Zulässigkeit von Nebenangeboten, wenn der Preis einziges Zuschlagskriterium ist

Vom Umgang mit Nebenangeboten

In den Beschlüssen vom 07.01.2010 und 23.03.2010 – Verg 61/09 – hat das OLG Düsseldorf mit nur einem Satz darauf hingewiesen, dass Nebenangebote auszuschließen sind, wenn als Zuschlagskriterium allein der Preis genannt ist. Dies hätte den Ausschluss vieler Nebenangebote zur Folge.

Zur Unzulässigkeit der Nebenangebote

Mit seiner Entscheidung vom 07.01.2010 – Verg 61/09 – entschied das OLG Düsseldorf, dass die Zulassung und Wertung von Nebenangeboten grundsätzlich ausscheide, wenn das Zuschlagskriterium allein der günstigste Preis ist. Nach Art. 24 Abs. 1 Richtlinie 2004/18/EG dürften die Auftraggeber Nebenangebote nur bei Aufträgen berücksichtigen, die nach dem Kriterium des wirtschaftlich günstigsten Angebotes vergeben werden.

Art. 24 Richtlinie 2004/18/EG

„(1) Bei Aufträgen, die nach dem Kriterium des wirtschaftlich günstigsten Angebots vergeben werden, können die öffentlichen Auftraggeber zulassen, dass die Bieter Varianten vorlegen.“

Mit seinem Beschluss vom 18.10.2010 – Verg 39/10 – bestätigt das OLG Düsseldorf seine Rechtsprechung. Danach sind Nebenangebote trotz ausdrücklicher Zulassung bei Aufforderungsabgabe eines Angebotes unzulässig, wenn der Preis einziges Zuschlagskriterium ist. Art. 36 Abs. 1 der Richtlinien 2004/17/EG lasse in einer derartigen Situation Varianten nicht zu.

In der Entscheidung legte der Vergabesenat § 8 Abs. 1 der Sektorenverordnung richtlinienkonform aus, in dem das Zuschlagskriterium, die Wirtschaftlichkeit des Angebotes und nicht allein der Preis sein müsse.

Das OLG Koblenz hat mit seinem Beschluss vom 02.02.2011 – 1 Verg 1/11 – offen gelassen, ob Nebenangebote trotz Aufforderung zur Abgabe unzulässig sind, wenn der Preis das einzige Zuschlagskriterium ist. Der Vergabesenat konnte die Frage offen lassen, ob der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf zu folgen ist, wonach Nebenangebote nicht gewertet werden dürfen, wenn der Preis das einzige Zuschlagskriterium ist, da die Nebenangebote den vorgegebenen Mindestanforderungen nicht entsprechen bzw. der Gleichwertigkeitsnachweis nicht mit Angebotsabgabe vorgelegt worden war. Das OLG Koblenz betonte aber ausdrücklich, dass seiner Entscheidung vom 26.07.2011 nicht entnommen werden könne, dass das Gericht eine gegenteilige Auffassung vertritt. Die Entscheidung des OLG Düsseldorf seien damals nicht veröffentlicht, jedenfalls der Senat jedenfalls unbekannt gewesen. Mögliche Auswirkungen des Wortlauts der Art. 24 Abs. 1, Art. 53 Abs. 1 Richtlinie 2004/18/EG bzw. der Art. 36 Abs. 1, Art. 55 Abs. 1 Richtlinie 2004/17/EG auf die Wertbarkeit von Nebenangeboten habe das OLG Koblenz nicht gesehen und folglich nicht problematisiert. Das OLG Koblenz tritt damit der Interpretation seiner Entscheidung vom 26.07.2010 durch das OLG Brandenburg, Beschluss vom 07.12.2010 – Verg W 16/10 - ausdrücklich entgegen, wonach das OLG Koblenz die Zuschlagserteilung auf Nebenangebote auch im reinen Preiswettbewerb akzeptiert hätte.

 

Zur Zulässigkeit der Nebenangebote

Mit der neuesten Entscheidung vom 15.04.2011 – 1 Verg 10/10 – hat das OLG Schleswig entschieden, dass Nebenangebote gewertet werden müssen, wenn der Auftraggeber in einem Vergabeverfahren den günstigsten Preis als einziges Zuschlagskriterium benannt und Nebenangebote zugelassen hat. Seiner Ansicht nach ergeben sich weder aus den europäischen noch aus den nationalen Vergaberegeln eine Unzulässigkeit von Nebenangeboten.

