Zukünftige Herausforderungen für die deutsche Bauwirtschaft
Wo werden die nötigen Investitionen herkommen?Die deutsche Bauwirtschaft steht vor einer Dekade, die von unterschiedlichen Herausforderungen geprägt sein wird. Neben einem substanziellen Nachfragerückgang öffentlicher Auftraggeber, den u.a. das Ifo-Institut in München als auch der Präsident des Hauptverbands der deutschen Bauindustrie in jüngster Zeit thematisierten, werden mit hoher Sicherheit weitere Herausforderungen wie der demographische Wandel in Deutschland zu bewältigen sein.
Diese Ausgangssituation motivierte eine Gruppe engagierter Studenten des Studiengangs „Wirtschaftsingenieurwesen, Schwerpunkt Bauwirtschaft“ der Beuth Hochschule für Technik Berlin, sich einmal tiefergehend mit diesen hochspannenden Themenkomplex auseinanderzusetzen – hier das Ergebnis in komprimierter Form.
Im Wesentlichen ergeben sich drei Aktionsfelder, die die Unternehmen der Bauwirtschaft im Blick haben und auf die sie sich einstellen müssen:
● Rückgang der Investitionen öffentlicher Baunachfrager
● Demographischer Wandel in Deutschland
● Neue und veränderte Anbieterstrukturen
Rückgang öffentlicher Investitionstätigkeit
Für viele Bürger ist bereits seit Jahren sehr offensichtlich und tatsächlich am Beispiel des sich zunehmend verschlechternden Zustands der Straßen in Deutschland spürbar: Die öffentliche Hand als Bereitsteller unserer Infrastruktur kann ihren Aufgaben kaum noch nachkommen und diese nicht mehr vollumfänglich gewährleisten. Eine der Hauptursachen ist die schlechte Finanzsituation, zusätzlich wirkt sich das Auslaufen der Konjunkturpakete bereits aus. Einer Umfrage des Spiegels zu Folge zögern 68% der Kommunen bereits jetzt ihre Unterhaltsmaßnahmen für Straßen und Gebäude hinaus. Weitere 61% der Kommunen planen, für den Straßenbau und die Stadtentwicklung ihre Neuinvestitionen zu reduzieren. Im aktuellen Jahr will insgesamt fast jede zweite Kommune weniger investieren. Der sich reduzierende Bauanteil drückt sich in der Bauinvestitionsquote aus: Betrug 1994 diese noch 14,3% des BIP, lag sie 2009 gerade einmal bei 9,8%. Das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung prognostiziert den langfristigen Rückgang bis 2019 auf 0,5% jährlich. Ein weiterer Aspekt wirkt sich negativ für die deutsche Bauwirtschaft aus: Die Wirtschaftskrise hat ihre Spuren in den Haushalten der EU-Länder hinterlassen. Will man das Wachstum nachhaltig stärken und Szenarien wie in Griechenland und Irland verhindern, müssen in den kommenden Jahren die Schulden langfristig gesenkt werden. Ein Blick in die Statistik zeigt das Ausmaß der Spuren, die die Krise hinterlassen hat. Lag die Schuldenquote der öffentlichen Haushalte im Vorkrisenjahr 2007 bei 66% des BIP bereits deutlich über dem Referenzwert des Wachstums- und Stabilitätspakts der EU, wird sie im Jahr 2010 auf 85% des BIP steigen. Rückblickend auf die letzten 20 Jahre hat sich die Verschuldung der öffentlichen Haushalte von 538,6Mrd.€ auf 1694,4 Mrd. € mehr als verdreifacht.
Betrachtet man den Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2011, so sind bereits erste Auswirkungen der starken Schuldenbelastung, die u.a. durch die Wirtschaftskrise hervorgerufen wurde, absehbar. So beläuft sich das veranschlagte Etat für das Ressort Verkehr/Bau/Städte auf 24,99 Mrd. €, was einen Rückgang von 5% bedeutet. Ein Vergleich: Betrugen die gesamten öffentlichen Bauausgaben 1992 noch 37,9 Mrd. €, so schrumpften diese bis 2008 bereits auf 26 Mrd.€. Dabei gilt es 2 Aspekte zu berücksichtigen:
1. Ein Drittel aller Auftragseingänge, und damit auch ein Drittel des Umsatzes im Bauhauptgewerbe, resultieren aus dem öffentlichen Bau.
