Nebenangebot, Mängelbeseitigung und Eignungsnachweis
Kommentare zur aktuellen Rechtsprechung für die BauwirtschaftZweimal haben ein OLG und einmal der BGH für ein wichtiges Urteil gesorgt. Von der Unzulässigkeit eines Nebenangebotes, von der Verantwortlichkeit bei der Mängelbeseitigung und dem Einsatz von Eignungsnachweisen handeln diese Entscheidungen und werden von unserem Autor Rechtsanwalt Michael Werner vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie fachkundig kommentiert.
Unzulässigkeit von Nebenangeboten, wenn Preis einziges Zuschlagskriterium
Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 23. März 2010 – Verg 61/09 – ebenso wie die Vergabekammer Schleswig-Holstein mit – noch nicht bestandskräftigem – Beschluss vom 8. Oktober 2010 – VK-SH 13/10 – (www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:
1. Wenn der Preis das einzige Zuschlagskriterium ist, dürfen Nebenangebote nicht berücksichtigt werden. Dies folgt aus Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/18/EG, der mangels Umsetzung in deutsches Recht unmittelbar anzuwenden ist.
2. Hat der Auftraggeber gleichwohl Nebenangebote zugelassen, liegt ein schwerwiegender Vergabefehler vor, der zur Aufhebung des Vergabeverfahrens gemäß § 26 Nr. 1 c VOB/A 2006 (§ 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2009) zwingt.
Ein öffentlicher Auftraggeber schrieb Straßenbauarbeiten aus und beschrieb dabei ausführlich die Mindestanforderungen für Nebenangebote. Als alleiniges Zuschlagskriterium bestimmte er den Preis. Drei Bieter reichten nur Nebenangebote ein, zwei Bieter auch Hauptangebote. Nach der Wertung war ein Nebenangebot das preislich attraktivste Angebot. Zwei Bieter beantragten die Nachprüfung. Einer wegen des Ausschlusses seines theoretisch noch günstigeren Nebenangebots und ein anderer, weil er der Ansicht war, das für den Zuschlag vorgesehene Nebenangebot sei in technischer Hinsicht nicht gleichwertig.
Das OLG Düsseldorf hatte in der o. g. Entscheidung einen ähnlichen Fall zu beurteilen und darin – in einem einzigen Satz – auf den Wortlaut von Art. 24 Abs. 1 der sog. Vergabekoordinierungsrichtlinie (VKR 2004/ 18/EG vom 31.03. 2004) hingewiesen und festgestellt, dass die Wertung von Nebenangeboten – trotz ihrer ausdrücklichen Zulassung – bereits deswegen auszuscheiden sei, weil als Zuschlagskriterium allein der Preis genannt war.
In exakt dieselbe Kerbe schlägt die Vergabekammer Schleswig-Holstein. Im vorliegenden Falle dürfe keines der Nebenangebote gewertet werden, da die Zulassung von Nebenangeboten gegen Art. 24 Abs. 1 der VKR verstoße. Danach seien Nebenangebote nur zulässig, wenn der Auftraggeber den Zuschlag auf das wirtschaftlich günstigste Angebot erteilen wolle. Die VKR differenziere eindeutig zwischen den Zuschlagskriterien „wirtschaftlich günstigstes Angebot“ einerseits und „Preis“ andererseits.
In deutsches Recht sei diese Unterscheidung nicht übernommen worden (vgl. § 97 Abs. 5 GWB und § 25 Nr. 3 Abs. 3 VOB/A 2006 bzw. § 16 Abs. 6 Nr. 3 VOB/A 2009). Das deutsche Recht enthalte keine Art. 24 Abs. 1 VKR vergleichbare Regelung, sondern lasse Nebenangebote stets zu. Daher bestehe ein Umsetzungsdefizit mit der Folge, dass Art. 24 Abs. 1 VKR unmittelbar anzuwenden sei. Folglich dürften Nebenangebote nicht gewertet werden. Der Verstoß gegen Art. 24 Abs. 1 VKR stelle zudem einen derart schwerwiegenden Fehler dar, dass das Vergabeverfahren von Amts wegen aufgehoben werden müsse. Die bloße Nichtberücksichtigung der abgegebenen Nebenangebote verstoße gegen den Transparenzgrundsatz, da die Bieter auf die Berücksichtigung der ausdrücklich zugelassenen Nebenangebote vertraut hätten. Zudem liege ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot vor, da die Bieter mit Nebenangeboten benachteiligt würden. Daher sei das Verfahren aufzuheben.