Nach Auffassung des OLG Schleswig liege ein Verstoß gegen die Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG nicht vor. Sie sei direkt nicht anwendbar, weil sie in nationales Recht umgesetzt sei. Selbst aus der Richtlinie und deren Systematik ergebe sich an keiner Stelle ein Ausschluss von Varianten bei einer Vergabe nur nach dem günstigsten Preis. Dies gelte ebenso für die nationalen deutschen Regelungen. Insbesondere in § 97 Abs. 5 GWB und § 25 Nr. 3 Abs. 3 Satz 2 VOB/A 2006. Die Überlegung, mit der Zulassung von Nebenangeboten und der damit erforderlichen Gleichwertigkeitsprüfung werde die Ausschließlichkeit des Zuschlagskriteriums „günstiger Preis“ beseitigt, übersehen einen systematischen Punkt. Die Gleichwertigkeitsprüfung erfolge bereits „auf einer der Zuschlagsentscheidung (mit den Kriterien „Preis“) weit vorgelagerten Wertungsstufe“. Es finde damit vorab eine Sonderprüfung des Nebenangebotes statt. Bestehe der Sondervorschlag diese, konkurriere er bei der dann vorzunehmenden Wertung nunmehr anhand des Kriteriums „günstigster Preis“ mit den übrigen noch zu wertenden Haupt- und Nebenangeboten.

Eine Vorgabe expressis verbis, die die Zulassung von Nebenangeboten beim alleinigen Zuschlagskriterium „Preis“ verbietet, sei der Richtlinie an keiner Stelle zu entnehmen.

Die Gleichwertigkeitsprüfung erfolge auf einer der Wertung des Zuschlagskriteriums „Preis“ vorgelagerten Wertungsstufe. Dies lasse sich bereits dem systematischen Aufbau der Richtlinie 2004/18/EG entnehmen.

Führe die Prüfung der Gleichwertigkeit von Nebenangeboten zu einem positiven Ergebnis und lasse der öffentliche Auftraggeber anschließend die Nebenangebote zur Wertung zu, so habe dies zur Folge, dass das Nebenangebot mit den anderen im Wertungsverfahren befindlichen Angeboten konkurriere und im Rahmen dieser Konkurrenz zu den zu prüfenden Zuschlagkriterien zu bemessen sei. Bleibt in der letzten Wertungsstufe nur noch das Zuschlagskriterium „niedrigster Preis“ zu prüfen, setze sich das Angebot durch, das dieses Kriterium erfüllt, und zwar auch dann, wenn es eine Variante enthält, die nach der vorherigen Prüfung und Entscheidung auf einer früheren Stufe des Entscheidungsprozesses positiv beurteilt worden ist. Der Systematik der Vergabekoordinierungsrichtlinie lasse sich damit eine „systematischer Kontext“ in dem Sinne, dass bei dem Kriterium „niedrigster Preis“ eine Zulassung von Nebenangeboten ausgeschlossen sei, nicht entnehmen.

 

Abgrenzung „Wirtschaftlichkeit“ und „niedrigster Preis“

Zwar lässt Art. 24 Abs. 1 der Richtlinien 2004/18/EG seinem Wortlaut nach Varianten nur bei solchen Aufträgen zu, die nach dem Kriterium des wirtschaftlichste günstigsten Angebotes vergeben werden. Daraus ist jedoch nicht ableitbar, dass Varianten der Zuschlagsalternative „niedrigster Preis“ nicht zugelassen werden dürfen. Die beiden Zuschlagsalternativen „wirtschaftlich günstiges Angebot“ und „niedrigster Preis“ stehen nicht in einem konträren Verhältnis zueinander (so auch das OLG Schleswig) und lässt sich aus Art. 53 Abs. 1 der Richtlinie 2004/18/EG nicht entnehmen. Soweit dort zwischen den Alternativen „wirtschaftlich günstigstes Angebot“ bzw. „niedrigster Preis“ unterschieden werde, habe dies nur den Sinn, für die nähere Bestimmung des „wirtschaftlich günstigsten Angebotes“ weitere Vorgaben zu bestimmen, insbesondere das Erfordernis eines Zusammenhangs der Wirtschaftlichkeitskriterien mit dem Auftragsgegenstand. Dies führe zu einer Begrenzung der Auswahl zulässiger Kriterien, wie es in § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB für „zusätzliche Anforderungen“ zum Ausdruck komme. Einer solchen Begrenzung bedarf es bei einer Vergabe nach dem Kriterium „niedrigsten Preis“ von vornherein nicht.

 

Auswirkungen für die Praxis

Es stellt sich die Frage, welcher Rechtsprechung zu folgen ist.