2. Wiederum ca. 60% davon werden von Kommunen getragen. Vergleicht man Soll- und Ist-Investitionen wird erst deutlich, welche defizitäre Situation vorliegt. Das Deutsche Institut für Urbanistik bezifferte den kommunalen Investitionsbedarf von 2006-2020 auf 704 Mrd. €, was einem periodisierten Bedarf von ca. 47 Mrd.€ entspricht. Somit decken die Mittel derzeit nicht einmal ein Drittel der benötigten Investitionen. Trotz der eindeutigen Sprache dieser Zahlen muss berücksichtigt werden, dass die BRD infrastrukturell sowohl quantitativ als auch qualitativ international führend ist.
Demographischer Wandel – niedrige Absolventenzahlen
Bereits Anfang der 90er Jahre kamen erste Diskussionen um eine Relevanz eines Fachkräftemangels im Bausektor auf. Nach der Wiedervereinigung fokussierte man sich auf Imagekampagnen, vorwiegend in Süddeutschland, um junge Schulabgänger zu einer handwerklichen Ausbildung zu bewegen. Schon zu diesem Zeitpunkt war man sich über einen möglichen Fachkräftemangel im Bereich der klassischen Ausbildungsberufe bewusst. Auch die akademischen Abschlüsse wurden zunächst stärker gefragt.
Parallel zum einsetzenden investiven Nachfrageschub weiteten auch die ostdeutschen Unternehmen ihre Mitarbeiterkapazitäten massiv aus, bedingt durch prognostizierte Wachstumsphasen bis Mitte der 90iger Jahre. Gefolgt von einer Dekade rückläufiger Nachfrage kam es innerhalb von 10 Jahren zu einem Beschäftigungsrückgang um ca. 50%. Dementsprechend erlag die Branche in diesem Zeitraum auch einem deutlichen Attraktivitätsverlust, der sich in stark zurückgehenden Studienanfängerzahlen ausdrückte. Erst der Aufschwung in den Jahren 2005 bis 2007 führte zu der Erkenntnis, dass ein massives Nachwuchsproblem im Bausektor besteht. Seit 2005 wird der Bedarf an Nachwuchsingenieuren nicht mehr gedeckt. Der Hauptverband der dt. Bauindustrie geht davon aus, dass frühestens 2015 wieder eine Bedarfsdeckung erreicht wird. Grundlage eines Ausgleichs dieses Defizits bleibt eine stabile Baunachfrage innerhalb Deutschlands. Fraglich ist, wie diese erreicht werden kann, wenn man berücksichtigt, dass in der derzeitig teilweise schwierigen Situation die Fehlentwicklungen der letzten 20 Jahre innerhalb von 5 Jahren auszugleichen sind. Faktisch stellt die derzeitige Phase die Resonanz der versäumten Gegenmaßnahmen dar.
Dynamische Entwicklung der Anbieterstrukturen
Die Auswirkungen der Globalisierung bedeuten auch für die Baubranche Veränderungen in der Wettbewerbsstruktur. Die Zunahme der Wettbewerber führt auf der Angebotsseite konsequent zu einem Preiskampf, den die deutschen Unternehmen, die naturgemäß mit hohen Personalkosten kalkulieren müssen, nur schwer gewinnen können. So gesehen unterliegt der Fachkräftemangel sicher auch diesen Bedingungen. Folglich bedeutet der intensivierte Wettbewerb auch ein schrumpfendes Verhältnis von Nachfragern gegenüber Anbietern.
Die Kosten je Arbeitsstunde liegen in Deutschland, verglichen mit denen in Osteuropa, beim Doppelten bis Dreifachen. So kommt es vor allem in grenznahen Gebieten wie Brandenburg und Berlin zu einem direkten Konkurrenzkampf zwischen osteuropäischen und deutschen Firmen. Zudem sind in vielen deutschen Unternehmen auch zahlreiche Osteuropäer beschäftigt. Durch die Lohndivergenzen wirken Beschäftigungen ausländischer Bauarbeiter sowohl für deutsche Arbeitgeber, als auch für die ausländischen Arbeitnehmer zunehmend attraktiv. Doch das Price-Dumping in der Baubranche erfährt auch und vor allem durch die steigende Konkurrenz asiatischer Anbieter neue Dimensionen. So wurde das polnische Autobahnprojekt der A2-Verbindung von Warschau nach Lodz an ein chinesisches Konsortium vergeben, das alle anderen Wettbewerber um 30% unterbieten konnte. Die Finanzierung des Projektes erfolgt über EU-Mittel. Dieses Beispiel zeigt, dass die gesetzlichen EU-Regelungen rund um die öffentliche Auftragsvergabe nicht ausreichen. Weitere tiefgreifende Beeinträchtigungen der Wettbewerbssituation der deutschen Bauunternehmen stellen die Unternehmensstrukturen hinsichtlich der Betriebsgröße dar. Demzufolge basiert die ohnehin polypolistische Marktstruktur zu ca.99% auf KMUs. Das bedeutet in erster Linie, dass Großprojekte schwerer zu akquirieren sind, da Generalunternehmer hauptsächlich in ausländischem Namen auftreten und bei international ausgeschriebenen Projekten dementsprechend große Konkurrenz vorhanden ist. Blickt man in die Vergangenheit wird deutlich, dass sich die Zahl der deutschen Großunternehmen von 180 (1991) bis auf 25 (2009) reduziert hat. Dabei spielen bei internationalen Großprojekten lediglich die Hochtief AG und die Bilfinger Berger AG als Partner anderer internationaler Baugroßkonzerne eine wesentliche Rolle, für die deutschen Baumittelständler liegt es nahe, dass sie in dieser Szenerie eher als Nachunternehmer agieren werden können.