Anmerkung
Die beiden o. g. Entscheidungen haben in der Baupraxis für erhebliche Unruhe gesorgt – nicht nur im Straßenbau. Denn bisher war die Zulassung von Nebenangeboten bei Ausschreibungen, die allein nach dem günstigsten Preis entschieden werden, selbstverständlich. Dieses Vorgehen wird nun aber nicht mehr möglich sein. Vielmehr darf der Auftraggeber Nebenangebote nur noch zulassen, wenn er neben dem Preis auch andere Wertungskriterien aufstellt. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass der EuGH bereits im Oktober 2003 auf den eindeutigen Wortlaut der Vergaberichtlinien verwiesen und die Wertung von Nebenangeboten nur bei vorheriger Festlegung von Mindestanforderungen gestattet hatte. Nach Art. 53 Abs. 1 der VKR darf der öffentliche Auftraggeber den Zuschlag nur auf das Angebot mit dem niedrigsten Preis oder das wirtschaftlich günstigste Angebot erteilen, wobei er im letzteren Falle mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängende Kriterien anzugeben hat. Nachdem Art. 24 Abs. 1 VKR bestimmt, dass Nebenangebote nur dann zugelassen werden können, wenn nach dem Kriterium des wirtschaftlich günstigsten Angebots vergeben wird, heißt dies im Umkehrschluss, dass bei einer Wertung ausschließlich nach dem niedrigsten Preis Nebenangebote nicht zugelassen werden können. Speziell für deutsche Bauunternehmen ist dies problematisch, weil – wie die Vergabekammer ausdrücklich hinweist – diese klare Unterscheidung im deutschen Recht nicht umgesetzt worden ist.
Zu den Verantwortlichkeiten bei der Mängelbeseitigung
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 2. September 2010 – VII ZR 110/09 - (www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:
1. Das Recht des Auftraggebers, von einem für einen Mangel verantwortlichen Auftragnehmer Mängelbeseitigung zu fordern, wird grundsätzlich nicht dadurch eingeschränkt, dass die Verantwortlichkeit des Auftragnehmers bei der Inanspruchnahme noch unklar ist.
2. Der in Anspruch genommene Auftragnehmer darf Maßnahmen zur Mängelbeseitigung nicht davon abhängig machen, dass der Auftraggeber eine Erklärung abgibt, wonach er die Kosten der Untersuchung und weiterer Maßnahmen für den Fall übernimmt, dass der Auftragnehmer nicht für den Mangel verantwortlich ist.
3. Beauftragt der Auftraggeber nach fruchtloser Mängelrüge einen Sonderfachmann mit der Untersuchung von Mangelsymptomen und findet dieser nicht die Mangelursache, so muss sich der Auftraggeber ein Mitverschulden nicht zurechnen, wenn es später zu einem Schaden kommt.
Der Auftragnehmer (AN) wurde mit der Ausführung von heizungstechnischen Anlagen in einem Schulzentrum beauftragt. Nach Abnahme stellte der Auftraggeber (AG) Wanddurchfeuchtungen fest und setzte dem AN, der die Untersuchung und Mängelbeseitigung von der Kostenübernahme durch den AG abhängig machte, fruchtlos eine Frist zur Mängelbeseitigung. Danach veranlasste der vom AG beauftragte Fachingenieur ein Druckprüfung der Heizungsanlage, die zum Ergebnis kam, dass eine Verantwortung des AN ausscheide. Dies wurde dem AN nicht mitgeteilt. Ein halbes Jahr später liefen aus einer undichten Stelle im Heizkreislauf etwa 5.000 l Wasser in eine Wand und durchfeuchteten eine Elektrowerkstatt. Der AG forderte Schadensersatz von 48.600 Euro. Der AN berief sich auf ein Mitverschulden des AG.
Nach Ansicht des BGH müsse sich der AG hier kein Mitverschulden an der Entstehung des Schadens zurechnen lassen. Die gegenüber dem AN bestehende Obliegenheit, den Schaden gering zu halten, sei nicht dem Fachingenieur übertragen worden. Dieser sei u. a. mit der Objektüberwachung und der Ursachenforschung der Wanddurchfeuchtung beauftragt worden. Ein solcher Fachmann sei nur insofern Erfüllungsgehilfe des AG, als er eine Tätigkeit entfalte, die im Verhältnis zum AN zur Aufgabe des AG gehöre. Es sei nicht Aufgabe des AG, die Mängelursache aufzuklären. Unabhängig von etwaigen gesetzlichen Ansprüchen könne der für den Mangel verantwortliche AN vor seiner Untersuchung der Mängelursachen nicht verlangen, dass der AG eine Willenserklärung abgebe, wonach er die Kosten für die Untersuchung und weitere Maßnahmen übernehme, wenn der AN nicht verantwortlich sei. Das Gesetz sehe für den Fall, dass bei Inanspruchnahme unklar sei, ob der AN verantwortlich sei, keine Einschränkung des Mängelbeseitigungsrechts vor. Der AG sei auch nach Treu und Glauben nicht verpflichtet, sein Einverständnis mit den Bedingungen zu erklären. Vielmehr sei der AN durch vertragliche und gesetzliche Ansprüche ausreichend geschützt.