Der Vergabesenat des OLG Brandenburg (Beschluss vom 07.12.2010 – Verg W 16/10) vertritt die Auffassung, dass Nebenangebote ohne Vorlage an den BGH oder an den EugH nicht ohne weiteres unzulässig seien. Seiner Auffassung nach ist die Frage, ob Nebenangebote zulässig sind, wenn der Preis das alleinige Zuschlagskriterium ist, von den Oberlandesgerichten unterschiedlich beantwortet worden. Bei einer derartigen Sachlage müsse erwogen werden, ob wegen dieser Divergenz in der Rechtsprechung der Vergabesenate die Entscheidungen entweder dem BGH zugänglich gemacht oder der EugH um Entscheidung zur Auslegung der beiden EU-Richtlinien und zur Entscheidung darüber, ob das deutsche Vergaberecht hiermit vereinbar ist, angerufen werden muss.

Das OLG Düsseldorf hatte mit seinem Beschluss vom 18.10.2010 – Verg 39/10 -festgestellt, dass Nebenangebote im reinen Preiswettbewerb unzulässig sind und auch gleichzeitig festgestellt, dass auch bei Vorliegen von Abweichungen von der Rechtsprechung des OLG Koblenz und des OLG Celle eine Vorlage an den BGH nicht in Betracht komme. Eine Vorlage an den BGH sei im Eilverfahren nach § 124 Abs. 2 Satz 4 GWB nicht möglich.

Das OLG Schleswig hat eine Vorlage an den BGH oder an den Europäischen Gerichtshof nicht veranlasst. Seiner Auffassung nach weicht der Vergabesenat nicht von einer Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichtes oder Bundesgerichtshofes ab. Die anderen Vergabesenate haben ihre Entscheidungen im vorläufigen Rechtsschutz getroffen, wodurch eine Vorlagepflicht nach § 124 Abs. 2 Satz 1 GWB nicht begründet werde. Darüber hinaus enthalten die Beschlüsse keine eigenständigen Aussagen zu den aufgezeigten Problemen. Alle Entscheidungen gehen lediglich thesenartig von einer Unvereinbarkeit der Zulassung von Nebenangeboten mit dem Kriterium „niedrigster Preis“ aus. Ein verallgemeinerungsfähiger Rechtssatz, der einer Divergenz zugänglich wäre, fehle.

Mit seinem aller neusten Beschluss vom 02.11.2011 – Verg 22/11 hat das OLG Düsseldorf nunmehr die Frage, ob Nebenangebote unzulässig sind wenn der Preis das einzige Zuschlagskriterium ist, dem BGH vorgelegt.

Es ist zu erwarten, das wegen der europarechtlichen Relevanz (Richtlinienauslegung) letztendlich nur der EuGH eine abschließende Klärung herbeiführen kann.

Damit wäre Art. 53 Richtlinie 2004/18/EG und die deutsche Umsetzung zu prüfen.

Das OLG Düsseldorf hat mit seinem letzten Beschluss entschieden, dass nicht nur die Nebenangebote auszuschließen sind. Vielmehr seien den Bietern die Möglichkeit zu geben, ihre Angebote insgesamt neu zu kalkulieren. Die Bieter hätten ihre Hauptangebote anders kalkulieren können, wenn sie gewusst hätten, dass Nebenangebote nicht abgegeben werden durften.

 

Die Rügeverpflichtung

Versäumt ein Bieter bei Zulassung von Nebenangebot zu rügen, dass alleine der Preis das Zuschlagskriterium ist, soll der Bieter bzw. der spätere Antragsteller nicht nach § 107 Abs. 3 GWB mit seinem Vorbringen präkludiert und vom Nachprüfungsverfahren ausgeschlossen sein. Bis zum Bekanntwerden der Senatsbeschlüsse des OLG Düsseldorf vom 07.01. und 23.03.2010 musste ein Bieter für diesen Grund eine Unzulässigkeit von Nebenangeboten nicht kennen. Dies entspreche § 187 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, 3 GWB. Dies gelte auch, obwohl sich bereits aus dem Wortlaut der Richtlinie 2004/17/EG ergab, dass Varianten nur dann zulässig waren, wenn die Wirtschaftlichkeit Zuschlagskriterium war. Dieser Punkt sei in der Rechtsprechung und der Literatur nicht behandelt worden. Eine Kenntnisnahme von diesem Erfordernis sei bereits dadurch erschwert worden, dass die Richtlinie in diesem Punkt nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden sei. So ist auch das OLG Celle in seinem Beschluss vom 11.02.2010 (13 Verg 16/09) nicht darauf eingegangen, obwohl der Sachverhalt auch dort der Preis einziges Zuschlagskriterium war.

Zukünftig hat ein Bieter den Einwand der Unzulässigkeit von Nebenangeboten im reinen Preiswettbewerb aufgrund der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf sicherheitshalber bis zum Ablauf der Angebotsfrist zu rügen.

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