu vergleichen. Im letzten Falle trete nämlich mit Mahnung der Verzug ein, so dass die Voraussetzungen des § 326 Abs. 1 BGB a.F. vorlägen, wenn dem Schuldner die Mahnung und gleichzeitig die Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung zugingen. Anders sei es aber, wenn die Nachfrist voraussetze, dass zuvor eine andere Frist abgelaufen sei.
Anmerkung
Nach dem seit 1. 1. 2009 geltenden § 648a BGB n.F. bedarf es nun keiner Nachfrist mehr, um das Vertragsverhältnis zu beenden. Vielmehr kann gemäß § 648a Abs. 5 Satz 1 BGB der AN die Leistung verweigern oder den Vertrag kündigen, wenn er dem AG erfolglos eine angemessene Frist zur Sicherheitsleistung nach § 648a Abs. 1 BGB n.F. bestimmt hat. Die Überlegungen des BGH zum alten Recht und der Wortlaut des nunmehr neuen Rechts (zuerst Fristsetzung gemäß § 648a Abs. 1 BGB n.F., sodann Kündigung) sollten jeden vorsichtigen Unternehmer dazu veranlassen, erst nach Ablauf der ersten Frist eine etwa gewünschte Vertragskündigung auszusprechen.
Negativpreise sind kein Ausschlussgrund!
Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 22. Dezember 2010 – Verg 33/10 –(www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:
1. Die VOB/A zählt die Ausschlussgründe abschließend auf.
2. Eine Ausschreibung darf keine Anforderungen an die Preishöhe stellen. Es dürfen keine Mindestpreise verlangt werden. Ein Verbot negativer Einheitspreise ist unzulässig.
3. Ein Nachprüfungsantrag kann nur Erfolg haben, wenn ein vergaberechtswidriges Verhalten vorliegt und feststeht, dass der Antragsteller bei dessen Vermeidung eine Chance auf den Zuschlag gehabt hätte.
Eine Kommune schrieb Straßenbauarbeiten auf Basis des Vergabe- und Vertragshandbuchs für den Straßen- und Brückenbau (HVA-StB) aus. Letztere sah vor, dass Angebote mit negativen Einheitspreisen auszuschließen seien. Ein Bieter kalkulierte in einigen Positionen, welche die bloße Entsorgung von Metallrohren vorsah, gleichwohl negative Einheitspreise, da die Erlöse bei der Veräußerung seine Aufwendungen überschreiten würden; er war der günstigste Bieter. Die Kommune beabsichtigte nach interner Prüfung, sein Angebot gleichwohl zu werten und ihm den Zuschlag zu erteilen. Hiergegen wandte sich der zweitplazierte Bieter. Die erstinstanzliche Vergabekammer war der Auffassung, das Angebot des günstigsten Bieters sei wegen des Verbots negativer Einheitspreise auszuschließen. Dagegen legte der Bieter sofortige Beschwerde ein. Das OLG hob die Entscheidung der Vergabekammer auf und wies den Nachprüfungsantrag des Zweitplazierten ab. Es führt aus, dass auch negative Preise als Preise i.S. der VOB/A anzusehen seien. Die VOB/A gebe die Gründe, die den Angebotsausschluss rechtfertigen könnten, abschließend vor. Vorgaben zur Preishöhe seien dort nicht aufgeführt. Der AG dürfe zwar die Leistung in Positionen festlegen, er dürfe jedoch keine Vorgaben machen, die sich ausschließlich auf die Preishöhe bezögen. Das Fordern von Mindestpreisen und damit auch ein Verbot negativer Preise seien daher unzulässig. Gerade bei Positionen, bei deren Ausführung ein Bieter mitunter auch vermögenswerte Güter (wie z. B. Schrott) erhalte, könne eine Preisprüfung nach § 25 Nr. 3 VOB/A 2006 ergeben, dass auch der negative Preis auskömmlich sei (zumal im Rahmen der Prüfung nach § 25 Abs. 3 VOB/A 2006 ein Gesamtangebotspreis und nicht die einzelnen Positionspreise maßgeblich seien). Eine Aufhebung der Zuschlagsentscheidung und ein Zurückversetzen des Vergabeverfahrens in einen früheren Stand komme auch nicht in Betracht. Zwar stelle die Verwendung der Klausel einen Vergaberechtsverstoß dar, der auch den Antragsteller verletzen könne. Ein Verstoß gegen vergaberechtliche Vorgaben sei für sich allein jedoch nicht ausreichend, einen Nachprüfungsantrag rechtfertigen zu können. Dies setze vielmehr zusätzlich voraus, dass sich bei unterstelltem vergaberechtskonformen Verhaltens der Vergabestelle die Chance des Antragstellers auf den Zuschlag verändert hätte. Entsprechendes könne der Antragsteller hier jedoch nicht darlegen. Denn die negativen Preise des günstigsten Bieters machten in der Summe nur rund ca. 50 Euro aus und sein preislicher Vorsprung sei unabhängig hiervon gravierend gewesen. Die Antragstellerin wäre – auch wenn sie in den Verwertungspositionen negative Preise angesetzt hätte – nicht der günstigste Bieter gewesen.
Anmerkung
Es bleibt dabei: Das Vergabeverfahren dient dem Wettbewerb. Ein Auftraggeber darf daher keine verbindlichen Preisvorgaben machen.
Es bleibt dabei: „Das Vergabeverfahren dient dem Wettbewerb!“