Die möglichen Lösungsoptionen
Grundsätzlich sind in dieser Situation zwei Akteure aufgefordert, hier die entsprechenden Weichenstellungen vorzunehmen: Der Staat und die Unternehmen.
Der Staat …
… ist in diesem Kontext doppelt gefordert: In seiner Funktion als Schaffer von Rahmenbedingungen und in seiner Funktion als Nachfrager. In Anbetracht der sich weiter öffnenden Märkte werden Anpassungen notwendig, um die Chancengleichheit der Marktteilnehmer zu wahren. Für die Einreichung von Angeboten internationaler Anbieter müssen dementsprechend einheitliche Gesetze geschaffen werden. So können zum Beispiel in China deutsche Unternehmen nur Aufträge akquirieren, wenn sie eine Tochtergesellschaft gründen. Eine Auftragsvergabe auf Projektbasis dagegen ist nicht möglich. Konträr dazu war es der chinesischen Staatsfirma Covec möglich, für ein Autobahnprojekt im dreistelligen Millionenbereich zu akquirieren, welches aus EU-Steuergeldern finanziert wird. Eine Abschottung des EU-Markts steht nicht zur Debatte, allerdings sind durchaus Maßnahmen legitim, die die regionalen oder die nationalen Interessen berücksichtigen, wenn Aufträge mit Steuermitteln finanziert werden. Daran anschließend sind EU-weite Kriterien für eine Angleichung der Löhne notwendig. Schließlich besteht das Ziel sich öffnender Märkte in der Schaffung der Chancengleichheit grenzüberschreitender Anbieter, welche durch die Lohnniveauunterschiede nicht gewährleistet ist. Ein europaweiter Mindestlohn im Bausektor wäre dabei zumindest diskussionswürdig. Grundsätzlich sollten Qualifizierungsnachweise bei allen Ausschreibungen eingeführt werden, deren Ziel darin besteht den Fokus auf Personalqualität in der Baubranche zu erhöhen, um nachhaltig die Attraktivität von Fachkräften im Bauhauptgewerbe zu fördern. Sowohl Ausbildungsberufe als auch Ingenieurstudien würden davon profitieren. Ebenso wäre eine Steigerung des qualitativen Grundniveaus der Bauleistungen eine logische Konsequenz dieser Maßnahme, von der sämtliche Anspruchsgruppen partizipieren. Vor allem die Bundesrepublik muss für eine höhere Nachfrage öffentlicher Auftraggeber die ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausschöpfen. Fernab jeglicher Diskussion steht die Haushaltkonsolidierung an erster Stelle. Allerdings ist dazu die Mobilisierung neuer Finanzquellen nötig. Die PKW-Maut stellt dabei eine besonders attraktive Lösung dar, die bisher bei der Bevölkerung auf breiten Widerstand stößt. Dabei wäre die Einführung einer Maut ohne Mehrbelastung der Bürger möglich. Die Abschaffung der Kfz-Steuer würde die PKW-Maut der Bundesbürger ausgleichen, der Zufluss durch die Nutzung unserer Bundesfernstraßen durch ausländische Kraftfahrer wäre gewährleistet und hätte erhebliche Mehreinnahmen zur Folge. Durch die Einnahmen wären in einem Transitland wie Deutschland ähnliche Finanzmittel wie in der Schweiz oder Österreich zu erwirtschaften, die in das Ressort Verkehr/Bau/Städte zurückfließen und an Bund, Länder sowie hauptsächlich Kommunen transferiert werden könnten.
Eine weitere Alternative zur Umsetzung der notwendigen öffentlichen Investitionsmaßnahmen stellen PPP-Modelle dar. Die sich stark von den herkömmlichen Finanzierungsmodellen differenzierende Beschaffungsvariante öffentlicher Auftraggeber bietet neue Möglichkeiten für Auftraggeber und Auftragnehmer.