Der AG schulde dem für den Mangel verantwortlichen AN vor dessen Inanspruchnahme nicht die objektive Klärung der Mangelursache, deren Kenntnis erst geeignete Mängelbeseitigungs- und Schadensabwendungsmaßnahmen ermögliche. Vielmehr sei es Aufgabe des AN, Mängelbehauptungen zu prüfen und Grund und Umfang seiner Leistungspflicht selbst zu beurteilen. Dies gelte auch dann, wenn die Leistung abgenommen sei und dem AG die Beweislast obliege.
Anmerkung
Mit der Entscheidung hat der BGH der Auffassung eine klare Absage erteilt, nach der der Auftraggeber dem AN für jede objektiv unberechtigte Mängelrüge auf Schadensersatz haften soll.
Vorlage von Referenzen des Vorgängerunternehmens als Eignungsnachweis?
Das OLG Koblenz hat mit Beschluss vom 4. Oktober 2010 – 1 Verg 9/10 - (www.ibr-online.de) Folgendes entschieden:
1. Der Auftraggeber kann zum Nachweis der Eignung die Vorlage von Referenzen für vergleichbare Tätigkeiten verlangen.
2. Referenzen für „verwandte“ oder Vorgängerunternehmen könnten allenfalls dann Berücksichtigung finden, wenn eine weitgehende Personenidentität besteht und dies bereits mit dem Teilnahmeantrag dargelegt wird.
Ein Auftraggeber (AG) forderte im Rahmen der Ausschreibung für den Eignungsnachweis der Bieter Referenzen, aus denen sich die technische Leistungsfähigkeit in Form von Erfahrungen bei der baulichen Realisierung vergleichbarer Projekte ergeben sollte. Diese Forderung wurde durch eine Beschränkung des Alters der Referenzen sowie Mindestanforderungen an die ausgeführten Projekte bezüglich der Vergleichbarkeit mit dem zu beauftragenden Objekt konkretisiert. Der antragstellende Bieter (ASt) hatte mit seinem Teilnahmeantrag Unterlagen zu vier Referenzobjekten abgegeben, die jedoch teilweise durch einen zwischenzeitlich insolventes Vorgänger- bzw. Schwesterunternehmen ausgeführt worden waren. Des Weiteren waren einzelne der in den Unterlagen genannten Angaben im Hinblick auf die gestellten Mindestanforderungen objektiv unzutreffend. Die Vergabestelle (VSt) schloss den ASt mangels Eignung aus.
Der Ausschluss erfolgte nach Auffassung des OLG zu Recht. Grundsätzlich sei der AG befugt, nach eigenem Ermessen Kriterien für die Eignungsprüfung festzulegen. Hierbei seien gemäß § 8 Nr. 3 Abs. 4 VOB/A 2006 (§ 6 Abs. 3 Nr. 5 VOB/A 2009) die Eignungsnachweise bereits mit dem Teilnahmeantrag vorzulegen. Die durch den Bieter nachzuweisenden Angaben vergleichbarer Tätigkeiten seien dabei grundsätzlich unternehmensbezogen zu verstehen, sofern die VSt nicht die Zulassung personenbezogener Erfahrungsnachweise bekannt gebe. Der ASt sei dieser Forderung eines Nachweises einer Mindestzahl unternehmensbezogener Referenzen hier schon formal nicht nachgekommen, so dass das Angebot auf der ersten Wertungsstufe schon auszuschließen gewesen wäre. Soweit der ASt darüber hinaus Referenzen von Vorgängerunternehmen vorgelegt habe, ließen diese den formalen Mangel nicht entfallen:
Die Berücksichtigung derartiger „Fremd-“Referenzen sei allenfalls möglich, wenn eine weitgehende Identität zwischen den Personen, die für die Referenzaufträge zuständig gewesen seien, und den Mitarbeitern des Bieters bestehe. Eine derartige Personenidentität hätte jedoch schon mit den vorgelegten Unterlagen bei Abgabe des Teilnahmeantrags dargelegt werden müssen, was hier nicht geschehen sei.
Anmerkung
Nach der bisherigen Rechtsprechung kann die Bezugnahme des Bieters auf verwandte Unternehmen bzw. Vorgängerunternehmen im Hinblick auf die Eignungsprüfung zulässig sein. Allerdings muss dabei die Identität der ausführenden Personen nachgewiesen werden. Auch bei diesem Nachweis muss schon mit Einreichung der Referenzen auf die Identität hingewiesen werden.
RA Michael Werner, Hauptverband der Deutschen Bauindustrie
E-Mail: ha.wirtschaft@bauindustrie.de