Die Unternehmen …
… sind vor allem in der Hinsicht gefordert, kontinuierlich marktadäquate Leistungen zu entwickeln und zu liefern, und gleichzeitig die Prozesse auch unter Kostengesichtspunkten professionell und effizient zu managen. Dazu müssen die klassischen Wertschöpfungsketten sämtlicher Prozesse des Bauens einer kontinuierlichen Prüfung unterzogen werden, zusätzlich müssen die traditionellen Kernbereiche des Planens und Bauens durch Finanzierung, Erhaltung und Betrieb ergänzt werden. Diese wesentlich komplexeren Aufgabenfelder bieten vor allem für Mittelständler zugleich Chancen als auch Risiken. Eng mit diesem Gedanken verbunden ist auch die allgemeine Erweiterung des Leistungsportfolios auf eben solche Kompetenzen. Nicht nur bei PPP-Projekten, sondern in der gesamten Bauwirtschaft bieten sich Möglichkeiten der Ausweitung der Geschäftsfelder. Das Augenmerk dabei liegt zum Beispiel bei Wartungsverträgen für erstellte Bauwerke oder Facility-Management-Lösungen, die eine langfristige Bindung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer einschließen. Das dadurch geschaffene Arbeitsverhältnis kann dabei eine Grundlage weiterführender Geschäftsbeziehungen sein und somit nachhaltig Aufträge einbringen. Die Kundenorientierung im Baugewerbe besitzt dementsprechend viel Potential. Durch langfristige Verträge können auch Kooperationen und Partnerschaften zwischen Unternehmen die innerbetrieblichen Abläufe optimieren, sodass beispielsweise langfristige Lieferantenverträge Einsparungen ermöglichen, die bereits in Entwicklungs- und Planungsphasen ausschlaggebend für die spätere Auftragsvergabe sein können.
Des Weiteren integrieren derartige Partnerschaften auch eine Art „Schutzschild“ vor anderen Wettbewerbern, was besonders für regional tätige Unternehmen wichtig ist. Weiterhin fördern Partnerschaften die Innovationsfähigkeit, aus der wiederum alle Beteiligten Vorteile ziehen. Allgemein besteht also die Möglichkeit der Differenzierung von Wettbewerbern durch die Vermarktung der Firma. Im Gegensatz zu nahezu allen anderen Branchen kommt dem Marketing in der Bauwirtschaft eine bisher relativ geringe Bedeutung zu. Dabei ermöglicht gerade dieser Sachverhalt eine Abgrenzung von anderen Firmen. Darüber hinaus bieten sich für Bauunternehmen enorme Möglichkeiten der Anpassung an den Markt, die beispielsweise durch eine strategische Geschäftsfeldplanung, Wettbewerbsanalysen oder kommunikationspolitische Maßnahmen zu signifikanten Veränderungen zu Gunsten der Unternehmen führen können.
Fazit
Die sich äußerst dynamisch ändernden Anforderungen an die Unternehmen der deutschen Bauwirtschaft führen sowohl mittel- als auch langfristig zu existenziellen Handlungsnotwendigkeiten. Unternehmen, die einen Hauptteil ihrer Leistungen für öffentliche Auftraggeber erbringen und die Situation nicht rechtzeitig erkennen, werden mit der natürlichen Selektion des Marktes konfrontiert. Da die staatlichen Möglichkeiten durch die Maastrichter Konvergenzkriterien und das enorme Haushaltdefizit derart beschränkt sind, dass dieöffentlichen Auftragsvergaben tendenziell weiter zurückgehen werden, sind sinnvolle neue Finanzierungskonzepte unabdingbar. Jegliche Handlungen aus politischer Sicht sind zwar zu empfehlen, aber dennoch nicht realistisch einschätzbar. Daher müssen die Interessenvertreter und die Wissenschaft neue Wege für die Politik aufzeigen, die sowohl unter haushaltspolitischen als auch unter wirtschaftspolitischen Ansprüchen vertretbar sind.
Diejenigen Bauunternehmen, die sich rechtzeitig auf die aufgezeigten Herausforderungen ein- und umstellen, werden sich in den offenen Märkten profilieren können. Dabei wird wie bei allen Veränderungen von Marktstrukturen gelten: „Wer zuerst kommt, malt zuerst.“ Besonders die Einbeziehung eines effizient gestalteten Bau-Marketings eröffnet dabei neue Möglichkeiten für die kleinen und mittelständischen Bauunternehmen.
„Wer zuerst kommt, malt zuerst!“